klassisches Mitgefühl.
182 Der Lenz und der Einsiedel.
Der Spielhahn schleift: tschj-uy, tschj-uy,
Die Drosseln werden munter;
Gelbfähnchen trägt der Haselstrauch,
Die Wiese färbt sich bunter!
Und Alles lacht und lockt und girrt
In fröhlichem Vereine! —
Nur du, Einsiedel, grauer Kauz,
Bist einsam und alleine!"
Einsiedel wischt die Brille rein,
Von all' dem Glast geblendet
Und spricht mit fröhlichem Gesicht
Zum jungen Lenz gewendet:
„'s haust Mancher in der großen Stadt
Einsam trotz vieler Gäste!
Ich Hab' ja dich, du Wunderkind!
Du bist der allerbeste!
Der Säugerchor, der im Gezweig
Zu deinem Preis sich einte
Und Has' und Reh und Auerhahn
Sind meine Waldgemcinde!
Und der, der dich der Welt gesandt
Mit deinen tausend Blüthen,
Er ist bei mir auf Schritt und Tritt,
Mein Gehen zu behüten!
So lob' ich allzeit mir den Wald
Vor düst'rer Städte Brodcm;
Er spricht zu mir im Lispelwind,
Zn mir im Stnrmcsodem!
Waldrauschcn wiegt mich in den Schlaf,
Der Waldbach rauscht mich munter,
Mit hundert Stimmen kündet mir
Der Wald sein Frühlingswunder!
Noch ist die Seele frisch und klar,
Dies Alles zu erfassen!
Wer Gott nur und den Frühling hat,
Der ist noch nicht verlassen!"
_ 1H. Vogel.
Nobe l.
Schwüle tanzt auf dem Ball mit dem
Estherle an dem offenen Fenster vorbei
und zerbricht eine Scheibe. Estherle stößt
einen Schrei ans.
Schwüle: „Sei nor still, Estherle, wer
zahle' die Scheib' mitenandcr!"
Classischcs Mitgefühl.
Backfisch (bemerkend, daß der Herr
Lieutenant von Fclsenbruch immer wieder
nnt der Gattin des Commandcurs tanzen
muß): „Gerade ihn trifft heute immer
die Pflicht, mit der Commandeusc zu
tanzen! .. . „Das ist das Loos des Schönen auf der Erde"!
Waldnianns Rettung.
ch ja", meinte Förster Treubergcr, „mit den Hunden erlebt man allerhand! Zum
Anspiel mein Waldmaun dort, der jetzt so harmlos beim Ofen liegt, als könnte
er nicht bis fünf zählen, hat mir einmal ein schönes Stück'l geliefert. Denken
Sic sich, saust er, während wir abwesend sind, in der Vorrathskammcr einen großen Krug
voll Petroleum aus, der durch ein Versehen unverschlossen geblieben war. Ich entdecke
natürlich die Sache beim Heimkommen sofort. Der Hund verbreitete einen penetranten
Erdölgcruch, und sein jämmerliches gedunsenes Aussehen klärte uns rasch vollends auf.
Schon griff ich nach dem Gewehr an der Wand, um ihn ntederzuschicßen, ehe er langsam
elend zu Grunde ging — da plötzlich sprang das Thier mit seiner letzten Kraft winselnd
ans den Tisch und schaute sehnsüchtig nach der Lampe hinauf.
„Hollah!" rief ich — wie ein Blitz war es mir durch den Kopf gefahren — „rasch
einen langen Docht her -- vielleicht ist dem armen Kerl so noch zu helfen!" Im Nu lvar
der Docht zur Hand. „Such', Waldmaun — such' — schön fressen!" rief ich; und denken
Sie sich, der Hund schaut mich dankbar an und schlingt hierauf behutsam, um kein Loch
hineinzubeißcn, den langen Docht hinunter, so daß nur noch das Ende aus seiner Schnauze
Vorstand. Ich zündete dasselbe vorsichtig an, die Flamme brennt, inrd Waldmann —
immer etwas darauf blasend, damit sic ihm nicht die Schnauze versengte — sitzt ge-
duldig den ganzen Abend als nnsrciivilligc Familienlampe mitten aus dem Tisch und
182 Der Lenz und der Einsiedel.
Der Spielhahn schleift: tschj-uy, tschj-uy,
Die Drosseln werden munter;
Gelbfähnchen trägt der Haselstrauch,
Die Wiese färbt sich bunter!
