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zipierter Massivbau errichtet worden, der mit
den abgebauten Holzteilen des Huneborstel-
’schen Hauses verbunden wurde. Dadas neu
zu bebauende Burgplatzgrundstück breiter
war als die Grundfläche des translozierten
Gebäudes, fügte man östlich noch einen ein-
achsigen Massivbau aus Elmkalkstein an, der
mit seinem Fachwerkaufsatz und den mit Vor-
hangbögen gerahmten Fenstern Formen der
1944 zerstörten Kemenate Turnierstraße 8
frei variiert. Ebenfalls neu erstellt wurden die
Fachwerkteile des Erd- und Zwischenge-
schosses, wobei man die neun Spann umfas-
sende Teilung der Speichergeschosse auch
hier wieder aufnahm-ein Rückbau in den an-
genommenen Originalzustand, in einem Be-
reich, der am Huneborstelschen Haus durch
den Einbau größerer Fenster und der damit
verbundenen Erweiterung der Ständerinter-
valle die einzige größere Veränderung erfah-
ren hatte. Eine freie Rekonstruktion ist auch
das Tor der Durchfahrt, das sein Vorbild in
dem heute zerstörten Haus Ölschlägern 40
hatte. So ist auch die Genese des Hunebor-
stelschen Hauses in seiner heutigen Form
durchaus vergleichbar mit der der Burg Dank-
warderode: beide unter der Leitung des da-
maligen Stadtbaurates Winter entstandenen
Objekte sind rekonstruierende Neubauten,
unter dem historistischen Aspekt entstanden,
ein möglichst dichtes Bild vergangener Bau-
formen zu entwerfen, wobei die puristische
Intention vorherrschte, die als Störung emp-
fundenen, den Originalzustand verändern-
den Spuren der Geschichte zu unterdrücken
und eine stilistisch „reine“ Architektur nach-
zuschaffen. Für die damals für das Stadtbild

und denkmalpflegerische Maßnahmen Ver-
antwortlichen bestand die herausragende
Bedeutung des Huneborstelschen Hauses in
erster Linie in den künstlerischen Elementen
seines reichen bildnerischen Schnitzwerkes.
Bis auf die Balkenköpfe und Füllbretter ist das
ganze konstruktive Holzgerüst der beiden
Speichergeschosse mit figürlichen Darstel-
lungen in Flachschnitzerei überzogen, wobei
Schwellen, Winkelhölzer, Brustriegel und die
Ständer bis zum Ansatz der Knaggen in je-
dem Stockwerk als einheitliche Darstellungs-
fläche genutzt wurden. Eine lose Aneinande-
reihung von Drolerien, spielenden Putten, Fa-
belwesen, dämonischen Fratzen sowie
Frucht- und Blattgirlanden überziehen das
Fachwerk bis an den Brüstungsbereich der
Speicherfenster. Im ersten Stock vermitteln
Personifikationen der Planeten und im zwei-
ten phantasievoll gestaltete, Schalen tra-
gende Baluster zwischen Brüstungszone und
Knaggen, die ihrerseits wieder mit stark pla-
stischen sinnbildlichen Figuren, u.a. den fünf
Sinnen, ausgestaltet sind. Die Motivfülle, die
hier spielerisch die Fassade überflutet, ist nur
bedingt der Erfindung des ausführenden Bild-
schnitzers zuzuschreiben, sondern sie hat
ihre Vorbilder in damals auf Kalenderblättern
weit verbreiteten Stichvorlagen. Leicht abge-
wandelt bis nahezu identisch erscheinen die
Motive des Huneborstelschen Hauses an an-
deren hervorragenden Fachwerkbauten der
Zeit, so am „ Hoppener Haus“ in Celle und am
„ Brusttuch “ in Goslar. Dieses an verschiede-
nen Orten wiederkehrende Allegorienpro-
gramm und der stilistische Vergleich mit ei-
nem für Herzog Heinrich d.J. von Braun-

schweig-Wolfenbüttel von dem Bildschnitzer
Simon Stappe 1532 gearbeiteten Portraitkopf
und einem fünf Jahre später von demselben
Meister hergestellten Wagen, hat dazu ge-
führt, diesem Künstlerauch die Schnitzereien
an den o.g. Häusern zuzuschreiben. Wäh-
rend die ältere Forschung für das Hunebor-
stelsche Haus von einer Entstehungszeit von
1536 ausgeht, tendiert man in neuerer Zeit
eher zu einer um zehn Jahre früheren Datie-
rung.
Die Bezeichnung „Gildehaus“ führt das alte
Haus des Patriziers Friedrich Huneborstel,
seit es ab 1902 von der Handwerkskammer
genutzt wird. Wenige Jahre später, 1908, ist
ein weiteres altes Braunschweiger Fachwerk-
haus als Handwerkerlehrlingsheim im Hof
des Gildehauses wiedererrichtet worden.
Auch bei diesem um 1535 entstandenen Ge-
bäude, das ebenfalls aus dem Stadtteil Sack
(ehern. Sack 8/9) hierher versetzt wurde, ist
vor allem die Fassadengestaltung der beiden
Speichergeschosse bemerkenswert. Das
Fachwerkgefüge und die innere Raumdispo-
sition wurden für die neue Nutzung als Lehr-
lingsheim und später als Ausstellungs- und
Versammlungshaus vollständig überarbeitet.
Auffällig ist hier die starke Plastizität des Fas-
sadenschmuckes, die vor allem durch die
kräftig profilierten und gekehlten Füllhölzeran
den Überständen, die hier auch an der Dach-
schwelle angebracht sind, hervorgerufen
wird. Alle Holzteile der Fassade sind kunst-
handwerklich bearbeitet und mit typischen
Ornamenten der Zeit ausgeschmückt. Vor-
herrschend sind die Fächerrosette, der Tra-


Burgplatz 2a, Huneborstelsches Haus/Gildehaus, Fassadendetail, Schnitzereien um 1530

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