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Dvořák, Max
Geschichte der italienischen Kunst im Zeitalter der Renaissance: Akademische Vorlesungen (Band 1): Das 14. u. 15. Jahrhundert — Muenchen, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.42342#0235
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REFORM

lerischen Werkstattbetriebs war, verwandelt seine Genialität — wie
uns seine Manuskripte lehren — in ein Instrument der gedanklichen
Arbeit und der ganzen Weltanschauung. Wir wissen, daß Leonardo
sein ganzes Leben lang die Gewohnheit hatte, seine Gedanken und
Beobachtungen aufzuzeichnen und zu illustrieren. Obwohl ein großer
Teil dieser Aufzeichnungen verlorenging, haben sich uns doch über
7000 Seiten erhalten, die zu den kostbarsten Denkmälern der Geistes-
geschichte zählen. Was sie enthalten, beruht auf jener zweifachen,
oder besser gesagt, dreifachen Gabelung der Interessen, die wir be-
reits kennengelernt haben und die nun aus dem Bereiche des rein
Künstlerischen in den Bereich des allgemein Gedanklichen über-
tragen wurden: Probleme der Naturbeobachtung, technische Pro-
bleme und die bewußte Ausbildung der Kunst im Zusammenhang
mit diesen beiden Wissensgebieten. Zum Teil waren diese Aufzeich-
nungen spontan, verschiedenen Einfällen und Wahrnehmungen ent-
sprechend, ein illustriertes Tagebuch, zum Teil hängen sie mit be-
stimmten literarischen Projekten zusammen. So wissen wir, daß
Leonardo ein großes Werk über die Anatomie des Menschen vorbe-
reitet hat. Die Einleitung hat sich erhalten, und wir erfahren daraus,
daß das Ganze 120 Bücher hätte umfassen sollen. Es hätte den
menschlichen Körper, den Leonardo Mikrokosmos nennt, in allen
seinen Teilen und Funktionen unter ständiger Heranziehung von
Beispielen aus der Tierwelt auf das eingehendste behandeln sollen.
Gegen 800 Zeichnungen dazu besitzen wir noch in verschiedenen
Sammlungen zerstreut, und als man im vorigen Jahrhundert die
ersten veröffentlichte, war man voll Bewunderung für die Exaktheit
und Schärfe der Beobachtung, mit der einzelne Organe dargestellt
sind, die so weit geht, daß die Zeichnungen auch heute noch ihren
wissenschaftlichen Wert behalten haben. Außer der Anatomie scheint
Leonardo auch eine Optik und eine Hydrostatik geplant zu haben
und mehrere kunsttheoretische Schriften, für die ebenfalls nicht
wenig Material vorliegt. Das Wichtigste dieser Untersuchungen be-
stand darin, daß durch sie der Wissenschaft die Errungenschaften
der exakten Darstellung der Objekte dienstbar gemacht wurden.
Welche ungeheure Bedeutung eine exakte Illustration, oder mit
anderen Worten eine getreue Aufnahme des Befundes für die heutige
Wissenschaft besitzt, die ja davon ganz und gar abhängig ist, bedarf
wobl keiner Erläuterung. In den vorangehenden Zeiten, auch die

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