Und Alles lacht und lockt und girrt
In fröhlichem Vereine! —
Nur du, Einsiedel, grauer Kauz,
Bist einsam und alleine!"
Einsiedel wischt die Brille rein,
Von all' dem Glast geblendet
Und spricht mit fröhlichem Gesicht
Zum jungen Lenz gewendet:
„'s haust Mancher in der großen Stadt
Einsam trotz vieler Gäste!
Ich Hab' ja dich, du Wunderkind!
Du bist der allerbeste!
Der Säugerchor, der im Gezweig
Zu deinem Preis sich einte
Und Has' und Reh und Auerhahn
Sind meine Waldgemcinde!
Und der, der dich der Welt gesandt
Mit deinen tausend Blüthen,
Er ist bei mir auf Schritt und Tritt,
Mein Gehen zu behüten!
So lob' ich allzeit mir den Wald
Vor düst'rer Städte Brodcm;
Er spricht zu mir im Lispelwind,
Zn mir im Stnrmcsodem!
Waldrauschcn wiegt mich in den Schlaf,
Der Waldbach rauscht mich munter,
Mit hundert Stimmen kündet mir
Der Wald sein Frühlingswunder!
Noch ist die Seele frisch und klar,
Dies Alles zu erfassen!
Wer Gott nur und den Frühling hat,
Der ist noch nicht verlassen!"
_ 1H. Vogel.
Nobe l.
Schwüle tanzt auf dem Ball mit dem
Estherle an dem offenen Fenster vorbei
und zerbricht eine Scheibe. Estherle stößt
einen Schrei ans.
Schwüle: „Sei nor still, Estherle, wer
zahle' die Scheib' mitenandcr!"
Classischcs Mitgefühl.
Backfisch (bemerkend, daß der Herr
Lieutenant von Fclsenbruch immer wieder
nnt der Gattin des Commandcurs tanzen
muß): „Gerade ihn trifft heute immer
die Pflicht, mit der Commandeusc zu
tanzen! .. . „Das ist das Loos des Schönen auf der Erde"!
Waldnianns Rettung.
ch ja", meinte Förster Treubergcr, „mit den Hunden erlebt man allerhand! Zum
Anspiel mein Waldmaun dort, der jetzt so harmlos beim Ofen liegt, als könnte
er nicht bis fünf zählen, hat mir einmal ein schönes Stück'l geliefert. Denken
Sic sich, saust er, während wir abwesend sind, in der Vorrathskammcr einen großen Krug
voll Petroleum aus, der durch ein Versehen unverschlossen geblieben war. Ich entdecke
natürlich die Sache beim Heimkommen sofort. Der Hund verbreitete einen penetranten
Erdölgcruch, und sein jämmerliches gedunsenes Aussehen klärte uns rasch vollends auf.
Schon griff ich nach dem Gewehr an der Wand, um ihn ntederzuschicßen, ehe er langsam
elend zu Grunde ging — da plötzlich sprang das Thier mit seiner letzten Kraft winselnd
ans den Tisch und schaute sehnsüchtig nach der Lampe hinauf.
„Hollah!" rief ich — wie ein Blitz war es mir durch den Kopf gefahren — „rasch
einen langen Docht her -- vielleicht ist dem armen Kerl so noch zu helfen!" Im Nu lvar
der Docht zur Hand. „Such', Waldmaun — such' — schön fressen!" rief ich; und denken
Sie sich, der Hund schaut mich dankbar an und schlingt hierauf behutsam, um kein Loch
hineinzubeißcn, den langen Docht hinunter, so daß nur noch das Ende aus seiner Schnauze
Vorstand. Ich zündete dasselbe vorsichtig an, die Flamme brennt, inrd Waldmann —
immer etwas darauf blasend, damit sic ihm nicht die Schnauze versengte — sitzt ge-
duldig den ganzen Abend als nnsrciivilligc Familienlampe mitten aus dem Tisch und
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Klassisches Mitgefühl"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1894 - 1894
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 100.1894, Nr. 2545, S. 182
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg