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Ertz, Klaus; Nitze-Ertz, Christa; Kessel, Jan van [Ill.]; Kessel, Jan van [Ill.]; Kessel, Jan van [Ill.]
Jan van Kessel der Ältere, 1626 - 1679: Jan van Kessel der Jüngere, 1654 - 1708; Jan van Kessel der "Andere", ca. 1620 - ca. 1661; kritische Kataloge der Gemälde — Lingen: Luca Verl., 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.73485#0107
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malerei-Vorbilder von Jan Brueghel d. Ä. und Daniel Seg-
hers bezieht - beide darf man getrost als die wichtigsten
und besten flämischen Blumenmaler bezeichnen.
Eines der bisher verkannten Spitzenbilder von JVK I,
das im Prado (Abb. 98, Kat. 571)84 immer noch der Um-
gebung Jan Brueghels d. Ä. zugewiesen wird, variiert in
den 60er-Jahren eine Komposition des Großvaters. Er ver-
ändert nicht nur Form, Anordnung und Anzahl der Blü-
ten, sondern fügt mit dem Stillleben auf der Tischplatte
vielmehr etwas ganz Neuartiges, für ihn Typisches hinzu,
was sich auf keinem Bild Jan Brueghels d. Ä. vergleichbar
wiederfindet, im Werk van Kessels aber überzeugende
Entsprechungen hat. In einer bereits vorgestellten Gemäl-
deskizze (Abb. 25, Kat. 713) entwickelt der Maler die Va-
nitasmotivik, die er hier am Fuße der Vase teils ,wörtlich'
einsetzt. Schon dem zur ,Spanischen Serie' gehörenden
Meisterwerk von 1652 (Abb. 96, Kat. 565) finden wir die
Motive auf der Tischdecke ausgebreitet, woraus sich er-
gibt, dass der bis zu dieser Arbeit vermutete Datierungs-
ansatz der Gemäldeskizze (Abb. 25, Kat. 713) ,um 1660
entstanden' um etwa 10 Jahre auf ,um 1650' vorverlegt
werden muss.
Wie schwierig es ist, undatierte Gemälde von JVK I
chronologisch einzuordnen, wird am Beispiel eines der
schönsten monogrammierten Blumensträuße (Abb. 99,
Kat. 549) deutlich, den man wegen der Vanitassymbol-
Motive ebenfalls in die frühen 50er-Jahre datieren möch-
te, was aber die kompositionelle Gesamtanlage nicht zu-
lässt. Diese spricht wegen der klar am Nebeneinander
orientierten Anordnung der Blüten und der Vermeidung
von verunklärenden Überschneidungen innerhalb des
Straußes, wie wir sie in den frühen Kompositionen finden
(vgl. Kat. 540 von 1652), für eine Entstehung in den 60er-
Jahren. Einzelmotive bleiben - das eine Erkenntnis aus
der Werkbetrachtung - lange gültig. Für eine Datierung
eignen sie sich nur als ,terminus postquem'.
Wir wissen, dass Blumen-Stillleben zu den teuersten
Gemälden im 17. Jh. gehörten. Diesem Anspruch gerecht
zu werden, dürfte diese in den 60er-Jahren entstandene
goldene Vase in Motiven und durchlaufenden abstrakten
Kompositionslinien großen Buketts auf kleiner Kupfer-
platte ihre Existenz verdanken (Abb. 99a, Kat. 569). Auf
dem Bauch der Vase, so hat es den Anschein, ist in kaum
erhabenem Relief eine figürliche Szene auszumachen.
Zum lichten, hellen Charakter aller Motive der Darstel-
lung, einer strahlenden Helligkeit, die sich in den zahl-

Abb.98 Jan van Kessel d.Ä., Blumen in bemalter Porzellanvase. Ma-
drid, Museo del Prado (Kat. 571)

reichen den Strauß umschwirrenden Insekten ebenso
wiederfindet wie in den hellgrünen Blättern und dem luf-
tigen Gebilde einer Art ,Pusteblume' unterhalb der blutro-
ten Päonie, die den Strauß krönt, würde eine christliche
Szene des Neuen Testaments passen wie z. B. eine /Ver-
kündigung' oder eine ,Anbetung'.
Querrechteckige Blumenkompositionen (Abb. 100,
Kat. 495) sind äußerst selten, gehören aber zum Reper-
toire der Zeit um 1660. In einem über den Vasenrand ge-
schlagenen halbrunden Bogen ordnen sich die nur an den
Rändern dezent überschnittenen Großblüten auf einer
imaginären Linie. Eine in der Anzahl von kleinen Blüten
linksseitig betonten Asymmetrie wird durch die gewich-
tigen optischen Akzente rechts und die Wirksamkeit des
dunklen Leerraumes rechts des Straußes soweit ausbalan-
ciert, dass der offensichtlich immer gewünschte Zustand
von Gleichgewicht, nicht Symmetrie, erreicht ist.
Eine seit Jan Brueghel d. Ä. beliebte Möglichkeit, quer-
rechteckige Blumenkompositionen zu kreieren, liegt in
der Verwendung eines Korbes als Behältnis für die Blu-
men (Abb. 101, Kat. 573). Der breit gelagerte Korb gibt
die Grundanlage der Komposition vor: nicht der hoch
aufragende schmale, aus nur wenigen Blumen geformte
Strauß ä la Daniel Seghers (Abb. 97) bietet sich hier an,
sondern der im Umriss halbrund aufragende dichte /Blu-
menberg', wie wir ihn vom Großvater, Jan Brueghel d. Ä.,
um 1620 (Abb. 102)85 vorgeprägt finden. Auch hier bei
JVK I das Bestreben, eine im Grunde einseitig überge-
wichtige Komposition - der Tisch wird mit einer faltigen
Tischdecke aufgewertet, der Korb mit dem Blumenaufbau
steht weit rechts von der Mitte - auszubalancieren. Die
eingesetzten Mittel sind einfach und doch wirksam: Der
Tisch wird vom linken Bildrand ,festgehalten', der Korb-
griff befindet sich links von der Seitenhalbierenden, die
leere Tischplatte links neben dem Korb ist mit vielen groß-
formigen Blüten- und Blattarrangements bedeckt. Schließ-
lich finden sich nicht nur im Strauß selbst, sondern auch
auf den Pflanzen der Tischplatte kleine Insekten, die als
einende Elemente in ihrem Flügelschlag das Bewegt-Flir-
rende dieser wie noch lebend wirkenden Blumen unter-
stützen. Eine über das Erzählerische des Dargestellten
hinausgehende symbolhafte Aussage der Motive dieser
für das Jahr 1660 durch Signatur und Datum für JVK I ge-
sicherten Blumenkomposition vermögen wir nicht zu se-
hen. Auch das eine Möglichkeit des Malers auf dem Hö-
hepunkt seines Schaffens!
War das Format des Blumenkorbes recht ansehnlich
(46 x 67 cm), so treffen wir JVK I mit dem doppelt auf
Vorder- und Rückseite bemalten Kupferoval in der Größe
7,8 x 6,2 cm als Miniaturisten an, der uns aus vielen klei-
nen Insektenbildern als Meister kleiner Darstellungen be-

JVK 1: Blumen

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