Die Denkmäler der deutschen Kunst.
3
werken in keiner Weise nachstehen? Während aber die Geschichte der älteren Peri-
oden der klassischen Kunst schon seit mehr als IOO Jahren nach allen Richtungen
hin systematisch durchgeforscht wurde, sind wir in der Geschichte der mittelalter-
lichen Kunst mit geringen Ausnahmen bei einzelnen Denkmalgruppen und insbe-
sondere was den Gesamtverlauf der deutschen Kunst anbelangt, nicht wesentlich
darüber hinausgekommen, was auch vor 50 Jahren und früher bereits bekannt ge-
wesen ist. Wie damals teilen wir sie auch noch heute nach gewissen konstruierten
Stilbegriffen, welche von historisierenden Architekten, die von dem kontinuierlichen
Werden der Kunst keine Ahnung hatten, erfunden wurden, in dogmatische Stil-
perioden ein, die sich zu der Fülle der künstlerischen Strömungen und Erscheinun-
gen, zu dem heißen ununterbrochenen Ringen um die Bewältigung der künstlerischen
Probleme im Mittelalter wie eine Papierblume zu einer blühenden Wiese verhalten.
Wie lange hat es gedauert, bis man überhaupt erkannte, wo sich die gotische
Kunst, diese Verkörperung der künstlerischen Gewalten, die in der nachantiken
Entwicklung der Kunst gelegen waren, zuerst zu einer klaren, durchgreifenden
stilistischen Formulierung durchgerungen hat und wie wenig hat man seitdem über
den Werdegang dieser neuen Kunst, die die Überwindung der Antike bedeutet,
ermittelt 1 Es war geradezu ein Zufall, daß man, durch die Übereinstimmung von
exzeptionellen künstlerischen Motiven darauf aufmerksam gemacht, die .engen Be-
ziehungen der deutschen Skulptur des 13. Jahrhunderts zu der gleichzeitigen fran-
zösischen entdeckte. Seitdem hat man wohl diesen französischen Einfluß nach ver-
schiedenen Richtungen hin weiter verfolgt, doch ohne auch nur zu versuchen, in
das eigentliche Wesen der so merkwürdigen deutschen frühgotischen Skulptur ein-
zudringen, das sie trotz aller französischen Einflüsse von der französischen Kunst
unterscheidet und ohne Zweifel nicht minder als die französischen oder italienischen
Errungenschaften für die Geschichte der mittelalterlichen Kunst über lokale Grenzen
hinaus von größter Bedeutung war. Und dies ist nur ein symptomatischer Fall.
Die deutsche Malerei des 15., die deutsche Skulptur des 16., die deutsche Architektur
des 17. und 18. Jahrhunderts sind uns in ihrer Gesamtentwicklung und entwicklungs-
geschichtlichen Bedeutung beinahe weniger bekannt, als etwa die Entwicklung
der chinesischen oder japanischen Kunst. Nur aus dieser Unkenntnis — man
kann da mit voller Berechtigung von einem argumentum ex ignorantia sprechen —
erklärt es sich, daß noch heute vielfach die Meinung verbreitet ist, die deutsche
Kunst wäre in ihrem ganzen Verlaufe immer mehr oder weniger nur rezeptiv
gewesen.
Diese geringen Fortschritte in der Erforschung der deutschen Kunst sind um
so auffallender, als ja die Studien zur deutschen Kunstgeschichte wie Pilze nach
einem warmen Regen wachsen. Doch wenn man objektiv die Sachlage betrachtet,
entdeckt man bald, daß es wohl zuweilen gelingt, aus dem Knäuel der ungelösten
verworrenen Fragen diesen oder jenen Faden hervorzuziehen, wodurch aber zu-
1
3
werken in keiner Weise nachstehen? Während aber die Geschichte der älteren Peri-
oden der klassischen Kunst schon seit mehr als IOO Jahren nach allen Richtungen
hin systematisch durchgeforscht wurde, sind wir in der Geschichte der mittelalter-
lichen Kunst mit geringen Ausnahmen bei einzelnen Denkmalgruppen und insbe-
sondere was den Gesamtverlauf der deutschen Kunst anbelangt, nicht wesentlich
darüber hinausgekommen, was auch vor 50 Jahren und früher bereits bekannt ge-
wesen ist. Wie damals teilen wir sie auch noch heute nach gewissen konstruierten
Stilbegriffen, welche von historisierenden Architekten, die von dem kontinuierlichen
Werden der Kunst keine Ahnung hatten, erfunden wurden, in dogmatische Stil-
perioden ein, die sich zu der Fülle der künstlerischen Strömungen und Erscheinun-
gen, zu dem heißen ununterbrochenen Ringen um die Bewältigung der künstlerischen
Probleme im Mittelalter wie eine Papierblume zu einer blühenden Wiese verhalten.
Wie lange hat es gedauert, bis man überhaupt erkannte, wo sich die gotische
Kunst, diese Verkörperung der künstlerischen Gewalten, die in der nachantiken
Entwicklung der Kunst gelegen waren, zuerst zu einer klaren, durchgreifenden
stilistischen Formulierung durchgerungen hat und wie wenig hat man seitdem über
den Werdegang dieser neuen Kunst, die die Überwindung der Antike bedeutet,
ermittelt 1 Es war geradezu ein Zufall, daß man, durch die Übereinstimmung von
exzeptionellen künstlerischen Motiven darauf aufmerksam gemacht, die .engen Be-
ziehungen der deutschen Skulptur des 13. Jahrhunderts zu der gleichzeitigen fran-
zösischen entdeckte. Seitdem hat man wohl diesen französischen Einfluß nach ver-
schiedenen Richtungen hin weiter verfolgt, doch ohne auch nur zu versuchen, in
das eigentliche Wesen der so merkwürdigen deutschen frühgotischen Skulptur ein-
zudringen, das sie trotz aller französischen Einflüsse von der französischen Kunst
unterscheidet und ohne Zweifel nicht minder als die französischen oder italienischen
Errungenschaften für die Geschichte der mittelalterlichen Kunst über lokale Grenzen
hinaus von größter Bedeutung war. Und dies ist nur ein symptomatischer Fall.
Die deutsche Malerei des 15., die deutsche Skulptur des 16., die deutsche Architektur
des 17. und 18. Jahrhunderts sind uns in ihrer Gesamtentwicklung und entwicklungs-
geschichtlichen Bedeutung beinahe weniger bekannt, als etwa die Entwicklung
der chinesischen oder japanischen Kunst. Nur aus dieser Unkenntnis — man
kann da mit voller Berechtigung von einem argumentum ex ignorantia sprechen —
erklärt es sich, daß noch heute vielfach die Meinung verbreitet ist, die deutsche
Kunst wäre in ihrem ganzen Verlaufe immer mehr oder weniger nur rezeptiv
gewesen.
Diese geringen Fortschritte in der Erforschung der deutschen Kunst sind um
so auffallender, als ja die Studien zur deutschen Kunstgeschichte wie Pilze nach
einem warmen Regen wachsen. Doch wenn man objektiv die Sachlage betrachtet,
entdeckt man bald, daß es wohl zuweilen gelingt, aus dem Knäuel der ungelösten
verworrenen Fragen diesen oder jenen Faden hervorzuziehen, wodurch aber zu-
1