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Früchtestillleben
Anders als sein Sohn, der Früchtestillleben in verschie-
densten Ausprägungen in zahlreichen Kompositionen ty-
pischer Art malte, gibt der Vater JVKI in diesem Genre nur
ein kurzes Gastspiel. Mit großartig neuen eigenständigen
Leistungen tritt er nicht hervor, beschränkt sich vielmehr
auf die gelegentlich ,wörtliche' Übernahme oder auf das
Arbeiten im Stile eines Vorbildes. Am originärsten begeg-
net er uns in den drei Früchtestillleben, deren Motive in
einer Landschaft drapiert sind (vgl. Kat. 486-488).
Wichtigster Ideengeber und größtes Vorbild war Frans
Snyders. Dieser war ein Freund der Familie Brueghel, und
es ist anzunehmen, dass der Enkel seines Freundes Jan
Brueghel d. Ä. Zugang zu seinem Haus und Atelier hatte.
Vom dänischen Königshaus könnte nach dem Tode Sny-
ders' (1 657) der Auftrag an JVK I gegangen sein, dessen
Riesenformat (201 x 333 cm), des heute zum Besitz der
Alten Pinakothek gehörenden „Obst- und Gemüsela-
den"55 in halb so großem Format (118 x 165 cm) zu ko-
pieren. Seit 1875 ist dieses bereits im Vergleich mit Arbei-
ten des Sohnes vorgestellte Gemälde (Abb. 18, Kat. 456)
im Besitz des dänischen Königshauses nachweisbar. Frans
Snyders malte seine Originalversion nach Robels in der 2.
Hälfte der 20er-Jahre56, wohin auch immer das Bild ver-
kauft wurde, der Zugang für den Kopisten muss in Ant-
werpen oder der näheren Umgebung möglich gewesen
sein, da die Übernahmen, abgesehen von den beiden
Personen, bis in die Details übereinstimmen. Die Gemü-
sehändlerin und der Jäger wurden im Snyders-Original
(Abb. 91) nach heutiger Überzeugung von Cornelis de
Vos gemalt57, wogegen die Figuren im van Kessel-Bild
(Abb. 18) von Erasmus Quellinus ausgeführt wurden. Die-
se Figuren im Rubens-Stil entsprechen denen einer Re-
plik58, die der Rubens-Schule gegeben werden.
Erasmus Quellinus war einer der wichtigsten Mitarbei-
ter der van Kessels, der insbesondere in den 50er- und
60er-Jahren - nachweislich bis 1670 (Kat. 122) - großfor-
matige Figuren in die Gemälde des JVK I hineinmalte. Da
Quellinus 1678 stirbt, ein Jahr früher als JVK I, ist mit ei-
ner Zusammenarbeit der beiden Maler in Antwerpen
während der gesamten Schaffenszeit von JVK I (1 543-
1679) zu rechnen. So kann uns - in Ermangelung anderer
stichhaltiger Datierungskriterien für das Kopenhagener
Bild van Kessels (Abb. 18, Kat. 456) - allenfalls die Signa-
tur „I. V. KESSEL. FECIT" einen Hinweis liefern: in Form
und Schreibweise ähnliche Signaturen verwendet der
Maler bevorzugt in den 60er-Jahren, so dass dieser Datie-
rungsvorschlag unter allem Vorbehalt gemacht werden
kann. Wäre nicht erwiesen, dass es sich beim Kopenha-
gener Gemälde (Abb. 18) um eine Kopie handelt, deren

Ansehen nach heutigem Denken eher gering ist, fehlt
doch das originäre Schöpfertum des Malers, würde man
diese handwerklich großartig ausgeführte Ölmalerei auf
Leinwand zweifelsohne als ,Meisterwerk' bezeichnen, zu
benachbarn den originären Schöpfungen, den Meister-
werken, die in den 60er-Jahren besonders zahlreich einen
absoluten Höhepunkt im Werk von JVK I markieren.
Da JVK I allen Deutungsmöglichkeiten sowohl emble-
matischer, allegorischer, ikonologischer als auch ikono-
graphischer Art in seinem Werk Raum lässt, zitieren wir
die zwar auf Snyders gemünzten, die Kopie von Kessels
aber nicht weniger treffenden Bemerkungen Hella Robels
zu diesem Marktstillleben (Abb. 18): „... Erotische An-
spielungen, wie sie in moralisierender Absicht in den
Markt- und Küchenstücken von Aertsen und Beuckelaer
häufig sind, nahm ihr barocker Nachfahre in anderer ver-
schlüsselter Form auf. Auf einigen Obstmärkten halten
junge Frauen ein Körbchen Feigen im Schoß oder bieten
Feigen einem Partner an. ... Der Feigenbaum ist im Alten
Testament Symbol des Volkes Israel ... Baum der Erkennt-
nis und später Christussymbol, in seinen Früchten aber
auch Zeichen der Liebe und Fruchtbarkeit, wegen ihrer
Süße der Venus zugeeignet. ... Vor allem aber wird sie in
Obstkammern zum Zeichen der Liebe und Fruchtbarkeit
und stellt so die menschliche Existenz in Parallele zu dem
Kreislauf der Natur. ..."59. Schließlich stellt Robels wohl
zu Recht die Frage, ob das kostbare chinesische Porzel-
lan, in dem Früchte auf dem Markt dargeboten werden,
der Realität entspricht oder nicht eher „eine künstlerische
Zutat des Malers war"60.
Weniger prachtvoll, zurückhaltender in der Anzahl der
Motive, widmete sich JVK I in einer zwar immer noch von
Snyders inspirierten aber nicht auf eine von diesem aus-
geführte Komposition rückführbare Version des Themas
„Stillleben in der Vorratskammer" (Kat. 457). Szenisch
aufgeladen und in Unruhe versetzt wird die Atmosphäre
der Kammer durch eine Geschichte, wie sie von Franz
Snyders erzählt worden sein könnte: die Hausherrin,
kenntlich an dem kostbaren Gewand aus Brokat und Spit-
zen, der Mode des mittleren 17. Jh. entsprechend, hat die
Kammer ihres reichen Haushaltes betreten, um sich eine
Weintrauben-Dolde zu holen. Vor dem dort tobenden
Kampf zweier Hunde mit mehreren Katzen weicht sie er-
schrocken zurück, zur Sicherheit in ihre hinter der offe-
nen Tür angedeuteten Gemächer strebend. Hunde und
Katzen finden wir schon bei Snyders61 in Vorratskammern,
aber nirgends in so bitteren tödlichen Kampf verstrickt
wie hier, wo der Todesbiss in die Kehle einer Katze unmit-
telbar bevorsteht.
In Dresden wird ein Gemälde von Snyders verwahrt
(Abb. 92)62, das van Kessel um 1660 gesehen haben

JVK 1: Früchtestillleben

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