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nachrühmen, dass sie zum guten Theile auch deshalb in das Ver-
derben gerieth, weil sie dem nationalen Geiste treu bleiben,
vom volksthümlichen Drama des Mittelalters nicht lassen wollte.
Unsere Poesie war gelehrt, unsere ganze Bildung französich geworden,
nur unsere Schauspielkunst war toll genug, deutsch sein zu wollen.
Da ihr nirgends neue heimische Bildungs eie mente zuflossen, nur
der Pöbel noch an ihr hing, sank sie zu diesem herab.
Ein Mann, Velthen, hatte sie aller Form entbunden; ein Weib
sollte sie zu der Form zurückführen, ohne welche ja keine Kunst
bestehen kann. Freilich war diese Form eine fremde; Karoline
Ne über und Professor Gottsched schickten die arme deutsche
Schauspielkunst in eine lange französische Lehrzeit, aus der sie
ziemlich anständig und radebrechend, aber freilich undeutsch genug
zurückkam. Die Neuberin kämpfte für ein Prinzip, das zwar nicht
das letzte und echte, aber das vom Augenblicke gebotene war, wie
eine Heldin, — 1738 erschien sie zum ersten Male ohne Harlekin —
auch wiederholt in Hamburg. Die Alexandrinertragödien fanden
nur langsam ein dankbares Publikum; der deutsche Geist, dunkel
eine nationale Bühne ahnend, widerstrebte diesen Trauerspielen auf
Stelzen lange Zeit. Die leidenschaftliche Führerin dieses Kampfes
wandte sich mehr als einmal an das Publikum, warf ihm mit dem
Fanatismus eines reformatorischen Geistes Mangel an Verständniss
vor und ging hierin in Hamburg so weit, dass ihr der Senat zuletzt
die dortige Bühne verschloss. Sie starb als eine Bettlerin.
Immerhin, war sie doch des Glückes theilhaftig geworden,
ihren Namen an den zu knüpfen, welcher der Mittelpunkt dieses
Vortrages werden soll, Lessing dem deutschen Volke v o r-
zuführen, den ersten, lange erwarteten Bühnendichter der Nation.
Dieser Riesengeist war auf einer Reihe von Gebieten thätig, aber
keinem lebte er mit solcher konzentrirten Kraft wie dem der Bühne.
Ueberall ein Reformator, sah er doch darin seine Hauptaufgabe,
das deutsche Theater zu reformiren, ein nationales
zu schaffen.
Was machte Lessing zum Dramatiker?
Er war eine Natur des Kampfes und der That. Kampf ist
aber auch die Seele des Dramas, und gerade deshalb zieht es die
bewegtesten Geister an, weil das echte Drama selbst eine That; er
 
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