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Dülberg, Franz [Editor]
Frühholländer (Band 1): Die Altarwerke des Cornelius Engebrechtzoon un des Lukas van Leyden im Leydener Städtischen Museum — Haarlem, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.43494#0015
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hervorstossende Mund ist gewiss Jahrzehnte lang zu gemeinen Worten und zum
Trinken aus schmutzigen Flaschen gebraucht worden. Hinten muss einer mit einem
grossen Bohrer die Löcher im Kreuzesbalken für die Nägel vorbereiten: ein Zug
der auch auf einem kleineren Werke des Engebrechtsz. (Antwerpener Museum
532) und verwandt schon in einem aufschlussreichen Jugendbilde des Gerard David
in der Sammlung Layard zu Venedig auftritt.
Der erregte Vortrag dieses Aussenbildes, der an die Art mancher heutigen
holländischen Schauspieler erinnert, hat wohl auch den Lucas van Leyden in
seiner ergreifend unmittelbaren Stichfolge der „Runden Passion” von 1509 mit-
gerissen: wenigstens ist dies die einzige Stelle in seinem reichen Werke, wo eine
aufs Höchste gespannte äussere Handlung den darstellenden Künstler widerstands-
los mit sich zieht. Auch beim jungen Rembrandt finden wir ähnliche heftige
Entladungen: man denke an die Blendung Simsons in der Galerie des Grafen
Schönborn in Wien.
Abgeschlossenere Gehaltenheit, Reife, freilich auch das Fehlen aller starken
Ausbrüche zeichnen den Altar der Beweinung Christi (Tafel VIII XIII) aus.
Schon der Aufbau hat etwas bestimmt Ruhiges, kirchlich Rhytmisches: im Mittel-
bilde der Hauptvorgang eingeschlossen von einem seitlich stark abtrennenden
Rahmen, der graues Stein werk täuschend nachbildet und in hohen Ovalen die als
braune leicht bemalte Holzschnitzerei gedachten Darstellungen der 6 anderen
Schmerzen Mariae umschliesst. Auf den Flügeln allein die Stifter, breit und ansehn-
lich hingekniet, so dass ihre Betpulte im Rahmen verschwinden müssen. Gewichtig
und schwer beweglich auch die jedem zugeteilten zweiSchutzheiligen. Eine nieder-
strebende offene Säulenhalle, die rechts auf spärlich bewachsenes Fels- und Mauer-
werk, links auf ein Herrenhaus mit seinen schön umgebenden Büschen und Baum-
gruppen blicken lässt, jedesmal als Schauplatz. Aussen ein fromm leicht bewegter,
doch auch gefallen wollender Tanz lebendig werdender Steine: nicht mehr in weisser
Härte wie die Aussenfiguren am Genter Altar der Brüder van Eyck, nein nur durch
die in der Hauptsache steinhelle Farbe der Gewänder, eine geringe Versteifung der
Falten und den unbelebt kaffeebraunen Grund sind die vier jungen heiligen Frauen
(von links nach rechts: Apollonia, Gertrud von Nivelles, Agatha, Agnes) noch
dem Reich der Plastik verbunden.
Konservativ berührt das strenge Festhalten der gotischen Zierform in schon so
später Zeit. Der Gesamtton der Innenteile ist dunkler bräunlicher, schon Rembrandts
Lieblingsstimmung nahe.
In der Hauptdarstellung ist die Haltung der erstarrenden Glieder des Leichnams,
das Gesicht des so entschieden und ruhig Befehle gebenden Joseph von Arimathia
und der so treu und ergriffen blickende Rundkopf des Nikodemus (in der rechten
Gruppe, grösserer Ausschnitt auf Tafel XI) Geertgens wunderkühner Beweinung
Christi entnommen. Wie dieses Bild — nur der Seitenflügel eines Altarwerks!
sich eingeprägt haben muss, lehrt am deutlichsten ein schon vor 4 Jahren durch

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