Weihnachisurlaub»
: 'S i
Das Keld der Bäume.
3» keinem Jahr noch war wohl das Ehristkind
so beschäftigt wie Heuer. In keinem Iahr
noch wurde es auch überall so sehnsüchtig er-
wartet — in Städten und Dörfern von den Hundert-
tausenden von Kindern, die sich trotz des Krieges mit
Ungeduld darauf freuten - von den Hunderttausenden
von Erwachsenen, welche diese stille Weihesiunde mitten
in dem tobenden Völkerringen Heuer doppelt herbci-
sehnten - von den Hunderttausenden und Millionen
auch draußen im Felde, die heute bei der blutigen
Mühsal des Kampfes jeden Gruß in der harten Zeit
der Trennung, jede kleinste Gabe von zu Hause mit
zehnfacher Freude empfingen und das brennende Heim-
weh so leichter trugen und mit ausharrendem Opfer-
mut hofften und dachten: „Dann über'S Fahr" . . .
Das Ehristkind, das all' das wußte, kam mit
einem langen, langen Lichterzug von kleinen Bäumen
hinaus in's Feld in die Schützengräben, in die Untcr-
siände, zu dem einsamsten der Soldaten. Aber überall,
wo es hinkäm, hatte schon die Liebe derer zu Haus
und die Weihnachtsfreude der Krieger selbst dafür ge-
sorgt, daß ein Zweiglein geschmückt stand, und war es
noch so klein, und daß ein Lichtlein brannte, und war
es noch so bescheiden.
Da stand das Ehristkind fast erschrocken still und
wußte sich einen Augenblick selbst nicht Bat.
Heimlich zupfte es einen Landsiurmmann am
Ärmel, der ihm einen besonders freundlichen Eindruck
machte. „Was soll denn nun ich mit allen meinen
Bäumchen anfangen?!" fragte es.
„Du?!" sagte er und betrachtete es eine Weile.
Zn seinen Augen schimmerte es seltsam. „Du?! -
Bring' sie doch unseren gefallenen Brüdern!"
Und sieh' da! Ein seltsames Wunder geschah.
In der heiligen Bacht leuchtete und strahlte es weit-
hin über alle die Totenfelder, in Flandern wie in
Polen, in den Argonnen, den Karpathen und in
Serbiens Schluchten, in Berg und Tal - in Sumpf
und Eis.... von Millionen und Abermillionen
Bäumchen eine flimmernde, warme, wehende Lichter-
flut. Wo irdische Liebe zu schwach und ferne war,
schmückte die himmlische jedem einzelnen Schläfer die
stille Schlummerstätte.
Wilhelm He> bert.
Glos s c.
Es ist merkwürdig, daß die, die mit lautesten über
Mangel an „Kinderstube" schreien, meist ganz ohne eine
solche ausgewachsen.
Sonderabdriicke auf Kunstdruckpapier
können einzeln durch den Verlag bezogen werden.
: 'S i
Das Keld der Bäume.
3» keinem Jahr noch war wohl das Ehristkind
so beschäftigt wie Heuer. In keinem Iahr
noch wurde es auch überall so sehnsüchtig er-
wartet — in Städten und Dörfern von den Hundert-
tausenden von Kindern, die sich trotz des Krieges mit
Ungeduld darauf freuten - von den Hunderttausenden
von Erwachsenen, welche diese stille Weihesiunde mitten
in dem tobenden Völkerringen Heuer doppelt herbci-
sehnten - von den Hunderttausenden und Millionen
auch draußen im Felde, die heute bei der blutigen
Mühsal des Kampfes jeden Gruß in der harten Zeit
der Trennung, jede kleinste Gabe von zu Hause mit
zehnfacher Freude empfingen und das brennende Heim-
weh so leichter trugen und mit ausharrendem Opfer-
mut hofften und dachten: „Dann über'S Fahr" . . .
Das Ehristkind, das all' das wußte, kam mit
einem langen, langen Lichterzug von kleinen Bäumen
hinaus in's Feld in die Schützengräben, in die Untcr-
siände, zu dem einsamsten der Soldaten. Aber überall,
wo es hinkäm, hatte schon die Liebe derer zu Haus
und die Weihnachtsfreude der Krieger selbst dafür ge-
sorgt, daß ein Zweiglein geschmückt stand, und war es
noch so klein, und daß ein Lichtlein brannte, und war
es noch so bescheiden.
Da stand das Ehristkind fast erschrocken still und
wußte sich einen Augenblick selbst nicht Bat.
Heimlich zupfte es einen Landsiurmmann am
Ärmel, der ihm einen besonders freundlichen Eindruck
machte. „Was soll denn nun ich mit allen meinen
Bäumchen anfangen?!" fragte es.
„Du?!" sagte er und betrachtete es eine Weile.
Zn seinen Augen schimmerte es seltsam. „Du?! -
Bring' sie doch unseren gefallenen Brüdern!"
Und sieh' da! Ein seltsames Wunder geschah.
In der heiligen Bacht leuchtete und strahlte es weit-
hin über alle die Totenfelder, in Flandern wie in
Polen, in den Argonnen, den Karpathen und in
Serbiens Schluchten, in Berg und Tal - in Sumpf
und Eis.... von Millionen und Abermillionen
Bäumchen eine flimmernde, warme, wehende Lichter-
flut. Wo irdische Liebe zu schwach und ferne war,
schmückte die himmlische jedem einzelnen Schläfer die
stille Schlummerstätte.
Wilhelm He> bert.
Glos s c.
Es ist merkwürdig, daß die, die mit lautesten über
Mangel an „Kinderstube" schreien, meist ganz ohne eine
solche ausgewachsen.
Sonderabdriicke auf Kunstdruckpapier
können einzeln durch den Verlag bezogen werden.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Weihnachtsurlaub"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1915
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1920
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 143.1915, Nr. 3674, S. 306_307
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg