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Nciicstc Mode 1915.
Brottäschchcn für Stainmgüste und Ausflügler.
Das Dorn rösche».
Hold, einer Rose vergleichbar, so lagt ihr im Schlaf, Dardanellen.
Nun, von Kanonen geweckt, weist ihr die Dornen dem Feind.
Die Ixriegönafe.
Schmid und Schulze bekommen — jeder wegen eines kleinen
Versehens — eine „Nase".
Schniid sitzt, wie das nach „Nasen" oft der .fdl ist,
stummverbissen an seinem Arbeitsplatz, kaut am Federhalter,
schimpft im Innern giftig über die Ungerechtigkeit der Welt im
allgemeinen und der ihm gewordenen „Auszeichnung" im ganz
besonderen und schaut hie und da argwöhnisch »nd doch auch
wieder mit einer kleinen kollegialen Schadenfreude zu seinem
Leidensgefährten Schulze hinüber, der ja -- sein einziger Trost -
auch eine bekommen hat eine „Nase" nämlich.
Da sieht er aber mit wachsendem Befremden, verwundern,
Erstaunen, ja, mit zunehmender Empörung, das; Schulze an-
scheinend ganz und gar nicht verstimmt, zerknirscht, wütend oder
sonstwie in einer Verfassung ist, wie sie sich nun einmal unmittel-
bar nach Empfang einer „Nase" gehört. Im Gegenteil, Schulze
macht den Eindruck nicht nur eines seelisch vollkommen ruhigen,
nein, sondern den eines ausgesprochen wohlgcstimmtcn, ja, sogar
ungewöhnlich aufgeräumten Mannes— den Eindruck eines Mannes,
der ausnehmend heiter, kurz, von einer Laune ist, wie sie sonst
nur ein Mensch zur Schau trägt, dem etwas besonders Ange-
nehmes widerfahren.
ffl dieser Schulze — dieser lhenchler I Dsfenbar möchte er
bloß über seinen eigenen Ärger hinwegtäuschen und bei seinem
Leidensgenossen dadurch den Schmerz über die erlittene „Nase"
erhöhen, vertiefen oder wie man sonst es bezeichnen will. Aber
das soll ihm nicht gelingen! So gut wie Schulze spielt Schmid
auch noch Komödie I - Er beginnt, leise für sich zu pfeifen und
dann sogar zu trällern. Aber cs glückt nicht auf die Dauer.
Immer wieder gewinnt der Zorn und das Gekränktsein über die
„Nase" die Gberhand — und nicht mehr bloß über die „Nase"
allein, ebenso und beinah' hauptsächlich über den Kollegen, der
so gar nicht dergleichen tut, der sogar — offenbar bloß, tun ihn
recht zu ärgern, es gerade so herausbringt, als sei dieser asch-
graue verschleierte Nasentag für ihn ein Heller sonniger Früh-
lingsmorgen. . . .
Schmid blickt wieder hinüber. Jetzt schnakelt Schulze mit
den Fingern, schaut sich verliebt in dem kleinen Taschenspiegel
an, den der eitle Mensch immer bei sich führt, und nickt seinem
Ebenbild mit einem strahlenden Lächeln zu, wie wenn er sich zu
etwas Besonderem gratulieren wollte . . . vielleicht gar zn der
„Nase" ?>
Nein, das soll ein anderer aushalten! Schmid vermag's
nicht mehr.
Er geht hinüber, steckt die beiden pände in die Hosentaschen
und stellt sich breit wie die strafende Nemesis vor den über-
mütigen, möglicherweise auch schon übergeschnapxten Kollegen hin.
„Ja" — sagt er — „ärgern denn Sie sich gar nicht über Ihre
Nase?"
Da schaut ihn Schulze verwundert, lachend, mit allen An-
zeichen ehrlichen Glückes an. Dann springt er vom Stuhl ans
und ruft, indem er Schmid bei beiden Schultern faßt: „Aber,
Mensch, Freund, Kollege, ärgern über diese Nase — heut',
jetzt, in der Kriegszeit?!., Haben Sie denn gar kein Verständ-
nis für das große Glück, das in dieser Nase liegt — für mich —
für Sie — für uns alle?!"
