Sein Stellvertreter.
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hatte das Glück, die Droschke ziehen zu helfen, welche der Tenorist
erwählt hatte. Es war der Zug ihres Herzens.
Er bewohnte drei Zimmer im Hotel. Das erste ■ war das
Schlafzimmer, das zweite das Audienzziinmer, das dritte das Warte-
zimmer. Im letzteren standen die Verehrerinnen Hochzehs und nahmen
die Nummern in Empfang, welche der Diener unter sie vertheilte.
In der Reihenfolge der Nummern sollten sie in das Audienzzimmer
treten, um dem Künstler persönlich die Hand drücken und ihm für
den Gemiß des Abends danken zu können.
Laura hatte Nummer 107. Sie war eine der Letzten. Ge-
duldig wartete sie, bis ihre Nummer aufgerufen wurde, dann stürmte
sie hinein.
Da stand er. Beinahe hätte sie ihn nicht wieder erkannt, so
abgespannt sah er aus. Auch schien er in der kurzen Spanne Zeit
wesentlich magerer geworden zu sein. Von seinen stolz herabwallen-
den Haaren waren nur noch einzelne Strähne zu erblicken, das Uebrige
war den l06 Verehrerinnen als Locken-Andenken anheimgefallen.
Mechanisch reichte er Laura eine Scheere hin. Sie schnitt noch zwei
Strähne ab, — es blieb gerade ein Rest für die paar übrigen
Damen im Wartezimmer übrig.
Die Größe des Augenblicks machte Laura stumm. Nur durch
eine Art schnellerfundener Geberdensprache konnte sie einigermaßen
ihre Empfindungen ausdrücken. Dann aber konnte sie nicht anders,
— sie stürzte auf den Künstler zu und umarmte ihn innig. Er
erwiderte ihre Küsse mit einem gewissen Eifer, das war sehr nett
von ihm, das muß man wirklich sagen. Nur mit schwerem Herzen
riß sie sich los.
Zwischen Audienz- und Wartezimmer befand sich nicht nur eine
Thüre, sondern auch eine Portiere. Als Nummer 108 eintrat,
schlich Laura ihr nach und versteckte sich hinter der Portiere.
Wenigstens wollte sie den Anblick des geliebten Künstlers noch eine
Weile genießen.
Endlich war die Zahl der Besucherinnen erschöpft. Laura wollte
sich gerade aus ihrem Versteck entfernen, als die Schlafzimmerthüre
geöffnet wurde und — der Doppelgänger des Tenoristen eintrat.
Nein, kein Doppelgänger, jetzt erst bemerkte Laura, daß der Neu-
eingetretene der wirkliche Tenorist war und der Andere ihm nur
entfernt ähnlich sah.
„Kouschke", sagte der Künstler mit finsterer Miene, „Sie über-
schreiten Ihre Befugnisse. Ich habe Sie engagiert, weil Sie mir
einigermaßen ähnlich sehen, um mich von den Ovationen meiner
Verehrerinnen zu entlasten. Aber wenn Sie jede dumme Gans
abküssen — —"
Eiir Schrei ans einer weiblichen Kehle und das donnernde Zu-
schlägen einer Thüre unterbrach den Sprechenden. Laura stürzte
auf die Straße, wo sie Waldemar, getreu ihrer harrend, fand.
„Waldemar", rief sie aus, „können Sie mir verzeihen?"'
„Alles!" sagte er auf's Geradewohl.
„Morgen können Sie die Verlobungskarten drucken!" hauchte sie.
Er war nämlich Buchdruckereibesitzer.
Max Hirschseid.
V e s s e r u n g.
„Trinkt Ihr Zimmerherr, der Stu-
diosus, noch immer so fürchterlich?"
„Der hat sich bedeutend gebessert.
Jetzt macht er zuweilen schon Ver-
suche, allein das Schlüsselloch
zu finden."
Das Leben.
er Eine verjubelt es flott und verschlemmt's,
Der Zweite verwirft's und der Dritte ver-
grämt' s,
Der Vierte verbringt es im Drang des Geschäfts,
Der Fünfte v e rb ü f s e l t 's, den Sechste v e r s ch l ä f t's
Der Siebente hat es — verphilosophirt — —
Wem da wohl die Palme der Weisheit gebührt?
_l O. C. tu.
Boshaft.
Der neugeadelte Hopfen-
händler Stängel: „. . Sehen Sie,
Herr Lieutenant, das hier ist der
Harnisch von einem meiner ältesten
Ahnen, der sich in vielen Schlachten
ausgezeichnet hat!" — Lieutenant:
(nachdem er vergeblich nach Buckeln auf
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hatte das Glück, die Droschke ziehen zu helfen, welche der Tenorist
erwählt hatte. Es war der Zug ihres Herzens.
