644
(Abb. 224)
684 - Recto: Faunskopf im Profil nach rechts; Verso:
Kopf-, Augenstudien; Torso; Tierornament.
Feder z. T. über Rötel 280 : 2x0.
Prov.: Mariette.
Recto: Auf dem Blatt befand sich ursprünglich ein weib-
licher Profilkopf mit hängenden Zöpfen in Rötel, über
den nachträglich die Federzeichnung des Faunskopfes auf-
getragen wurde. Ersterer stammt zweifellos von Mini,
worauf nicht allein die noch sichtbaren Rötelpartien wei-
sen, sondern ebenso eine Wiederholung in London, Samm-
lung Mond (Kat. n. 588). Die mäßige Skizze ist schon
von Mariette hervorgehoben worden, der sie hypothetisch
dem Minghella di Valdarno zugeschrieben hatte. Kommt
als Produkt Minis ein Datum vor 1521 nicht in Frage,
so erledigt sich dadurch von selbst Brinckmanns Annahme,
daß der Faunskopf in Michelangelos Frühzeit entstanden
sei. Bleibt aber auch zuzugeben, daß der subtile Federvor-
trag Erinnerungen an M’s ältere Manier wachruft, so ist
andererseits schwerlich zu erwarten, daß der Meister zu
Beginn der zwanziger Jahre sich so restlos einer alter-
tümlichen Faktur überlassen hätte, mindestens aber wäre
auch in diesem Fall sein damals herrschender Federstil
nicht völlig unterdrückt worden. Solche Momente machen
es höchst wahrscheinlich, daß die Zeichnung als Schöpfung
M’s ausscheidet. Berenson gibt das Recto seinem »An-
drea«, Popp und Wittkower glauben in dem Kopf Minis
Hand zu sehen; wo aber hätten wir bei dem kleinen Ta-
lent ein Analogon zu diesem meisterhaft graphischen Vor-
trag mit seinem metallisch scharfen Formcharakter? Selbst
als direkte Kopie dürfte Mini diese Leistung kaum zuge-
mutet werden. Panofsky stützt seine Zuschreibung an
Michelangelo unter Hinweis auf den verwandten Prozeß
bei dem Drachen in Oxford n. 13 (Kat. n. 343), wo eben-
falls eine anfängliche Rötelskizze Minis durch M’s Tier-
zeichnung in Feder überdeckt wurde; da beide den zwan-
ziger Jahren angehören, müßte dieselbe Vortragsart be-
gegnen, jedoch ist das Strichbild der Modellierung dort
und hier nur generell verwandt, und was die Konturie-
rung betrifft, so weicht das Faunsprofil entschieden von der
Oxforder Zeichnung ab. Goldscheiders versuchsweise
Attribution an B. Franco entbehrt hinreichender Par-
allelen, um vorerst näher erwogen zu werden. Bleibt somit
ein bündiger Name für den Zeichner des Kopfes in der
Schwebe, so sprechen die Skizzen des Verso eindeutig für
Mini. Kopfstudien in der vorliegenden Art, auf der
Grundlage eingezogener Konstruktionslinien, ebenso die
Augenskizzen, die mäßige Aktskizze links verquer (letz-
tere nach Berenson auf einer Antike basierend, was nicht
überzeugt), der Tierkopf darüber sowie das Tierornament
rechts (ein sich in den Schwanz beißender Hund?), das
möglicherweise auf eine Vorlage zurückgeht, sind typische
Zeichnungsübungen dieses Gehilfen, dessen Hand zudem
durch die Beischriften mit ihrer teilweisen Wortwiederho-
lung erwiesen ist. (Vgl. als nächste Analogien zur Schrift
die Proben G und J bei Panofsky, ZfbK 1927/8 p. 234/5).
Das Blatt war ehedem mit einem Rahmen versehen, der
die Aufschrift von Mariette trug: »Quod imperitior arti-
fex laboriose deturpaverat, joculans ridicule reformavit.
Michael Angelus.«
Mariette, Abec£dario I p. 226 f.-f- (Recto); Chennevieres n.
