Fliegende Blätter (115.1901 (Nr. 2918-2944))

Das lebende Bild. 267

f®dfo Stilberger, der Redak-
teur des Wurzelthaler „Tag-
blattes", umwarb feit Langen: mit
großem (Eifer die einzige Tochter
des schwerreichen Privatiers wür-
dig. Lorchen würdig hatte zwar
auch sonst gerade keine besonderen
weiblichen Vorzüge; aber Lines
vollends war ihre Schwäche: ihre
Stärke nämlich. Das heißt, sie
erfreute sich eines Lmbonxoints,
der allen Ansichten wurzelthaler-
scher pautevolee über Frauenschön-
heit pohn sprach. Das wußte sie
auch, und sie wachte daher äußerst
mißtrauisch darüber, daß in dieser
Beziehung weder in ihrer Gegen-
wart noch in ihrer Abwesenheit
kränkende oder höhnende Bemerk-
ungen sielen.

war es ihr nun zu Ohren ge-
drungen, daß Stilberger früher —
ehe er ihr den Pos zu machen an-
sing — hin und wieder spöttische
Reden über ihr Taillenmaß ge-
führt hatte, oder vermuthete sie
mit Recht, daß seine jetzige Be-
geisterung inehr ihrem Vermögen
als ihr selbst galt — kurzum, sie
blieb gegen seine Bewerbungen
sehr kühl, was ihn um so mehr
an den Rand der Verzweiflung
brachte, als sein stets wachsender
Schuldenstand gebieterisch nach dem
Zufluß fremder Baarmittel ver-
langte.

Da konnte nur ein Geniestreich
Helsen, und zu diesem schien ihm
die Zeit gekommen zu sein, als
die Feier des sünsundzwanzigjähr-
igen Jubiläums des Wurzelthaler
Ariegervereins heraurückte. Ls
grenzte an's Märchenhafte, welche
Thätigkeit Stilberger sowohl mit
der Feder im „Tagblatt" als per-
sönlich unter der Bürgerschaft für
dieses Jubiläum entfaltete. Lr
berief Versammlungen ein, hielt
Reden, bildete Lomitös, sammelte
Beiträge, dichtete Prologe und
Trinksprüche, stellte das Menü
für das Festmahl zusammen und
wählte die Lhrenjungsrauen aus.

Die Hauptsache aber war ihm
das Arrangement eines lebenden
Bildes am Festabend, welches die
ganze Feier krönen sollte. Dabei
wollte er den großen Trumps
ausspielen. Fräulein würdig als

23*