Manches Werk ist heute nicht mehr auffindbar. So z. B.
vier Gemälde mit den Darstellungen der vier Weltteile
analog zu den erhaltenen Münchener Mittelbildern (Kat.
54, 71, 88, 105), die ursprünglich das Zentrum für die 68
Täfelchen des Prado gebildet haben, jeweils 16 Täfelchen
umrundeten ursprünglich ein Mittelbild, das - wie in
München die damals bekannten 4 Erdteile Europa, Asien,
Afrika und Amerika - allegorisierte. Ob die Münchener
Mitteltafeln Repliken, freie Varianten oder gänzlich ver-
schieden von diesen verlorenen Madrider Ur-Erdteil-Alle-
gorien waren, wird man erst wissen, wenn diese Gemäl-
de wieder auftauchen. Hoffen wir, dass sie nicht zerstört
wurden.
Im Jahr 1660 ist die flämische Landschaftsmalerei in
ihrer Entwicklung weit fortgeschritten. Alle wichtigen /Er-
findungen' sind gemacht. Den Malern, die sich mit Land-
schaften überhaupt noch beschäftigen, stehen für alle
Themen verschiedene Kompositionsmodelle zur Verfü-
gung. Den Typus des reinen Landschaftsmalers, wie er zu
Beginn des 17. Jh. z. B. in Josse de Momper d.j. in reinster
Prägung anzutreffen war, findet man nicht mehr in Ant-
werpen, der Wirkstätte van Kessels, sondern nur noch in
Brüssel. Dort in der Nähe des Habsburger Hofes gelangt
die flämische Landschaftsmalerei zu ihrer letzten Blüte.
Mit Malern wie Jacques d'Arthois und Lodewijk de Vad-
der, um nur die beiden Häupter der ,Brüsseler Landschaf-
ter' zu nennen, verabschiedet sich die flämische, ehemals
so bedeutsame Landschaftsmalerei aus dem Reigen wich-
tiger überregionaler Entwicklungen. Paris und Rom und
später London werden zu den neuen Führern der Land-
schaftsmalerei.
Welchen Platz innerhalb der Landschaftsmalerei nimmt
Jan van Kessel d. Ä. ein?
Im Jahr 1661 entsteht eine Landschaft „Vögel am Flussu-
fer mit Baum" (Abb. 31, Kat. 179). Ein jahr früher, 1660,
malt JVK I innerhalb der 160er-Serie eine Ansicht von
„Brüssel" (Kat. 42), die im Aufbau sowie in der Verwen-
dung manchen Tiermotivs vergleichbar ist. Nicht weit ent-
fernt ist die signierte „Landschaft mit Vögeln" (Abb. 32,
Kat. 156) anzusetzen. Müßig, die Tiere in ähnlicher Hal-
tung in gleichzeitig entstandenen Gemälden nachzuwei-
sen; zahlreich werden sich solche Motivverwandtschaf-
ten bei JVK I immer wieder finden lassen, sind sie doch
eines der wesentlichen Charakteristika seiner Kunst. So ist
uns die sich unterhalb des Pfaus mit einem ungeheuren
Kehlsack aufplusternde Taube bekannt aus der Kompositi-
on „Konstantinopel" des Prado (Kat. 21), wo sie sich an
zentraler Stelle im Vordergrund aufkröpft (s. Abb. 26, lin-
Abb.31 Jan van Kessel d.Ä., Vögel am Flussufer mit Baum. Sankt
Petersburg, Eremitage (Kat. 179)
ke Spalte, 5. Tafel von oben); an gleicher Stelle finden wir
sie schließlich in der Münchener „Konstantinopel"-Kom-
position von 1666 (Kat. 66).
Im Vordergrund einer bergigen Landschaft haben sich
mehrere Vögel versammelt. Obwohl sich in der Land-
schaft Ferne und Weite im hellblau gegebenen dunstigen
Hintergrund ausdrückt, ist in dem Bildraum selbst keiner-
lei perspektivischer Hinweis auf Tiefe gegeben. Vom Vor-
dergrund aus schließt sich der Bildraum nicht auf, im Ge-
genteil: scharfe Abbruchkanten trennen diesen den Vö-
geln vorbehaltenen Raum vom Fern raum. Das traditionelle,
noch aus dem 16. jh. übernommene Drei-Farben-Schema
lässt sich allenfalls noch rudimentär als Nah-Mittel-Fern-
Qualität, ausgedrückt durch die Bevorzugung von Braun-
tönen für Vorder-, von Grüntönen für Mittel- und von
Blautönen für Hintergrund anführen. Dem Maler kann es
nicht darum gegangen sein, eine Landschaft zu malen,
wie sich das in der 1661 datierten Vogel-Landschaft (Abb.
31) noch, bedingt durch die Öffnung des Tiefenraumes
vom Vordergrund aus, darstellt, vielmehr gibt er den Vö-
geln mit den durchklüfteten Fels- und Steinbrocken, die
den Vögeln ideale Postamente bieten, eine Bühne, sich
wirkungsvoll zu präsentieren. Landschaft selbst ist nur als
Folie, als Ortsbestimmung, als Bühnendekoration mitge-
geben.
Die Tiere in Aktion dargestellt, ein Bühnenstück auffüh-
rend, dem Betrachter ein Schauspiel bietend, ihn auffor-
dern mitzumachen, die Gründe des tierischen Verhaltens
zu bedenken, das scheint die Botschaft des Malers. Land-
schaft gibt dabei nur den Ort der Handlung, ohne Eigen-
46
JVK 1: Landschaften
vier Gemälde mit den Darstellungen der vier Weltteile
analog zu den erhaltenen Münchener Mittelbildern (Kat.
