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Einstein, Carl
Propyläen-Kunstgeschichte (Band 16): Die Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts — Berlin, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.42163#0127
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im Porträt erarbeitet er seinen Flächen Charakterisierung (Abb. 386, 390).
Kein reicher, beweglicher Stil; man monumentet etwas klötzem, doch streng
, und ehrlich. Frühkubismus und afrikanische Volumentrennung werden an-
gewendet. In wuchtig breite Holzschnitte (Abb. 387) baut er die Erfahrung
flächenhaften Raumgestaltens. Man ist zufrieden, daß billige, süßliche Orna-
mentik vermieden wird. Gewiß, das Schema des Schmidt-Rottluff läuft
eng, doch dankt man ihm Konzentration zur Form; daß er das Bild nicht
durch außervisuelle Mittel wirken lassen will und sich sparsam ehrliche Ge-
stalt baut, die nicht durch literarische Hilfen optische Einheit stört, um mit
gemischt summierender Wirkung unredlichen Gewinn zu heimsen. So wirken
seine Arbeiten abgegrenzter, entschlossener, und man mag vor ihnen Reineres
verspüren, da unkontrollierbares Gefasel vermieden wird. Gewiß, Rottluff wie-
derholt seine engen Mittel, spielt mit wenigen gleichen Farbgegensätzen, sein
Schwarzweiß steht hölzern, fast asketisch lehrhaft gegeneinander; doch wagte
er mehr zu geben als spielerischen Schmuck. Wie der frühe Picasso bricht
er Gestalt in gegensätzliche einfache Flächenelemente (Abb. 388, 389). Dies
war, da Rottluff 1919 solche Lösung versuchte, nicht neu, doch es bleibt ihm
das Verdienst, grob, einseitig, aber ehrlich eine Lösung des entscheidenden
Volumens versucht zu haben. Die an ihm vielgepriesene herbe Strenge zeigt
etwas übersteigerte Kraft und Beschränktheit optischen Vorstellens. Doch
erfreut die Hierarchie einer Form, die allerdings recht begrenztes, doch ent-
schlosseneres Formerfinden anzeigt.

ERNST LUDWIG KIRCHNER

Kirchner — geboren 1880 zu Aschaffenburg — war wohl der bewegliche
und leidenschaftliche unter den jungen ,,Brücke“-Genossen, der widerstrebt,
einem Schema sich zu ergeben. Im Atelier dieses sucherischen Menschen
fanden sich in Dresden um 1900 Heckel und Schmidt - Rottluff ein. 1903
schloß man sich zur „Brücke" zusammen. Man arbeitet und zeichnet im
Atelier oder an den Moritzburger Seen bei Dresden. Am nächsten mag
Kirchner der junge Heckel gestanden haben, dessen spätere Malerei mild
zerfloß. 1904 findet Kirchner im Dresdener Museum Exoten, indische Wand-
malereien in einem englischen Werk und zeigt sie den Freunden. Man
arbeitet, gewinnt sich schmale Wirkung. 1909 zieht Kirchner nach Berlin;
er verläßt 1913 die Brücke; 1918 geht der Schwerkranke nach Davos und
arbeitet seitdem in strenger Abgeschlossenheit in den Bergen.
Kirchner zeigt von Beginn an die stärkste Sensibilität, delikat schwingende
Farbe, persönlich umrissene Zeichnung. Wir freuen uns, die schnittige Kraft
dieses oft hinreißenden Künstlers feststellen zu dürfen.
In der Zeichnung weist Kirchner freie Ursprünglichkeit wie kaum einer
der Deutschen. Bei der Kirchnerschen Zeichnung fällt eines auf: er gibt
nicht Eindruck, der nachträglich stilisiert wird, sondern Motiv erscheint ihm

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