Abb. 44 Jan van Kessel d.Ä., Otter und Eule bei der Mahlzeit. London, Gal. Johnny Van Haef-
ten (Kat. 244)
Motivation sein auch für die Fisch-Stillleben am Strand
(Kat. 262-300). Eines dieser Fisch-Stillleben, angereichert
durch zwei Schildkröten, malt JVK I als Pendant zu Kat.
191 (Abb. 46, Kat. 267). Allein durch die Wahl des Sujets
erklärt sich die Handlungsarmut dieser und ähnlicher
Darstellungen.
Das Thema „Jeder gegen Jeden" ohne Landschaft, kon-
zentriert auf das einzelne Tiermotiv, gestaltet der Maler in
einer außergewöhnlichen Komposition, die sich keiner
Bildgattung eindeutig zuordnen lässt: auf hellem Mal-
grund in gleichgewichtiger Verteilung über die Bildfläche
finden wir die „Kreaturen der Nacht" (Abb. 47, Kat. 239),
die außergewöhnlichste Studie des Malers, die, in Resten
signiert, in ihrer Zuschreibung an JVKI in den 60er-Jahren
nicht eindeutiger sein könnte.
Am Beispiel dieses Bildes lässt sich das Arbeiten des
Malers mit Versatzstücken erläutern; die meisten Motive
sind aus vorhergehenden Gemälden seiner Hand be-
kannt: Die beiden sich über die Eule hergemachten Mar-
der sind die gleichen, die in der Allegorisierung der Stadt
„Konstantinopel" (Kat. 66) eine Ente zerlegen; abgeleitet
dürfte dieses Motiv sein von der „Molucas"-Darstellung
(Kat. 10), in der die Marder als Affen agieren, das Opfer
allerdings, wie in Abb. 47, die im Verhältnis zu den Affen
riesige Eule ist. Dieselbe Szene finden wir dann wieder in
der einige Jahre später entstandenen Insellandschaft „Am-
boina" (Kat. 109). Dieser sind auch die Eule rechts oben
sowie der große auffliegende Uhu über der Fress-Szene
entnommen. Die von Ratten angegriffene Fledermaus mit
den schon getöteten, noch nackten Jungen finden wir vor-
geprägt, allerdings ohne Ratte, in der „Cartagene"-Dar-
stellung (Kat. 116). In einer ,Bauchlandung' auf einem
Stein gelandet ist dort auch die Fledermaus porträtiert, die
hier (Abb. 47) im Zentrum der Bildfläche mit gefletschten
Zähnen seine Partnerin gegen die von links angreifende
Ratte verteidigt. Nun sind diese typischen van Kessel-Mo-
tive keineswegs eigene Erfindungen, sondern umgestalte-
te Szenen, dem großen Vorbild Paul de Vos entlehnt. Des-
sen „Tiere der Nacht"31 (Abb. 48) lieferte die Anregungen
für die Marder-Eulen- wie auch für die Ratten-Fleder-
maus-Szenen. Zusätzlich wurde die Ratte, die bei de Vos
von rechts zum Kampfgetümmel strebt, ziemlich /wört-
lich' an ähnlicher Stelle (Abb. 47) in die Komposition ein-
gefügt.
Hella Robels sieht einen inhaltlichen Bezug dieser und
damit all der ähnlichen Darstellungen van Kessels zu
einem niederländischen Sprichwort: „Die Szene veran-
schaulicht wohl das Naturgesetz vom Fressen und Gefres-
senwerden, nach dem Sprichwort: ,So wie im grünen
Wald der Ein' den Andern frisst, so ist's in dieser Welt'"32.
58
JVK I: Landschaften