B. EINLEITUNG: DEFINITION DES UNTERSUCHUNGS-
GEGENSTANDS UND DER TERMINOLOGIE
1. Thema der Arbeit
„[...] die ‘Barockisierung’ älterer Bauten -
eine Gestaltungsaufgabe, die noch kaum in
größerem Zusammenhang zur Kenntnis ge-
nommen worden ist.“2
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist
die Umgestaltung mittelalterlicher Kirchen
zwischen Reformation und Säkularisation.
Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf
Süddeutschland, es werden aber auch die
Kirchenumbauten der wichtigsten Nach-
barländer Italien, Frankreich, Österreich
und Böhmen in jeweils eigenen Kapiteln
vorgestellt. In einem Überblickskapitel zu
Deutschland soll der Einfluß der Konfes-
sionsbildung auf diese Frage untersucht
werden. In Exkursen wird die Geschichte
dieser Kirchen im 19. und 20. Jahrhundert
beleuchtet.
Der gewählte Zeitraum zwischen 1555 und
1803 kann nicht ohne weiteres mit der
Epochenbezeichnung „Barock“ gleichge-
setzt werden, von welcher sich der bisher in
der Forschung für solche Umgestaltungen
geläufige Begriff „Barockisierung“ ableitet,
der im folgenden kritisiert und durch einen
neuen Terminus Renovatio (ecclesiae) er-
setzt werden soll3.
Es handelt sich um eine Überblicksarbeit,
die sich auf zwei grundlegende Erkennt-
nisquellen stützt: die Autopsie einer ver-
gleichenden Betrachtung und Analyse der
hier besprochenen Bauten sowie die Aus-
wertung der zahlreichen diesbezüglichen
Einzeluntersuchungen durch die bisherige
kunsthistorische Forschung. Eigene Ar-
chivforschungen wurden nicht vorgenom-
men, weil sie im Rahmen einer Dutzende
von Bauten umfassenden Betrachtung we-
der sinnvoll noch möglich erscheinen. Es
fehlt bei der Untersuchung dieses Gegen-
standes keineswegs an monographischen
Einzeldarstellungen, sondern am Versuch
eines synthetischen Überblicks, einer Zu-
sammenfassung und vergleichenden Be-
wertung, die erst die Einordnung der zahl-
reichen, aber meist isolierten Einzelbefun-
de ermöglicht.
Es soll versucht werden, die Entwicklung
dieser „Bau-Aufgabe“4 gemäß der ebenso
alten wie utopischen Forderung Rankes zu
schildern: „Zu beschreiben, wie es eigent-
lich gewesen“, d.h.: Kirchenumgestaltungen
in ihrer ganzen Vielfalt zu erfassen und
Prinzipien, Ordnungskriterien und Charak-
teristika dieser Architekturgattung aufzu-
zeigen. Deshalb wird bewußt nicht der Ver-
such unternommen, eine im Voraus postu-
lierte These zu bestätigen; vielmehr sollen
allein aus dem Denkmälerbefund Kriterien
zu dessen Ordnung und Charakterisierung
entwickelt werden.
Genauso wenig empfiehlt es sich, eine Aus-
wahl nach „qualitativen“ oder „autonom-
künstlerischen“ Kriterien zu treffen5, also
nur die subjektiv „gelungensten“ oder „be-
deutendsten“ Beispiele zu besprechen. Viel-
mehr sollen möglichst verschiedene Formen
der Umgestaltung vorgestellt werden, die
für jeweils unterschiedliche Tendenzen des
Umgangs mit mittelalterlichen Kirchenbau-
ten als exemplarisch gelten können. Nur
wenn große und kleine, reiche und arme
Bauten, Pfarr-, Wallfahrts-, Bischofs- und
Klosterkirchen aller Epochen und Regionen
betrachtet werden, entsteht ein Überblick,
der einen gewissen Anspruch auf Reprä-
sentativität erheben kann. Dies mag zu ei-
nem Teil den Umfang dieser Arbeit recht-
fertigen.