1+ (Recto); Morelli, Kstchr. 1891/2 Sp. 290 f.: Fälschung
(Recto); BB 1728: Andrea (Recto), Mini (Verso); Frey,
Quellen und Forschungen p. 20 n. 11 — (Recto); Th 460
und Kr.U. I p. 63 f. 4- (Recto); Demonts n. 2 + (Recto);
Panofsky, M.Lit. Sp. 23 — (Recto); Br 2+ (Recto); Popp,
Belv. 1925 August p. 6, 19: Mini (Recto); Panofsky, ZfbK
1927/8 p. 242 Anm. 21 + (Recto); Delacre p. 8j f. +;
Wittkower, Warburg Journal I p. 183: Kopie (Recto); Gold-
scheider n. 199: B. Franco? (Recto).
645 (Abb. 237)
686 - Recto: Stehender frontaler Männerakt; Verso:
Entwurf eines Wandgrabs; Nischendetail; Profilkopf
eines Bärtigen.
Schw.Kr. (z. T. über Rötel: Recto) 385 1240 beschnitten.
Prov.: Jabach; Coypel.
Recto: Der Akt mit gesenktem Haupt im Profil nach
rechts, gebeugtem linkem Bein und gesenktem linkem Arm,
hochgezogener rechter Schulter mit Armansatz, dessen
Verlauf in schräger Richtung nach hinten weist, dürfte
schwerlich anders denn als Sklave zu deuten sein, welche
Vermutung bereits Frey und Thode und zuletzt eingehen-
der Wilde ausgesprochen haben; jedem der Forscher war
bei dieser Eingliederung die gewisse Verwandtschaft zu
dem Bärtigen der Boboli-Statuen aufgefallen, die einer-
seits durch das rechte Standbein, den durchgehenden ver-
tikalen Kontur auf derselben Seite, andererseits durch den
an den Körper eng anliegenden rechten Arm und das ge-
beugte Knie verdeutlicht wird. Das besagt aber nicht, daß
die Skizze als Originalzeichnung M’s anzusehen ist, denn
gegen diese Annahme spricht schon die zeichnerische Fak-
tur: die ganz weiche, tastende, zu immer neuen Ansätzen
ausholende Konturierung sowie die M. völlig fernliegende
Modellierung an der Schulter, am Rumpf, an den Beinen
und die Profilierung des Kopfes; gleichwohl aber läßt sie
keinen Zweifel offen, daß dem Kopisten ein Original des
Meisters zur Verfügung gestanden hatte, dessen Urtypus
noch in dem Wachsbozzetto der Casa B. für einen Sklaven
(Toi. IV Abb. 195) uns bewahrt ist und auf den nach Wil-
des Ansicht neben dem Zeichner des Louvre auch ein an-
derer garzone in den Skizzen von Recto und Verso in
Casa B. n. 27 A (Kat. n. 74) zurückgegriffen hatte. Da
jenes Wachsmodell nach Proportion und Formenbehand-
lung in vieler Hinsicht dem sog. »Sterbenden Sklaven« um
1514 nahesteht, dürfte es sich bei diesem also um eine Fas-
sung handeln, die wenig später (1515/16) von M. für
einen der Sklaven projektiert wurde und dann — freilich
nicht ohne eine Reihe von Abwandlungen — in dem sog.
»Bärtigen Sklaven« der Florentiner Akademie um 1518
ihre Gestaltung erfahren hatte. Diese Filiation scheint uns
mit ziemlicher Sicherheit die Louvre-Zeichnung zu bezeu-
gen, wodurch Berensons These, die Figur sei eine Kopie
nach dem Auferstehungschristus auf dem Verso des Tityos-
Blattes in Windsor, Cat.W. n. 429 (Kat. n. 241), hinfällig
wird, denn wenn auch gewisse Motive letzterer Figur zur
Louvre-Skizze verwandt erscheinen, so beweist dies nicht
mehr als M’s Kontinuität bereits formulierter statuarischer
Gedanken; im übrigen aber läßt der Vergleich beider
Zeichnungen hinreichend ersehen, daß der Kopist schwer-
lich ohne Vergewaltigungen der Vorlage (die in diesem
Fall eben nicht vorhanden sind) das Triumphalmotiv in
Windsor in ein solches der Fesselung, also der gehemmten
Aktivität, hätte verwandeln können. — Wilde hat 1928
die vorliegende Skizze als Schulwerk erklärt, ja sogar mit
Nachdruck hervorgehoben, daß Thodes Inanspruch-
nahme des Blattes für M. gar keiner Widerlegung mehr
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(Abb. 224)
684 - Recto: Faunskopf im Profil nach rechts; Verso:
Kopf-, Augenstudien; Torso; Tierornament.
