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Pantel, Etta [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 9, Teil 1): Stadt Wolfenbüttel — Braunschweig, 1983

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https://doi.org/10.11588/diglit.44416#0053
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Das wichtigste Anliegen der folgenden
beiden regierenden Herzöge war es, eine
nach außen und innen prächtige Residenz zu
schaffen, die durch damals modernste Befe-
stigungsanlagen uneinnehmbar gemacht wer-
den sollte. Diesen Forderungen und Vorstel-
lungen entsprach die bisherige Festung Wol-
fenbüttel mit ihrer stadtähnlichen Siedlung
„Neustadt zu unserer lieben Frauen" keines-
wegs.
ALTE HEINRICHSTADT
Mit Beginn der Regentschaft durch Herzog
Julius (1568—89) wurden bereits ab 1570
mit der Verleihung der Markt- und Stadt-
rechte stadtplanerische Maßnahmen in An-
griff genommen. Eine Bauordnung vom
21.4.1571 zeichnet die zukünftige bauliche
Gestaltung Wolfenbüttels vor. In der „Hein-
richstadt" (jetzt zu Ehren seines Vaters so
umbenannt; später Alte Heinrichstadt) soll-
ten „gerade, weite Straßen mit Häusern glei-
cher Breite und Höhe" entstehen, wobei
diese zur Dammfeste hin ausgerichtet und
von dort einsehbar sein sollten. Entscheiden-
den Anteil an dem Planungskonzept Julius'
hatten fortifikatorische und nicht baugestal-
terische Aspekte: nämlich die Möglichkeit
des Bestreichens und Beherrschens der
Hauptachsen durch Geschütze von der
Dammfestung aus.
Entsprechend dem Konzept ist das Innere
der „Alten Heinrichstadt" gekennzeichnet
durch eine gradlinige Straßenführung, deren
Gerüst die drei großen zur Dammfeste hin
konvergierenden Hauptachsen sind, im Nor-
den die Lange Herzogstraße/Kanzleistraße,
in der Mitte die breite Reichsstraße mit Korn-
markt, früher Kommißstraße, und die Harz-
straße im Süden. Neben dem militärischen
Aspekt war auch die topographische Lage
mitprägend für die Grundrißausbildung der
Alten Heinrichstadt. Zahlreiche Okerarme
waren zu berücksichtigen, und eine Integra-
tion bestehender Bausubstanz und Parzellen-
struktur ließ Abweichungen auftreten. Wie
oben erwähnt, ging der Bereich um die Mau-
ren-, Echternstraße und Lustgarten als einzi-
ger wohl ohne Überplanung in die Alte Hein-
richstadt über und wurde in das neue Stra-
ßennetz einbezogen. Die Durchführung des
Planungskonzepts wurde betreut von den
Baumeistern Wilhelm de Raedt und Paul
Francke. Zur Entwässerung des feuchten
Baugrundes war ein Kanalsystem wichtiger
Bestandteil der Planung. Dieses wurde 1585
näch niederländischem Vorbild von dem
Baumeister Hans Vredemann de Vries er-
baut, zusätzlich mit dem Ziel, Zufahrten
zur Faktorei zu schaffen. Diese bedeckte
neben dem Vorwerk (seit 1587/89 Kanzlei)
ein Viertel des Stadtinneren und war von
Herzog Julius errichtet worden, um Erträge
aus dem Harzvorland zu lagern. Die schiffba-
ren Kanäle verliefen gradlinig in Ost-West-
Richtung zwischen dem Festungsgraben
„Alter" oder „Langer Kanal" entlang der
Okerstraße/Fischerstraße, der wohl bereits
aus der Zeit Herzog Heinrich des Jüngeren
stammte, und dem ebenfalls in Nord-Süd-
Richtung fließenden, in dieser Zeit neu
gegrabenen „Großen Kanal", heute „Klein
Venedig". Ihr Verlauf ist z.T. noch heute
deutlich im Stadtbild zu erkennen. Der

Grundriß der Stadt Wolfenbüttel im Jahre 1754 von A. Haacke, kopiert 1790. Niedersächsisches
Staatsarchiv in Wolfenbüttel, K 5538. Ausschnitt mit Schloß-/Dammfestung und Heinrichstadt


„Alte" Festungsgraben begleitete die Oker-
Fischerstraße anstelle der breiten unbebau-
ten Vorgärten. Der Kanal nördlich der
Langen Herzogstraße zwischen Okerstraße
und Am Alten Tore zeigt sich durch die
Parzellenstruktur, und schließlich ist er
innerhalb der Reichsstraße/Kornmarkt durch
eine breite Allee gekennzeichnet. 1907
wurde das gesamte Kanalsystem bis auf
„Klein Venedig" zugeschüttet. Dieser fließt
aber auch nur noch in Teilen offen, so
westlich der Mühlenstraße und vor der Kom-
misse, dem ehemaligen Versammlungshaus
der Alten Heinrichstadt (siehe Kommiß-
straße).
Der Höhepunkt der durch die Bauverord-
nung von 1571 eingeleiteten Abbruchs-, Um-
quartierungs- und Neubaumaßnahmen fiel in
die Jahre 1578—80. Von den ca. 100 beste-
henden Häusern wurden etwa 60 abgerissen.
Diese sind vermutlich in der Siedlung Gottes-
lager, dem primären Objekt Herzog Julius'
(siehe „JuIiusstadt"), sowie in dem Standort
Neue Heinrichstadt (s.u.) und später im We-
sten vor dem Mühlentore wieder errichtet
worden. 1585 waren etwa 75 der abgerisse-
nen Häuser vorwiegend im Norden wieder
aufgebaut; sie lassen sich jedoch heute von
den etwas später zu Anfang der Regierungs-
zeit Herzog Heinrich Julius entstandenen
Fachwerk-Gebäuden kaum unterscheiden.
Die 1587/88 aus dem Vorwerk hervorgegan-
gene Kanzlei sowie die „Neue Mühle" (die
spätere „Kommisse") aus der gleichen Zeit
wurden als Steinbauten errichtet (siehe
Kanzleistraße, Kommißstraße).
Die Ausdehnung der Alten Heinrichstadt
reichte vom heutigen Stadtmarkt im Westen,
über den Straßenzug Okerstraße/Fischerstra-
ße im Osten, der Krummen Straße im Süden
bis zur Straße Am Alten Tore/Stobenstraße
im Norden. Die Fläche zwischen den Sied-
lungsbereichen Dammfestung und Alte Hein-
richstadt, die spätere sogenannte „Freiheit",
blieb wegen besonders ungünstiger topogra-
phischer Bedingungen noch ohne Bebauung.

NEUE HEINRICHSTADT
In der seit 1577 begonnenen Stadterweite-
rung „Neue Heinrichstadt", 1585 noch So-
phienstadt genannt, kommt die Planmäßig-
keit und Gradlinigkeit stärker zum Ausdruck
als in der Alten Heinrichstadt. Im Bauen auf
der „Grünen Wiese" ließen sich die Ideal-
stadtideen der Renaissance konsequenter
ausformen. Die Neue ist der Alten Heinrich-
stadt im Norden und Osten vorgelagert. Die
Straßen verlaufen gradlinig und rechtwinklig
und stehen in symmetrischer Beziehung zu-
einander. Grundrißbestimmend ist die Breite
Herzogstraße mit Lange Straße als Nord-Süd-
Achse und der platzartig erweiterte Holz-
markt als Ost-West-Querachse, dem beider-
seits je zwei Parallelstraßen hinzugefügt sind
und die die Längsachse rechtwinklig kreu-
zen. Dies sind die in einer ersten Ausbau-
phase entstandene Kreuz- und Kannengie-
ßerstraße; später kamen Lohen-, Wall- und
Karrenführerstraße hinzu.
An den Nahtstellen zwischen Alter und
Neuer Heinrichstadt wurden die vorgegebe-
nen strahlenförmigen Hauptachsen in das
orthogonale Straßenraster überführt. Dabei
entstanden der abknickende Straßenzug
Lange Herzogstraße und der versetzte Stra-
ßenzug Reichsstraße/Holzmarkt. Lediglich
die südliche Achse der Harzstraße konnte
ihre Richtung beibehalten.
Der mittige Holzmarkt, damals Kaiserplatz
genannt, hatte die Funktion eines „Foyers"
für die neue Residenzstadt; denn bis 1607
war das Kaisertor der einzige Zugang in die
Heinrichstadt.
In der Neuen Heinrichstadt sollten nach
dem Plan von Herzog Julius Ersatzwohnun-
gen sowie weiterer Wohnraum für angewor-
bene Neubürger geschaffen werden. Es wird
jedoch berichtet, daß von den etwa 300 bis
1585 ausgemessenen Baugrundstücken zu-
nächst wohl nur 31 mit Häusern bebaut wur-
den. So war wohl die Lange Herzogstraße bis
zum Ende der Regierungszeit Herzog Julius

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