Um die Basis dieser vergleichenden Studie
transparent zu machen und für weitere
Einzeluntersuchungen ein die Einordnung
und Bewertung erleichterndes „Koordina-
tensystem“ bereitzustellen, wird der analy-
tische Teil der Arbeit von einem Katalog
2 Lorenz 2000, S. 425.
3 Die Bildung (und Durchsetzung) solcher
kunsthistorischer Neologismen ist immer
problematisch. Sie erscheint aber gerecht-
fertigt und kann sich anregend auf die For-
schungsdiskussion auswirken, wenn mit
dem neugeprägten Terminus zugleich auch
eine veränderte wissenschaftliche Aussage,
eine neue inhaltliche Qualität verbunden
wird. Als Beispiele seien hier das von Wer-
ner Busch definierte „Sentimentalische
Bild" (1993) für eine neue Gattung des Hi-
storienbildes um 1800, der von Emil Kauf-
mann vorgeschlagene suggestive, aber un-
scharfe Terminus „Revolutionsarchitektur"
(1952) und der von Frank Bertolt Raith ge-
prägte Begriff des „Heroischen Stils" (1997)
für jene Architektur um 1930 gelten, die
weder mit den Termini „Neoklassizismus",
„Traditionalismus" noch „Neues Bauen" zu-
treffend zu beschreiben ist.
4 Lorenz 1976, S. 66: „Der Begriff „Bau-Auf-
gabe", in dem das Vorgegebensein eines ar-
chitektonisch zu lösenden Formproblems
und die Bewältigung der realiter gegebenen
Fakten (Ambiente, Auftraggeber, topogra-
phische und urbanistische Situation usw.)
anklingt, versteht sich dabei etwa synonym
mit dem Begriff „Formgelegenheit", dessen
Einführung sich schon mehrfach in jenen
Fällen als fruchtbar erwiesen hat, wo die
kunsthistorische Forschung überden mono-
graphischen Aspekt den Blick auf die Ent-
wicklung des gesamten Mediums (in unse-
rem Falle: der Architektur] bzw. einzelner
„Aufgaben" desselben zu vergessen oder zu
vernachlässigen Gefahr lief."
5 Solche Kriterien könnten etwa die Bedeu-
tung der beteiligten Künstler, Größe und
Aufwand der getroffenen Maßnahmen, der
erreichte Grad der Modernisierung oder die
Nähe zum Neubau der jeweiligen Epoche
sein.
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GEGENSTANDS UND DER TERMINOLOGIE
1. Thema der Arbeit
„[...] die ‘Barockisierung’ älterer Bauten -
eine Gestaltungsaufgabe, die noch kaum in
größerem Zusammenhang zur Kenntnis ge-
nommen worden ist.“2
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist
die Umgestaltung mittelalterlicher Kirchen
zwischen Reformation und Säkularisation.
Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf
Süddeutschland, es werden aber auch die
Kirchenumbauten der wichtigsten Nach-
barländer Italien, Frankreich, Österreich
und Böhmen in jeweils eigenen Kapiteln
vorgestellt. In einem Überblickskapitel zu
Deutschland soll der Einfluß der Konfes-
sionsbildung auf diese Frage untersucht
werden. In Exkursen wird die Geschichte
dieser Kirchen im 19. und 20. Jahrhundert
beleuchtet.
Der gewählte Zeitraum zwischen 1555 und
1803 kann nicht ohne weiteres mit der
Epochenbezeichnung „Barock“ gleichge-
setzt werden, von welcher sich der bisher in
der Forschung für solche Umgestaltungen
geläufige Begriff „Barockisierung“ ableitet,
der im folgenden kritisiert und durch einen
neuen Terminus Renovatio (ecclesiae) er-
setzt werden soll3.
Es handelt sich um eine Überblicksarbeit,
die sich auf zwei grundlegende Erkennt-
nisquellen stützt: die Autopsie einer ver-
gleichenden Betrachtung und Analyse der
hier besprochenen Bauten sowie die Aus-
wertung der zahlreichen diesbezüglichen
Einzeluntersuchungen durch die bisherige
kunsthistorische Forschung. Eigene Ar-
chivforschungen wurden nicht vorgenom-
men, weil sie im Rahmen einer Dutzende
von Bauten umfassenden Betrachtung we-
der sinnvoll noch möglich erscheinen. Es
fehlt bei der Untersuchung dieses Gegen-
standes keineswegs an monographischen
Einzeldarstellungen, sondern am Versuch
eines synthetischen Überblicks, einer Zu-
sammenfassung und vergleichenden Be-
wertung, die erst die Einordnung der zahl-
reichen, aber meist isolierten Einzelbefun-
de ermöglicht.
