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deutschen Sage, mischen alle Formen der Poesie, überströmen an
malerischen und musikalischen Motiven und feiern einen
„Karneval“ der Natur, die hier mit tausend Zungen spricht. Beide
Dichtungen sehen trotz der dramatischen Form von der wirk-
lichen Bühne vollständig ab und spielen in einer fantastischen Welt.
Tiek, durch diese Schöpfungen überreizt, krank, von nervösen
Anfällen, Starrkrämpfen, fixen Ideen gequält, von Jakob Böhme in
die Mystiker und Kirchenväter gelockt, von der Angst gepeinigt, eine
geheime Magie verfolge ihn, schloss allmälig den ersten Zeitraum
seines Wirkens; der zweite war, von der Sammlung seiner Erzäh-
lungen unter dem Gesammttitel „Fantasus“ abgesehen , der Kritik
und Literargeschichte geweiht, erst der dritte neuer dichterischer
Thätigkeit, der Novelle.
Zunächst konnte auch Italiens Himmel den erstorbenen Dichter
in Tiek’s Brust nicht wachrufen. Selbst Rom nicht (1805), das
eine zweite Station der Romantik wurde, und das selbst der
klare Wilhelm von Humboldt (1802—1809 preussischer Resident
daselbst) im Geiste der Romantiker so begrüsste: „Unsere neue
Welt ist eigentlich gar keine; sie besteht blos in einer Sehnsucht
nach der vormaligen und einem ungewissen Tappen nach einer zu-
nächst zu bildenden. In diesem heillosesten aller Zustände
suchen Fantasie und Empfindung einen Ruhe p unkt
und finden ihn nur in Rom.“
Tiek’s Frau und Tochter Dorothea fanden ihn und wurden in
Rom katholisch. Ob er selbst? Es war eine vielbestrittene Frage, That-
sache aber, dass er jungen Künstlern den Katholizismus aus ästhe-
tischen Gründen empfahl. Sollen wir ihn etwa über seine Gefährten
erheben, weil er seinem ursprünglichen Glauben treu blieb und nur
in der Kunst mit dem Katholizismus buhlte ? Kann man als Künstler
lieben, was man im Leben nicht wählt? Kann man eine doppelte
Buchhaltung führen, Protestant im Leben, Katholik in der Kunst
sein? Die romantische Ironie gestattete es freilich, in der
„Genoveva“ mit allen Glocken zu läuten und im Hintergründe
eine grinsende Fratze zu ziehen; eine solche Poesie bleibt aber
dem Volke fremd, es fehlt ihr auch das herzenbezwingende, nur
aus der Ueberzeugung aufstürmende Pathos; sie kann in ihrer
Schalheit zu der Selbstverachtung, in das Irrenhaus, zum Selbstmord
deutschen Sage, mischen alle Formen der Poesie, überströmen an
malerischen und musikalischen Motiven und feiern einen
„Karneval“ der Natur, die hier mit tausend Zungen spricht. Beide
Dichtungen sehen trotz der dramatischen Form von der wirk-
lichen Bühne vollständig ab und spielen in einer fantastischen Welt.
Tiek, durch diese Schöpfungen überreizt, krank, von nervösen
Anfällen, Starrkrämpfen, fixen Ideen gequält, von Jakob Böhme in
die Mystiker und Kirchenväter gelockt, von der Angst gepeinigt, eine
geheime Magie verfolge ihn, schloss allmälig den ersten Zeitraum
seines Wirkens; der zweite war, von der Sammlung seiner Erzäh-
lungen unter dem Gesammttitel „Fantasus“ abgesehen , der Kritik
und Literargeschichte geweiht, erst der dritte neuer dichterischer
Thätigkeit, der Novelle.
Zunächst konnte auch Italiens Himmel den erstorbenen Dichter
in Tiek’s Brust nicht wachrufen. Selbst Rom nicht (1805), das
eine zweite Station der Romantik wurde, und das selbst der
klare Wilhelm von Humboldt (1802—1809 preussischer Resident
daselbst) im Geiste der Romantiker so begrüsste: „Unsere neue
Welt ist eigentlich gar keine; sie besteht blos in einer Sehnsucht
nach der vormaligen und einem ungewissen Tappen nach einer zu-
nächst zu bildenden. In diesem heillosesten aller Zustände
suchen Fantasie und Empfindung einen Ruhe p unkt
und finden ihn nur in Rom.“
Tiek’s Frau und Tochter Dorothea fanden ihn und wurden in
Rom katholisch. Ob er selbst? Es war eine vielbestrittene Frage, That-
sache aber, dass er jungen Künstlern den Katholizismus aus ästhe-
tischen Gründen empfahl. Sollen wir ihn etwa über seine Gefährten
erheben, weil er seinem ursprünglichen Glauben treu blieb und nur
in der Kunst mit dem Katholizismus buhlte ? Kann man als Künstler
lieben, was man im Leben nicht wählt? Kann man eine doppelte
Buchhaltung führen, Protestant im Leben, Katholik in der Kunst
sein? Die romantische Ironie gestattete es freilich, in der
„Genoveva“ mit allen Glocken zu läuten und im Hintergründe
eine grinsende Fratze zu ziehen; eine solche Poesie bleibt aber
dem Volke fremd, es fehlt ihr auch das herzenbezwingende, nur
aus der Ueberzeugung aufstürmende Pathos; sie kann in ihrer
Schalheit zu der Selbstverachtung, in das Irrenhaus, zum Selbstmord