Feder z. T. über Rötel 280 : 2x0.
Prov.: Mariette.
Recto: Auf dem Blatt befand sich ursprünglich ein weib-
licher Profilkopf mit hängenden Zöpfen in Rötel, über
den nachträglich die Federzeichnung des Faunskopfes auf-
getragen wurde. Ersterer stammt zweifellos von Mini,
worauf nicht allein die noch sichtbaren Rötelpartien wei-
sen, sondern ebenso eine Wiederholung in London, Samm-
lung Mond (Kat. n. 588). Die mäßige Skizze ist schon
von Mariette hervorgehoben worden, der sie hypothetisch
dem Minghella di Valdarno zugeschrieben hatte. Kommt
als Produkt Minis ein Datum vor 1521 nicht in Frage,
so erledigt sich dadurch von selbst Brinckmanns Annahme,
daß der Faunskopf in Michelangelos Frühzeit entstanden
sei. Bleibt aber auch zuzugeben, daß der subtile Federvor-
trag Erinnerungen an M’s ältere Manier wachruft, so ist
andererseits schwerlich zu erwarten, daß der Meister zu
Beginn der zwanziger Jahre sich so restlos einer alter-
tümlichen Faktur überlassen hätte, mindestens aber wäre
auch in diesem Fall sein damals herrschender Federstil
nicht völlig unterdrückt worden. Solche Momente machen
es höchst wahrscheinlich, daß die Zeichnung als Schöpfung
M’s ausscheidet. Berenson gibt das Recto seinem »An-
drea«, Popp und Wittkower glauben in dem Kopf Minis
Hand zu sehen; wo aber hätten wir bei dem kleinen Ta-
lent ein Analogon zu diesem meisterhaft graphischen Vor-
trag mit seinem metallisch scharfen Formcharakter? Selbst
als direkte Kopie dürfte Mini diese Leistung kaum zuge-
mutet werden. Panofsky stützt seine Zuschreibung an
Michelangelo unter Hinweis auf den verwandten Prozeß
bei dem Drachen in Oxford n. 13 (Kat. n. 343), wo eben-
falls eine anfängliche Rötelskizze Minis durch M’s Tier-
zeichnung in Feder überdeckt wurde; da beide den zwan-
ziger Jahren angehören, müßte dieselbe Vortragsart be-
gegnen, jedoch ist das Strichbild der Modellierung dort
und hier nur generell verwandt, und was die Konturie-
rung betrifft, so weicht das Faunsprofil entschieden von der
Oxforder Zeichnung ab. Goldscheiders versuchsweise
Attribution an B. Franco entbehrt hinreichender Par-
allelen, um vorerst näher erwogen zu werden. Bleibt somit
ein bündiger Name für den Zeichner des Kopfes in der
Schwebe, so sprechen die Skizzen des Verso eindeutig für
Mini. Kopfstudien in der vorliegenden Art, auf der
Grundlage eingezogener Konstruktionslinien, ebenso die
Augenskizzen, die mäßige Aktskizze links verquer (letz-
tere nach Berenson auf einer Antike basierend, was nicht
überzeugt), der Tierkopf darüber sowie das Tierornament
rechts (ein sich in den Schwanz beißender Hund?), das
möglicherweise auf eine Vorlage zurückgeht, sind typische
Zeichnungsübungen dieses Gehilfen, dessen Hand zudem
durch die Beischriften mit ihrer teilweisen Wortwiederho-
lung erwiesen ist. (Vgl. als nächste Analogien zur Schrift
die Proben G und J bei Panofsky, ZfbK 1927/8 p. 234/5).
Das Blatt war ehedem mit einem Rahmen versehen, der
die Aufschrift von Mariette trug: »Quod imperitior arti-
fex laboriose deturpaverat, joculans ridicule reformavit.
Michael Angelus.«
Mariette, Abec£dario I p. 226 f.-f- (Recto); Chennevieres n.