„Nase? — Glück? — Für Sie? — Für mich?" stammelt
Schmid wie geistesabwcsetld und starrt den andern an, als ob er
jeden Augenblick einen Tobsuchtsanfall gewärtigen würde.
„Aber natürlich!" ruft Schulze vergnügt. „Ist denn diese
Nase nicht ein Zeichen, wie gut, wie sicher es um unsere Sache
steht in dem gewaltigen Völkerkriege? Dder glauben Sie viel-
leicht" — fährt er ernster fort — „wenn wir die Russen, die
Franzosen, die Engländer, die Japaner, die Belgier, die Serbe»,
die Montenegriner und, weiß Gott, wen noch im Land hätten
wenn's bei uns irgendwann, irgendwo, irgendwie haperte, fehlte,
spukte, es wäre noch Zeit und Gelegenheit, uns wegen einer
solchen Kleinigkeit derart feierlich eine solche Pfundnase zu ver-
leihen?! — Hurra und Gott sei Dank, daß bei uns noch eine
so wnnderbare, herrliche, unerschütterliche Mrdnnng aller Verhält-
nisse herrscht! lvic gut und sicher müssen die großen Dinge für
UNS stehen, wenn alles im Kleinen und Kleinsten noch so beim
alten geblieben ist und bleibt?! — Kollege, Freund, Leid- und
Freudgenosse, cs lebe die „Kriegsnase" . . ja, beinah' möcht' ich
sagen: Vivat sequens!"
Da begreift Schmid allmählich das Glücksgefühl des andern.
Zentner um Zentner fällt ihm vom Herzen. Auch sein „Nasen"-
Schmerz taucht unter in dem herrlichen Bewußtsein der allgemeitien
Sicherheit, Drdnung und Siegeszuversicht. !vie neugeboren geht
er an seinen Arbeitsplatz zurück und tunkt vergnügt die Feder
wieder in's Tintenfaß mit einem gedämpften „Hurra!" »nd „Gott
strafe England!" ..
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Nciicstc Mode 1915.
Brottäschchcn für Stainmgüste und Ausflügler.
Das Dorn rösche».
Hold, einer Rose vergleichbar, so lagt ihr im Schlaf, Dardanellen.
Nun, von Kanonen geweckt, weist ihr die Dornen dem Feind.
Die Ixriegönafe.
Schmid und Schulze bekommen — jeder wegen eines kleinen
Versehens — eine „Nase".
Schniid sitzt, wie das nach „Nasen" oft der .fdl ist,
stummverbissen an seinem Arbeitsplatz, kaut am Federhalter,
schimpft im Innern giftig über die Ungerechtigkeit der Welt im
allgemeinen und der ihm gewordenen „Auszeichnung" im ganz
besonderen und schaut hie und da argwöhnisch »nd doch auch
wieder mit einer kleinen kollegialen Schadenfreude zu seinem
Leidensgefährten Schulze hinüber, der ja -- sein einziger Trost -
auch eine bekommen hat eine „Nase" nämlich.
Da sieht er aber mit wachsendem Befremden, verwundern,
Erstaunen, ja, mit zunehmender Empörung, das; Schulze an-
scheinend ganz und gar nicht verstimmt, zerknirscht, wütend oder
sonstwie in einer Verfassung ist, wie sie sich nun einmal unmittel-
bar nach Empfang einer „Nase" gehört. Im Gegenteil, Schulze
macht den Eindruck nicht nur eines seelisch vollkommen ruhigen,
nein, sondern den eines ausgesprochen wohlgcstimmtcn, ja, sogar
ungewöhnlich aufgeräumten Mannes— den Eindruck eines Mannes,
der ausnehmend heiter, kurz, von einer Laune ist, wie sie sonst
nur ein Mensch zur Schau trägt, dem etwas besonders Ange-
nehmes widerfahren.
ffl dieser Schulze — dieser lhenchler I Dsfenbar möchte er
bloß über seinen eigenen Ärger hinwegtäuschen und bei seinem
Leidensgenossen dadurch den Schmerz über die erlittene „Nase"
erhöhen, vertiefen oder wie man sonst es bezeichnen will. Aber
das soll ihm nicht gelingen! So gut wie Schulze spielt Schmid
auch noch Komödie I - Er beginnt, leise für sich zu pfeifen und
dann sogar zu trällern. Aber cs glückt nicht auf die Dauer.
