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Ness, Wolfgang
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 10, Teil 2): Stadt Hannover — Braunschweig, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.44415#0118

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Lageplan des Dorfes Linden, um 1820, (Engelke, Lindener Dorfchronik)


DAS 17. UND 18. JH.
Nach der Mitte des 17. Jh. bestand das Dorf
Alt Linden, das im Dreißigjährigen Krieg stark
gelitten hatte, aus 9 Voll-, 2 Halbmeierhöfen,
28 z.T. neu eingerichteten Kötnerstellen,
Schule, Pfarr- und Küsterhaus und den „Hüt-
ten“ - Armeleute-Wohnungen westlich des
Kirchhofs, deren Nachfolgebauten dem Zwei-
ten Weltkrieg zum Opferfielen. Weitgehenden
Besitz am Dorf hatten die von Alten inne, die
auch Inhaber des Gerichts waren; Grundher-
ren waren außerdem einige andere Adlige und
hannoversche Patrizier.
Seit 1645 besaß Herzog Georg von Braun-
schweig und Lüneburg die „Quirrenburg“ zwi-
schen Davenstedter- und Fössestraße, auf
der er 1652 zur Versorgung seiner Residenz
in Hannover den 1866 geschlossenen „Kü-
chengarten“ anlegen ließ (s.u.). 1688 kaufte
der Oberhofmarschall von Platen der Familie
von Alten ihren Lindener Besitz ab, ergänzte
das Gelände durch weitere Landkäufe zu ei-
nem großen, seit 1705 von einer Mauer umge-
benden Anwesen südlich des Dorfes Linden,
erbaute Brauhaus, Wirtschaftshof, Ziegelei,
Wachsbleiche, und im frühen 18. Jh. eine
„Webersiedlung“ - Neu Linden - und ließ ei-
nen 77 ha großen Barockpark zwischen Dei-
sterkreisel und Schwalenberger Straße mit
Schloß gestalten.
Durch die Anlage des Schnellen Grabens war
die Ihme seit der Mitte des 17. Jh. bis Linden
schiffbar. Seit 1714 gab es an der heutigen
Blumenauer Straße gegenüber der Gartenal-
lee (heute Ihmezentrum) den königlichen
Bergwarenspeicher.
Das Wegesystem
Zu Ende des Dreißigjährigen Krieges waren
außer den oben erwähnten Fernstraßen wei-
tere Verbindungen zu den Nachbardörfern
(z.B. Ricklinger- und Badenstedter Straße),
Wege zu den Äckern und Weideplätzen (Fös-
sestraße, Nieschlagstraße/Kötnerholzweg;
Viehtriften: Dunkelberg-/Milchgang, Auestra-

ße) und die Dorfstraßen (Davenstedter-/Fal-
kenstraße, Kirchstraße, Brauhofstraße) vor-
handen, die mit begradigtem Verlauf noch
heute existieren. Im Anschluß bestimmten die
grundstückszusammenfassenden Landkäufe
des Grafen von Platen und des Herzogs von
Braunschweig-Lüneburg das Wegesystem
z.T. neu. Innerhalb des Dorfes entstand ver-
mutlich um diese Zeit der Todtengang an der
Nordgrenze des gräflichen Anwesens; außer-
dem wurde möglicherweise die alte Verbin-
dung Hannover-Schwarzer Bär-Wartturm
gekappt, die südlich der Falkenstraße von der
Deisterstraße abzweigte (bis etwa 1945 Klei-
ne Hohe Straße), dann die Grenze zwischen
Neu- und Alt-Linden markierte und heute als
Rest in der Hohen Straße vorhanden ist.
Südlich des Dorfes zeichnen sich noch immer
stadtplanerische Ambitionen der Grafen von
Platen ab: Im Zusammenhang mit der Einrich-
tung des Parks verlegte man die alten Fern-
straßen derart, daß sie vor dem Parkeingang
ergänzt durch zwei grundstücksbegrenzende
Wege (Wachsbleiche bzw. Deisterstraße) ei-
ne Art „Etoile“ bildeten, wobei die Schloßauf-
fahrt die Symmetrieachse abgab. Als Neben-
auffahrt zum Schloß legte man die Von-Alten-
Allee an, die am Anfang des 18. Jh. in der We-
berstraße mit der Webersiedlung eine Paral-
lelstraße erhielt. Nach Erlangung des Postre-
gals durch den Grafen wurde die Posthorn-
straße ausgebaut, an deren südlichem Ende
die Relaisstation und ein Gasthof entstanden.
Trotz der späteren Überformung läßt sich im
aktuellen Stadtgrundriß die barocke Planung
um den Park noch erkennen. Weniger deutlich
zeichnet sich heute der ehemalige Küchen-
garten ab, da das Gebiet im ausgehenden 19.
Jh. beplant, parzelliert und bebaut wurde. Re-
ste der Anlage finden sich in der Gartenallee
- ehemalige Zufahrt - und in der Fössestra-
ße - ehemalige Nordgrenze.
Der gräfliche und der landesherrliche Park be-
einflußten über lange Zeit die Ausdehnung
von Alt-Linden, das sich zwischen ihnen nach
Osten nur auf einem schmalen Streifen Lan-