54, 71, 88, 105), die ursprünglich das Zentrum für die 68
Täfelchen des Prado gebildet haben, jeweils 16 Täfelchen
umrundeten ursprünglich ein Mittelbild, das - wie in
München die damals bekannten 4 Erdteile Europa, Asien,
Afrika und Amerika - allegorisierte. Ob die Münchener
Mitteltafeln Repliken, freie Varianten oder gänzlich ver-
schieden von diesen verlorenen Madrider Ur-Erdteil-Alle-
gorien waren, wird man erst wissen, wenn diese Gemäl-
de wieder auftauchen. Hoffen wir, dass sie nicht zerstört
wurden.
Im Jahr 1660 ist die flämische Landschaftsmalerei in
ihrer Entwicklung weit fortgeschritten. Alle wichtigen /Er-
findungen' sind gemacht. Den Malern, die sich mit Land-
schaften überhaupt noch beschäftigen, stehen für alle
Themen verschiedene Kompositionsmodelle zur Verfü-
gung. Den Typus des reinen Landschaftsmalers, wie er zu
Beginn des 17. Jh. z. B. in Josse de Momper d.j. in reinster
Prägung anzutreffen war, findet man nicht mehr in Ant-
werpen, der Wirkstätte van Kessels, sondern nur noch in
Brüssel. Dort in der Nähe des Habsburger Hofes gelangt
die flämische Landschaftsmalerei zu ihrer letzten Blüte.
Mit Malern wie Jacques d'Arthois und Lodewijk de Vad-
der, um nur die beiden Häupter der ,Brüsseler Landschaf-
ter' zu nennen, verabschiedet sich die flämische, ehemals
so bedeutsame Landschaftsmalerei aus dem Reigen wich-
tiger überregionaler Entwicklungen. Paris und Rom und
später London werden zu den neuen Führern der Land-
schaftsmalerei.
Welchen Platz innerhalb der Landschaftsmalerei nimmt
Jan van Kessel d. Ä. ein?
Im Jahr 1661 entsteht eine Landschaft „Vögel am Flussu-
fer mit Baum" (Abb. 31, Kat. 179). Ein jahr früher, 1660,
malt JVK I innerhalb der 160er-Serie eine Ansicht von
„Brüssel" (Kat. 42), die im Aufbau sowie in der Verwen-
dung manchen Tiermotivs vergleichbar ist. Nicht weit ent-
fernt ist die signierte „Landschaft mit Vögeln" (Abb. 32,
Kat. 156) anzusetzen. Müßig, die Tiere in ähnlicher Hal-
tung in gleichzeitig entstandenen Gemälden nachzuwei-
sen; zahlreich werden sich solche Motivverwandtschaf-
ten bei JVK I immer wieder finden lassen, sind sie doch
eines der wesentlichen Charakteristika seiner Kunst. So ist
uns die sich unterhalb des Pfaus mit einem ungeheuren
Kehlsack aufplusternde Taube bekannt aus der Kompositi-
on „Konstantinopel" des Prado (Kat. 21), wo sie sich an
zentraler Stelle im Vordergrund aufkröpft (s. Abb. 26, lin-
Abb.31 Jan van Kessel d.Ä., Vögel am Flussufer mit Baum. Sankt
Petersburg, Eremitage (Kat. 179)
ke Spalte, 5. Tafel von oben); an gleicher Stelle finden wir
sie schließlich in der Münchener „Konstantinopel"-Kom-
position von 1666 (Kat. 66).
Im Vordergrund einer bergigen Landschaft haben sich
mehrere Vögel versammelt. Obwohl sich in der Land-
schaft Ferne und Weite im hellblau gegebenen dunstigen
Hintergrund ausdrückt, ist in dem Bildraum selbst keiner-
lei perspektivischer Hinweis auf Tiefe gegeben. Vom Vor-
dergrund aus schließt sich der Bildraum nicht auf, im Ge-
genteil: scharfe Abbruchkanten trennen diesen den Vö-
geln vorbehaltenen Raum vom Fern raum. Das traditionelle,
noch aus dem 16. jh. übernommene Drei-Farben-Schema
lässt sich allenfalls noch rudimentär als Nah-Mittel-Fern-
Qualität, ausgedrückt durch die Bevorzugung von Braun-
tönen für Vorder-, von Grüntönen für Mittel- und von
Blautönen für Hintergrund anführen. Dem Maler kann es
nicht darum gegangen sein, eine Landschaft zu malen,
wie sich das in der 1661 datierten Vogel-Landschaft (Abb.
31) noch, bedingt durch die Öffnung des Tiefenraumes
vom Vordergrund aus, darstellt, vielmehr gibt er den Vö-
geln mit den durchklüfteten Fels- und Steinbrocken, die
den Vögeln ideale Postamente bieten, eine Bühne, sich
wirkungsvoll zu präsentieren. Landschaft selbst ist nur als
Folie, als Ortsbestimmung, als Bühnendekoration mitge-
geben.
Die Tiere in Aktion dargestellt, ein Bühnenstück auffüh-
rend, dem Betrachter ein Schauspiel bietend, ihn auffor-
dern mitzumachen, die Gründe des tierischen Verhaltens
zu bedenken, das scheint die Botschaft des Malers. Land-
schaft gibt dabei nur den Ort der Handlung, ohne Eigen-
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JVK 1: Landschaften