Immer wieder gewinnt der Zorn und das Gekränktsein über die
„Nase" die Gberhand — und nicht mehr bloß über die „Nase"
allein, ebenso und beinah' hauptsächlich über den Kollegen, der
so gar nicht dergleichen tut, der sogar — offenbar bloß, tun ihn
recht zu ärgern, es gerade so herausbringt, als sei dieser asch-
graue verschleierte Nasentag für ihn ein Heller sonniger Früh-
lingsmorgen. . . .
Schmid blickt wieder hinüber. Jetzt schnakelt Schulze mit
den Fingern, schaut sich verliebt in dem kleinen Taschenspiegel
an, den der eitle Mensch immer bei sich führt, und nickt seinem
Ebenbild mit einem strahlenden Lächeln zu, wie wenn er sich zu
etwas Besonderem gratulieren wollte . . . vielleicht gar zn der
„Nase" ?>
Nein, das soll ein anderer aushalten! Schmid vermag's
nicht mehr.
Er geht hinüber, steckt die beiden pände in die Hosentaschen
und stellt sich breit wie die strafende Nemesis vor den über-
mütigen, möglicherweise auch schon übergeschnapxten Kollegen hin.
„Ja" — sagt er — „ärgern denn Sie sich gar nicht über Ihre
Nase?"
Da schaut ihn Schulze verwundert, lachend, mit allen An-
zeichen ehrlichen Glückes an. Dann springt er vom Stuhl ans
und ruft, indem er Schmid bei beiden Schultern faßt: „Aber,
Mensch, Freund, Kollege, ärgern über diese Nase — heut',
jetzt, in der Kriegszeit?!., Haben Sie denn gar kein Verständ-
nis für das große Glück, das in dieser Nase liegt — für mich —
für Sie — für uns alle?!"
„Nase? — Glück? — Für Sie? — Für mich?" stammelt
Schmid wie geistesabwcsetld und starrt den andern an, als ob er
jeden Augenblick einen Tobsuchtsanfall gewärtigen würde.
„Aber natürlich!" ruft Schulze vergnügt. „Ist denn diese
Nase nicht ein Zeichen, wie gut, wie sicher es um unsere Sache
steht in dem gewaltigen Völkerkriege? Dder glauben Sie viel-
leicht" — fährt er ernster fort — „wenn wir die Russen, die
Franzosen, die Engländer, die Japaner, die Belgier, die Serbe»,
die Montenegriner und, weiß Gott, wen noch im Land hätten
wenn's bei uns irgendwann, irgendwo, irgendwie haperte, fehlte,
spukte, es wäre noch Zeit und Gelegenheit, uns wegen einer
solchen Kleinigkeit derart feierlich eine solche Pfundnase zu ver-
leihen?! — Hurra und Gott sei Dank, daß bei uns noch eine
so wnnderbare, herrliche, unerschütterliche Mrdnnng aller Verhält-
nisse herrscht! lvic gut und sicher müssen die großen Dinge für
UNS stehen, wenn alles im Kleinen und Kleinsten noch so beim
alten geblieben ist und bleibt?! — Kollege, Freund, Leid- und
Freudgenosse, cs lebe die „Kriegsnase" . . ja, beinah' möcht' ich
sagen: Vivat sequens!"
Da begreift Schmid allmählich das Glücksgefühl des andern.
Zentner um Zentner fällt ihm vom Herzen. Auch sein „Nasen"-
Schmerz taucht unter in dem herrlichen Bewußtsein der allgemeitien
Sicherheit, Drdnung und Siegeszuversicht. !vie neugeboren geht
er an seinen Arbeitsplatz zurück und tunkt vergnügt die Feder
wieder in's Tintenfaß mit einem gedämpften „Hurra!" »nd „Gott
strafe England!" ..
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Neueste Mode 1915"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1915 - 1915
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 142.1915, Nr. 3642, S. 240
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg