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Enzweiler, Jo [Hrsg.]
Paul Antonius, Malerei, 1954 - 2005: Aufsätze und Werkverzeichnis ; [anläßlich der Ausstellung Paul Antonius. In ein Anderes Blau. Bildflügel, Saarland-Museum Saarbrücken, 26. August bis 9. Oktober 2005] — Saarbrücken, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.4363#0029
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166

Quadratur Natur
1976

Die Dialektik von Gefüllt und Leer

Walter Schmeer

Die Dialektik von Gefüllt und Leer ist eines
der Hauptprobleme der bildenden Kunst, be-
ginnend mit dem Grundanliegen, Gestaltetes
dem Nichtgestalteten gegenüberzustellen.
In der Entwicklung der stilistischen Haltung,
bei kunsthistorischen Stilepochen wie bei der
Kinderzeichnung, folgt auf krasses Neben-
einander der horror vacui, die mengenmäßi-
ge Durchsetzung des Leeren mit Form , und
schließlich der differenzierte Übergang, das
Helldunkel.

Das Ausgreifen der Gestalt ins Ungestaltete
wird bei Paul Antonius ins Gegenteil ver-
kehrt. Bei ihm geht der Impuls vom Leeren
aus. Es beherrscht die Mitte der Bildfläche
und drängt das Geformte beiseite; z.T. ist
es aber auch das Überspringen des Energie-
funkens über diese nicht kommunizierende
Distanz hinweg, das Aufklingen des Har-
monischen, das als Lösung hochgetriebener
Spannung - wie gelegentlich bei Matisse zu
sehen - aufgezeigt wird. In der mengenmä-
ßigen Verteilung hat das Leere ein leichtes
Übergewicht, dennoch gibt Antonius' Farbe
den Ton an. Wenn das als erkennbare Dinge
gebildete Gegenständliche zusammenge-
drückt wird, so geht es zu Bruch und wird
zu Abfall, zu welken Blättern, zerbrochenen
Leisten, zu einem Sammelsurium aus Brüs-
ten, Pflanzen und Werkzeugschrott. Wenn
es aus Vegetation besteht, bleibt ihm eine
gewisse Wachstumskraft erhalten, es rankt
und blüht sogar. Letzteres ist besonders bei
den Gemälden mit malerischer Üppigkeit
und Delikatesse durchgeführt.

Der horror vacui hat sich bei Antonius in
einen „amor vacui" gewandelt. Die ins
Chaotische ausgewucherte Vielgestaltigkeit
der Schöpfung wird verworfen. Wie bei
Leonardos „fin' del mondo" schließt sich der
Kreislauf, das Undeterminierte des ersten
Schöpfungstages kehrt zurück. Paul Antonius
betrachtet unsere Welt grüblerisch. Seine
Bilder sind Sinnbilder.

Aus den Bildern erfährt man, daß das Ver-
trauen in die Brauchbarkeit und die Tolerier-
barkeit des Vielerlei erschüttert ist und daß
der Durchbruch ins Leere Befreiung bedeu-
tet. Die ersehnte Öffnung ist gelegentlich
nur wie ein Blick aus dem Fenster, öfter ein
Abschütteln, ein gewaltsames Ausbrechen
ins Unbegrenzte oder wie das Zerreißen
eines Wolkenschleiers.

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