Es soll versucht werden, die Entwicklung
dieser „Bau-Aufgabe“4 gemäß der ebenso
alten wie utopischen Forderung Rankes zu
schildern: „Zu beschreiben, wie es eigent-
lich gewesen“, d.h.: Kirchenumgestaltungen
in ihrer ganzen Vielfalt zu erfassen und
Prinzipien, Ordnungskriterien und Charak-
teristika dieser Architekturgattung aufzu-
zeigen. Deshalb wird bewußt nicht der Ver-
such unternommen, eine im Voraus postu-
lierte These zu bestätigen; vielmehr sollen
allein aus dem Denkmälerbefund Kriterien
zu dessen Ordnung und Charakterisierung
entwickelt werden.
Genauso wenig empfiehlt es sich, eine Aus-
wahl nach „qualitativen“ oder „autonom-
künstlerischen“ Kriterien zu treffen5, also
nur die subjektiv „gelungensten“ oder „be-
deutendsten“ Beispiele zu besprechen. Viel-
mehr sollen möglichst verschiedene Formen
der Umgestaltung vorgestellt werden, die
für jeweils unterschiedliche Tendenzen des
Umgangs mit mittelalterlichen Kirchenbau-
ten als exemplarisch gelten können. Nur
wenn große und kleine, reiche und arme
Bauten, Pfarr-, Wallfahrts-, Bischofs- und
Klosterkirchen aller Epochen und Regionen
betrachtet werden, entsteht ein Überblick,
der einen gewissen Anspruch auf Reprä-
sentativität erheben kann. Dies mag zu ei-
nem Teil den Umfang dieser Arbeit recht-
fertigen.
Um die Basis dieser vergleichenden Studie
transparent zu machen und für weitere
Einzeluntersuchungen ein die Einordnung
und Bewertung erleichterndes „Koordina-
tensystem“ bereitzustellen, wird der analy-
tische Teil der Arbeit von einem Katalog
2 Lorenz 2000, S. 425.
3 Die Bildung (und Durchsetzung) solcher
kunsthistorischer Neologismen ist immer
problematisch. Sie erscheint aber gerecht-
fertigt und kann sich anregend auf die For-
schungsdiskussion auswirken, wenn mit
dem neugeprägten Terminus zugleich auch
eine veränderte wissenschaftliche Aussage,
eine neue inhaltliche Qualität verbunden
wird. Als Beispiele seien hier das von Wer-
ner Busch definierte „Sentimentalische
Bild" (1993) für eine neue Gattung des Hi-
storienbildes um 1800, der von Emil Kauf-
mann vorgeschlagene suggestive, aber un-
scharfe Terminus „Revolutionsarchitektur"
(1952) und der von Frank Bertolt Raith ge-
prägte Begriff des „Heroischen Stils" (1997)
für jene Architektur um 1930 gelten, die
weder mit den Termini „Neoklassizismus",
„Traditionalismus" noch „Neues Bauen" zu-
treffend zu beschreiben ist.
4 Lorenz 1976, S. 66: „Der Begriff „Bau-Auf-
gabe", in dem das Vorgegebensein eines ar-
chitektonisch zu lösenden Formproblems
und die Bewältigung der realiter gegebenen
Fakten (Ambiente, Auftraggeber, topogra-
phische und urbanistische Situation usw.)
anklingt, versteht sich dabei etwa synonym
mit dem Begriff „Formgelegenheit", dessen
Einführung sich schon mehrfach in jenen
Fällen als fruchtbar erwiesen hat, wo die
kunsthistorische Forschung überden mono-
graphischen Aspekt den Blick auf die Ent-
wicklung des gesamten Mediums (in unse-
rem Falle: der Architektur] bzw. einzelner
„Aufgaben" desselben zu vergessen oder zu
vernachlässigen Gefahr lief."
5 Solche Kriterien könnten etwa die Bedeu-
tung der beteiligten Künstler, Größe und
Aufwand der getroffenen Maßnahmen, der
erreichte Grad der Modernisierung oder die
Nähe zum Neubau der jeweiligen Epoche
sein.
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