des entwickeln konnte (Davenstedter Straße).
Im späten 18. Jh. übten diese vornehmen An-
lagen eine gewisse Anziehungskraft auf han-
noversche Bürger aus, die sich in der Nähe
vor allem in Gärten an der Ihme „Lusthäuser“
errichteten: Neben dem historischen Dorf Alt-
Linden und dem gräflichen Neu-Linden bildete
sich einer der Gartenvororte bei Hannover.
Linden erhielt im frühen 19. Jh. den Ruf, das
schönste Dorf im Land zu sein.
DAS 19. JH. - INDUSTRIALISIERUNG
Wenig später wurde es das größte Dorf im
Land, denn zu Anfang des 19. Jh. setzte die
Entwicklung zum Industrieort ein. Die gräf-
lichen Unternehmungen spielten dabei eine
vorbereitende Rolle; Ende des 18. Jh. waren
die Branntweinbrennerei Niemeyer (1788)
und die Lochgerberei Söhlmann (1796) hinzu-
gekommen. Tatsächlich begann der Wandel
jedoch mit J. Egestorff, der die Bodenschätze
der Umgebung und die Chance des Waren-
transports per Schiff auf der Ihme geschickt
nutzte. Andere Unternehmer folgten ihm.
Die politischen und wirtschaftlichen Verhält-
nisse begünstigten Entstehung und Ansied-
lung von Fabriken. Gegenüberder Hauptstadt
Hannover - deren Zünfte in der Vergangen-
heit die Niederlassung von nicht gräflichen
Handwerkern im Dorf verhindert hatten - ent-
stand eine expandierende Industrie. Zunächst
wurden die Fabrikationsstätten vor allem an
der Göttinger Straße bis zur Bornumer Straße
und ausgehend von dem Bergwarenspeicher
entlang der schiffbaren Ihme errichtet. Wenig
später dehnte sich der Industriebereich in die
westliche Feldmark (Badenstedter und Da-
venstedter Straße) aus. Die Entwicklung zog
den Bau der Altenbekener Bahn (1872) mit
den Bahnhöfen Fischerhof (im Süden) und
Küchengarten (an der Ihme) nach sich und
wurde gleichzeitig durch diesen begünstigt.
Mit Anlage der westlichen Güterumgehungs-
bahn (Fischerhof-Letter) von 1909 und des
Lindener Hafens am Leineabstiegskanal mit
Hafenbahnhof von 1917 (Planung beider Pro-
jekte seit Ende der achtziger Jahre) verfolgte
man das Ziel, das Gewerbegebiet endgültig in
den Westen und Süden Lindens zu verlegen
(Flächennutzungsplan ab 1905); nach dem
Zweiten Weltkrieg verschwanden fast alle al-
ten Fabriken an der Ihme; dafür entstanden
hier das Ihme-Zentrum (1971/72) und das
Heizkraftwerk (1963/64).
Straßenanlage und Stadtplanung
Die Industrieentwicklung zeitigte einen kräfti-
gen Anstieg der Bewohnerzahl in Linden
(1812: 1 307 Einwohner, 1839: 9884 Einwoh-
ner, 1885: 25570 Einwohner, 1900: 50628
Einwohner, 1909: 61000 Einwohner, 1925:
67580 Einwohner). Nach Abschluß der Ver-
koppelung - 1835/40 - bot sich der landbe-
sitzenden Schicht der Alteingesessenen die
Gelegenheit, an dem Aufschwung zu partizi-
pieren: Die Bebauung im Dorfbereich verdich-
tete sich, Spekulation mit Boden und Wohn-
raum griff um sich, ab 1845 gab es die ersten
Straßenplanungen (s.u. Charlottenstraße
usw.).
Seit 1831 prüfte die „Königliche Baucommis-
sion“ unter G.L.F. Laves unterstützt durch die

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