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Ehmer, Hermann; Stadtarchiv <Schwäbisch Gmünd> [Hrsg.]
Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd — Stuttgart, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.42374#0215
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Gmünd im Spätmittelalter

täglich drei Paternoster, drei Ave-Maria und noch eine Anzahl anderer Gebete für
den Stifter zu sprechen, tritt der Charakter der Stiftung als Seelgerät besonders deut-
lich hervor.82 Bereits 1414 begannen die Pfleger des Seelgeräts mit dem Erwerb eines
umfangreichen Landbesitzes.83
Dem Rat waren die Stiftungsbedingungen allerdings zu wenig flexibel, er wünschte
eine allgemeine Studienstiftung für Bürgersöhne und erreichte noch zu Lebzeiten des
Stifters dessen Einverständnis zur Verteilung des Zinses unter mehreren Studenten
aller Lächer.84 In einer Urkunde von 1467 erkannte Sixt Im Steinhaus als nächster
Verwandter des Stifters das Verfahren des Rats an.85 Dagegen führte derDonauwör-
ther Pfarrer Georg Feyerabend aus einer Gmünder Lamilie in den Jahren 1475 bis
1483 einen äußerst langwierigen, in zwei Instanzen vor der Augsburger Kurie ver-
handelten Prozeß gegen die Stadt. Das umfangreiche Schriftgut der zwei Prozesse
bildet eine noch nicht ausgeschöpfte Quelle zur Bildungsgeschichte des 15. Jahrhun-
derts.86 Leyerabend wollte die ursprünglichen Stiftungsbestimmungen angewendet
wissen und klagte auf Förderung als Student des kanonischen Rechts, unterlag
jedoch in beiden Instanzen. 1483 bestätigte der Augsburger Generalvikar Johannes
Gossolt im Namen des Papstes dem Rat die angewandte Praxis der Stipendienverga-
be.87 Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Steinhäuser-Stiftung, die sich zu einer der
reichsten Gmünder Stiftungen entwickelte und deren Kapital 1870 auf 23 154 fl.
angewachsen war,88 erloschen.
Als Beispiel für die Aufstiegschancen durch gelehrte Bildung sollen abschließend
zwei aus Gmünd stammende Gelehrtenfamilien behandelt werden: die Vener, eines
der ältesten Stadtgeschlechter,89 und die Baidung, deren soziale Herkunft in Hand-
werkerkreisen zu suchen ist.
Der Wandel der Vener vom »stadtadligen« Geschlecht zur Beamtenfamilie im Dienst
geistlicher und weltlicher Fürsten vollzog sich in bewußter Abkehr von der Heimat-
stadt: »Man hat den Eindruck, daß der kräftigere, begabtere Teil der Familie Gmünd
verließ, neue Verhältnisse suchte.«90 Um 1350 studierte Reinbold Vener in Paris und
Bologna. »Meister Reinbold von Gmünd« ließ sich in Straßburg nieder, trat als Offi-
zial in den Dienst des Bischofs und begründete als verheirateter, nur mit den niede-
ren Weihen versehener Kleriker den Straßburger Zweig der Familie. Auch sein Bru-
der Nikolaus, Lorcher Benediktiner, hatte in Bologna studiert. Bevor er nach Lorch
zurückkehrte, wirkte er lange Jahre als Advokat des Konstanzer Bischofs, später als
Schreiber der Stadt Konstanz und Augsburger Offizial. Dem Stolz auf die erworbe-
ne Gelehrsamkeit verlieh der Autor lateinischer Traktate einmal mit einer kühnen
Etymologie des Familiennamens Ausdruck: Vener leite sich von dem Wort »venera-
bilis« (verehrungswürdig) ab, das am Anfang zahlreicher Texte des Corpus iuris
canonici stehe.91
 
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