1+ (Recto); Morelli, Kstchr. 1891/2 Sp. 290 f.: Fälschung
(Recto); BB 1728: Andrea (Recto), Mini (Verso); Frey,
Quellen und Forschungen p. 20 n. 11 — (Recto); Th 460
und Kr.U. I p. 63 f. 4- (Recto); Demonts n. 2 + (Recto);
Panofsky, M.Lit. Sp. 23 — (Recto); Br 2+ (Recto); Popp,
Belv. 1925 August p. 6, 19: Mini (Recto); Panofsky, ZfbK
1927/8 p. 242 Anm. 21 + (Recto); Delacre p. 8j f. +;
Wittkower, Warburg Journal I p. 183: Kopie (Recto); Gold-
scheider n. 199: B. Franco? (Recto).
645 (Abb. 237)
686 - Recto: Stehender frontaler Männerakt; Verso:
Entwurf eines Wandgrabs; Nischendetail; Profilkopf
eines Bärtigen.
Schw.Kr. (z. T. über Rötel: Recto) 385 1240 beschnitten.
Prov.: Jabach; Coypel.
Recto: Der Akt mit gesenktem Haupt im Profil nach
rechts, gebeugtem linkem Bein und gesenktem linkem Arm,
hochgezogener rechter Schulter mit Armansatz, dessen
Verlauf in schräger Richtung nach hinten weist, dürfte
schwerlich anders denn als Sklave zu deuten sein, welche
Vermutung bereits Frey und Thode und zuletzt eingehen-
der Wilde ausgesprochen haben; jedem der Forscher war
bei dieser Eingliederung die gewisse Verwandtschaft zu
dem Bärtigen der Boboli-Statuen aufgefallen, die einer-
seits durch das rechte Standbein, den durchgehenden ver-
tikalen Kontur auf derselben Seite, andererseits durch den
an den Körper eng anliegenden rechten Arm und das ge-
beugte Knie verdeutlicht wird. Das besagt aber nicht, daß
die Skizze als Originalzeichnung M’s anzusehen ist, denn
gegen diese Annahme spricht schon die zeichnerische Fak-
tur: die ganz weiche, tastende, zu immer neuen Ansätzen
ausholende Konturierung sowie die M. völlig fernliegende
Modellierung an der Schulter, am Rumpf, an den Beinen
und die Profilierung des Kopfes; gleichwohl aber läßt sie
keinen Zweifel offen, daß dem Kopisten ein Original des
Meisters zur Verfügung gestanden hatte, dessen Urtypus
noch in dem Wachsbozzetto der Casa B. für einen Sklaven
(Toi. IV Abb. 195) uns bewahrt ist und auf den nach Wil-
des Ansicht neben dem Zeichner des Louvre auch ein an-
derer garzone in den Skizzen von Recto und Verso in
Casa B. n. 27 A (Kat. n. 74) zurückgegriffen hatte. Da
jenes Wachsmodell nach Proportion und Formenbehand-
lung in vieler Hinsicht dem sog. »Sterbenden Sklaven« um
1514 nahesteht, dürfte es sich bei diesem also um eine Fas-
sung handeln, die wenig später (1515/16) von M. für
einen der Sklaven projektiert wurde und dann — freilich
nicht ohne eine Reihe von Abwandlungen — in dem sog.
»Bärtigen Sklaven« der Florentiner Akademie um 1518
ihre Gestaltung erfahren hatte. Diese Filiation scheint uns
mit ziemlicher Sicherheit die Louvre-Zeichnung zu bezeu-
gen, wodurch Berensons These, die Figur sei eine Kopie
nach dem Auferstehungschristus auf dem Verso des Tityos-
Blattes in Windsor, Cat.W. n. 429 (Kat. n. 241), hinfällig
wird, denn wenn auch gewisse Motive letzterer Figur zur
Louvre-Skizze verwandt erscheinen, so beweist dies nicht
mehr als M’s Kontinuität bereits formulierter statuarischer
Gedanken; im übrigen aber läßt der Vergleich beider
Zeichnungen hinreichend ersehen, daß der Kopist schwer-
lich ohne Vergewaltigungen der Vorlage (die in diesem
Fall eben nicht vorhanden sind) das Triumphalmotiv in
Windsor in ein solches der Fesselung, also der gehemmten
Aktivität, hätte verwandeln können. — Wilde hat 1928
die vorliegende Skizze als Schulwerk erklärt, ja sogar mit
Nachdruck hervorgehoben, daß Thodes Inanspruch-
nahme des Blattes für M. gar keiner Widerlegung mehr
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