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sag Sterndeuter. A-



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Sn einem einsamen Häuschen, das in dem großen Garten
stand, lebte kfamal, den sie in der ganzen Ralifenstadt den
' Sterndeuter hießen. An der sehr hohen und mit üppigem
Schlinggewächs umwucherten Mauer hatte er nämlich ein mächtiges
Fernrohr aufgerichtet, desgleichen man keines im ganzen Lande
wußte. Durch dieses beobachtete er, wie man sich erzählte, in
schweigender Nacht die Geheimnisse des gestirnten Himmels, die
sich ihm dabei osfenbartcn wie keinem anderen Sterblichen. Denn
er galt als einer der weisesten Männer des Reichs, viele kamen
zu ihm und baten in schwierigen und verwickelten Angelegenheiten
um Rat und fjtlfe — und noch immer hatte sein Wort, wenn es
richtig verstanden und angewendet wurde, zu gutem Gelingen ge-
führt. Insbesondere in ehelichen und Familienangelegenheiten zeigte
er sich als ein Mann von ungemeiner Erfahrung. Es war dies
NM so rätselhafter und bewundernswerter, als er selbst niemals
verheiratet war und überhaupt kein weibliches Wesen in seiner
Nähe und in seinem Oiiiifc duldete. Wenn ihn daher, was nicht
selten vorkain, Frauen um seinen Rat fragen wollten, mußten sie
sich dazu vertranter Personen des anderen Geschlechts bedienen,
denen er dann bereitwillig und treffend Aufschluß erteilte. Man
konnte ihn also nicht wohl einen Weiberfeind nennen. Trotzdem
verhüllten die Frauen und Mädchen, wenn sie ihm auf der Straße
begegneten, ihr Antlitz dichter und ein heimliches Grauen beschlich
sie. Denn cs war ihnen, als ob der Blick des kundigen Greifes

bis in ihr Inneres dringen würde, obwohl er, wie alle sagten, nie
eine von ihnen betrachtete, sondern das Auge stets in tiefem Sinnen
zu Boden gesenkt hielt.

Was sollte auch einem Weisen wie ihm das schöne Gesicht
eines schlanken Mädchens oder einer aufgeblühten Frauenblume
bedeuten — ihm, der in den Sternen las und seiner Wissenschaft
mit solchem Eifer nachhing, daß man ihn sogar tagsüber meist
vor seinem Fernrohr antraf — zu einer Zeit, in der gewöhnliche
Sterbliche am Himmel überhaupt keinen Stern, höchstens das
schwache Bild des bleichen Mondes gewahrten! Gerade da aber
schienen sich ihm die tiefsten Geheimnisse zu erschließen, die seine
Seele mit hoher Befriedigung erfüllten. Denn wenn er sich nach
einer Weile erhob, um seinen Besucher zu empfangen, lag eine
freundliche fjcitcrfcit über sein von würdigem Bart umrahmtes
Gesicht gebreitet und er lächelte wie jemand, der eben wieder an-
genehme und erfreuliche Dinge beobachtet hat.

Nie aber geschah es, daß er ein fremdes Auge in das Rohr
blicken ließ. Stets vielmehr versperrte er die Alappc, die es ab-
schloß, sorgfältig und steckte den Schlüssel zu sich, ehe er den Platz
seiner Forschungen verließ. Offenbar durfte der Blick keines Un-
würdigen durch dieses Fenster in die Welt der Sterne schauen und
sie entweihen, wenn sie ihm geneigt bleiben sollten. Darum wagte
sich auch niemand heimlich an das Rohr und manche, die schon in
unbezwinglicher Neugier in regenschweren Tagen die Mauer er-
klettert hatten, traten unverrichteterdinge im letzten Augenblick
wieder den Rückweg an und entfernten sich mit Schauern der Ehr-
furcht von dem Orte der geheimnisvollen Forschung.

Wenn man aber Hamal in der Stadt gehen sah, machten ihm
die Leute Platz und raunten sich hinter seinem Rücken zu: „Er
weiß alles — er ha t es aus den Sternen!"

Da trat eines Tages der Aalif mit seinen Begleitern in das
Bäuschen. Den Fürsten plagte üble Laune wegen einer Familien-
angelegenheit, für die er keine Lösung fand. Schon oft hatte er
von dem weisen Sterndeuter gehört und beschloß daher, seinen
Rat cinzuholen oder, wenn das ging, selbst in
den Sternen zu lesen, was dort geschrieben war.
Denn der Kalif hatte eine sehr selbständige ener-
gische Natur.

Er hieß seine Begleiter in dem Bäuschen
warte» und trat allein in den Garten, wo er
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Sterndeuter"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Kirchner, Eugen
Entstehungsdatum
um 1915
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1920
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Astrologie
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 142.1915, Nr. 3648, S. 308

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
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