Er bewohnte drei Zimmer im Hotel. Das erste ■ war das
Schlafzimmer, das zweite das Audienzziinmer, das dritte das Warte-
zimmer. Im letzteren standen die Verehrerinnen Hochzehs und nahmen
die Nummern in Empfang, welche der Diener unter sie vertheilte.
In der Reihenfolge der Nummern sollten sie in das Audienzzimmer
treten, um dem Künstler persönlich die Hand drücken und ihm für
den Gemiß des Abends danken zu können.
Laura hatte Nummer 107. Sie war eine der Letzten. Ge-
duldig wartete sie, bis ihre Nummer aufgerufen wurde, dann stürmte
sie hinein.
Da stand er. Beinahe hätte sie ihn nicht wieder erkannt, so
abgespannt sah er aus. Auch schien er in der kurzen Spanne Zeit
wesentlich magerer geworden zu sein. Von seinen stolz herabwallen-
den Haaren waren nur noch einzelne Strähne zu erblicken, das Uebrige
war den l06 Verehrerinnen als Locken-Andenken anheimgefallen.
Mechanisch reichte er Laura eine Scheere hin. Sie schnitt noch zwei
Strähne ab, — es blieb gerade ein Rest für die paar übrigen
Damen im Wartezimmer übrig.
Die Größe des Augenblicks machte Laura stumm. Nur durch
eine Art schnellerfundener Geberdensprache konnte sie einigermaßen
ihre Empfindungen ausdrücken. Dann aber konnte sie nicht anders,
— sie stürzte auf den Künstler zu und umarmte ihn innig. Er
erwiderte ihre Küsse mit einem gewissen Eifer, das war sehr nett
von ihm, das muß man wirklich sagen. Nur mit schwerem Herzen
riß sie sich los.
Zwischen Audienz- und Wartezimmer befand sich nicht nur eine
Thüre, sondern auch eine Portiere. Als Nummer 108 eintrat,
schlich Laura ihr nach und versteckte sich hinter der Portiere.
Wenigstens wollte sie den Anblick des geliebten Künstlers noch eine
Weile genießen.
Endlich war die Zahl der Besucherinnen erschöpft. Laura wollte
sich gerade aus ihrem Versteck entfernen, als die Schlafzimmerthüre
geöffnet wurde und — der Doppelgänger des Tenoristen eintrat.
Nein, kein Doppelgänger, jetzt erst bemerkte Laura, daß der Neu-
eingetretene der wirkliche Tenorist war und der Andere ihm nur
entfernt ähnlich sah.
„Kouschke", sagte der Künstler mit finsterer Miene, „Sie über-
schreiten Ihre Befugnisse. Ich habe Sie engagiert, weil Sie mir
einigermaßen ähnlich sehen, um mich von den Ovationen meiner
Verehrerinnen zu entlasten. Aber wenn Sie jede dumme Gans
abküssen — —"
Eiir Schrei ans einer weiblichen Kehle und das donnernde Zu-
schlägen einer Thüre unterbrach den Sprechenden. Laura stürzte
auf die Straße, wo sie Waldemar, getreu ihrer harrend, fand.
„Waldemar", rief sie aus, „können Sie mir verzeihen?"'
„Alles!" sagte er auf's Geradewohl.
„Morgen können Sie die Verlobungskarten drucken!" hauchte sie.
Er war nämlich Buchdruckereibesitzer.
Max Hirschseid.
V e s s e r u n g.
„Trinkt Ihr Zimmerherr, der Stu-
diosus, noch immer so fürchterlich?"
„Der hat sich bedeutend gebessert.
Jetzt macht er zuweilen schon Ver-
suche, allein das Schlüsselloch
zu finden."
Das Leben.
er Eine verjubelt es flott und verschlemmt's,
Der Zweite verwirft's und der Dritte ver-
grämt' s,
Der Vierte verbringt es im Drang des Geschäfts,
Der Fünfte v e rb ü f s e l t 's, den Sechste v e r s ch l ä f t's
Der Siebente hat es — verphilosophirt — —
Wem da wohl die Palme der Weisheit gebührt?
_l O. C. tu.
Boshaft.
Der neugeadelte Hopfen-
händler Stängel: „. . Sehen Sie,
Herr Lieutenant, das hier ist der
Harnisch von einem meiner ältesten
Ahnen, der sich in vielen Schlachten
ausgezeichnet hat!" — Lieutenant:
(nachdem er vergeblich nach Buckeln auf
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Stellvertreter"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 105.1896, Nr. 2663, S. 59
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg