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Göttingen und Umgebung. Kartengrundlage: Kurhannoversche Landesaufnahme 1 :25000,
Blatt 155 (1784); vervielfältigt mit Erlaubnis des Nieders. Landesverwaltungsamtes-
Landesvermessung - B 5 - 428/82


DIE ERWEITERUNGSGEBIETE

ENTWICKLUNG DER AUSSENBEREICHE
Der Göttinger Rat -oder wer immer den Ver-
lauf der äußeren Befestigung bestimmt hat -
hatte im 14.-16. Jh. wegen der Entwicklung
der Waffentechnik und vielleicht auch in
„weiser Voraussicht” das umwallte Areal so
groß angelegt, daß es bis ins mittlere 19. Jh.
als Wohnplatz ausreichte. Zudem scheint
der Wall nach der Entfestigung noch lange
Zeit eine - wenn auch symbolische -
Schutzfunktion behalten zu haben.
War die Stadt im 15. und 16. Jh. gegen
Ansiedlungen vor den Wällen vorgegangen,
so gab es doch im Umfeld von Göttingen die
Mühlen und Bürgergärten, in denen bereits
im 17. Jh. vereinzelt Gartenhäuschen stan-
den. Im 18. Jh. erhöhte sich die Anzahl dieser
Häuschen (vgl. Kurhannoversche Landes-
aufnahme), in denen ein Teil der Armen ihren
Dauerwohnsitz fand.
Gartenhäuser dienten aber auch den ver-
mögenden Kreisen als Sommerwohnung,
Beispiele finden wir im Lichtenbergschen
Gartenhaus (Brauweg 34, Lichtenbergs
Hauptwohnung lag in der Gotmarstraße 1)
und im Sommerhaus von Prof. Bergmann
(Bürgerstraße 12/14, seine Hauptwohnung
lag in der Goetheallee 2). Dieser bürgerliche
Luxus mit einer zusätzlichen Sommerwoh-
nung in einem Garten in Stadtnähe leistete
man sich bis ins spätere 19. Jh.; die meisten
dieser Häuserwichen allerdings einerZweit-
bebauung, einige z. T. veränderte Exemplare
finden sich noch an historischen Gartenwe-
gen. Sie verdichteten sich allerdings nie zu
einer „Gartenvorstadt”.
An den Ausfallstraßen nach Weende und
Geismar standen seit dem 2. Viertel des
18. Jh. Gasthäuser. Im späteren 18. und 19.
Jh. kamen weitere Wirtschaften hinzu, bis
1857 erhöhte sich ihre Zahl auf 9.
Die ersten öffentlichen Gebäude außerhalb
der Stadt bildeten das verschwundene

Schützenhaus an der Berliner Straße und im
19. Jh. die Sternwarte (Geismar Landstraße
11), die Anatomie (kriegszerstört) und die
Kaserne am Geismar Tor; erst in den fünfzi-
ger Jahren folgte der Bahnhof (Berliner
Straße) und 1862 - 65 das Auditorium Maxi-
mum -zu einerZeit, als sich auch Privatper-
sonen vor den Wällen niederließen.
Die Besiedlung der Außenbezirke setzte
zögernd ein; zunächst bauten Privatperso-
nen kleinere Häuser mit einer oder zwei
Wohnungen, dagegen entstanden später
vorwiegend mehrgeschossige Miethäuser
vorallem im Süden und Norden derStadt. Im
gleichen Zeitraum stieg die Bevölkerungs-
zahl in der Außenstadt gewaltig an. 1860 leb-
ten ca. 12000 Menschen in der Innenstadt
und höchstens 200 in den Außenbereichen.
Zwischen 1905 und 1910 überholte sie die
Einwohnerzahl der Innenstadt (1910:16 500
in der Innenstadt, 19 500 in der Außenstadt).
In diesem Zeitraum expandierten die Univer-
sität und die Industrie, das Militär wurde ver-
stärkt - Entwicklungen, die immer mehr
Menschen nach Göttingen zogen.
STRASSEN UND WEGE IM WEICHBILD DER
STADT
Vor der Stadt Göttingen ausgehend von den
Toren erschloß im 18. Jh. ein altes, verzweig-
tes Wegesystem die Umgebung. Es bestand
aus Verbindungsstraßen zu den Dörfern, aus
Zufahrten zu den Mühlen im Umland und aus
einfachen Garten- und Feldwegen.
Nach dem Siebenjährigen Krieg legte die
Regierung sowohl zur Erleichterung des
Handelsverkehrs als auch der Verwaltung
und für schnelle Truppenbewegungen im
Kurfürstentum Hannover Chausseen an,
indem man ältere Trassen benutze, diese
aber wo möglich begradigte. Nach den Plä-
nen des Ingenieurhauptmanns duPlat ent-
standen bis etwa 1780 die Chausseen nach
Hannover (Weender Landstraße, B 3) und
nach Kassel (Groner Landstraße, Fortset-

zung B 3); die Chaussee nach Heiligenstadt
(Reinhäuser Landstraße, B 27) folgte um
1785 und jene nach Herzberg (Herzberger
Landstraße, Fortsetzung B 27) wurde erst
nach dem ersten Viertel des 19. Jh. fertig.
Ebenfalls nach der Entfestigung der Stadt
baute man als erstes neues Straßensystem
den „Ring” um die Wälle (Berliner Straße,
Bürgerstraße usw.) aus, bei dem man vor-
handene Wege benutzte (z. B. Schildweg).
Damit war vorläufig die Entwicklung been-
det. Erst mit der Aufsiedlung der Außenstadt
entlang der Ausfallstraßen und der Garten-
wege reichte das alte Wegenetz nicht mehr
aus. Ermöglicht durch die 1874/76 abge-
schlossene Verkopplung der Göttinger Feld-
mark und durch die Ablösung der Schäferei
am Hainberg setzte in den siebziger Jahren
eine Neuordnung der Außenbereiche ein.
Diese war auch wegen der Göttinger
Bauordnung von 1877, die auf dem preußi-
schen Fluchtliniengesetz fußte, notwendig
geworden, da mit ihrem Inkrafttreten
Bebauung nur an befestigten öffentlichen
Straßen erlaubt war; an den Erschließungs-
kosten wurde der Bauherr beteiligt. Man ver-
suchte, ein Straßenraster zu erhalten, das
die alten Wege ergänzen und eine weitge-
hend gleichmäßige Parzellierung ermögli-
chen sollte. In den östlichen Stadtgebieten
mußte man dabei stärker alte Gartenwege
und den Geländeanstieg berücksichtigen;
anders in den übrigen Erweiterungsvierteln:
Die Leineniederung mit ihrer traditionellen
Weide- und Feldwirtschaft besaß kein annä-
hernd so ausgeprägtes Wegesystem mit
Gärten und Gartenhausbebauung. So konn-
ten die Stadtplaner hierfreiervorgehen: Sie
verlegten z. B. den südlichen Verlauf von
Stegemühlen- und Walkenmühlenweg -
beide führen nicht mehr zu den Mühlen -,
sie gaben z. B. den Deppoldshausener Weg
(ehemals nach Osten von der Weender
Landstraße abzweigend) auf und setzten
konsequenter ein Straßenraster durch.
NUTZUNGSZENTREN
Die Bildung von Gewerbezentren hing eng
mit dem Bau der Bahnlinien 1854/56 (Han-
nover-Kassel), 1867 (Richtung Bebra) und
1897 (Gartetalbahn) zusammen, welche
Industrie in den Westen der Stadt zogen.
Diese Entwicklung faßte die ergänzte
Bauordnung von 1899, die die Außenbezirke
der Stadt in Wohngebiete (vorwiegend das
Ostviertel und der östliche Teil der Bürger-
straße), Wohn- und Gewerbegebiete (vor-
wiegend im Norden und im Süden derStadt)
und Gewerbe- und Industriegebiete (vorwie-
gend im Westen und entlang der Bahnlinien)
einteilte. Öffentliche Bauten waren im
Wohngebiet erlaubt, erstaunlicherweise fin-
den sie sich kaum im Ostviertel.
Für den Standort der öffentlichen Gebäude
gaben im 19. Jh. die Besitzverhältnisse
zunächst den Ausschlag: Sie stehen - außer
der Sternwarte - auf dem Gelände der ehe-
maligen Befestigung. Später kristallisierten
sich im Norden und Süden derStadtZentren
mit Universitätsinstituten heraus. Die
Kasernen legte man in den Südosten, den
Friedhof an die Peripherie im Westen, Sport-
anlagen an die Leine.

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