Die Teppichweb er in.
die es schuf, tief in seine Seele sog. — „Me heißt Du?" sagte
er leise. Das Mädchen hob für einen Augenblick die langen seidenen
Wimpern und ein Zittern flog über ihren Nacken — er schaute
in ein paar Augen, wie er sie nie gesehen. „ScheherazadeI" ant-
wortete sie mit leichtem Erröten und senkte Haupt und Hände
wieder über ihre Arbeit.
Ein Ruck ging durch den stolz- aufgerichteten Körper des
Fürsten; seine Brust hob ein unhörbarer Seufzer.
. .. „Scheherazade!" sagte der Herr der Weberei eine halbe
Ltunde später, als er an ihren Arbeitsplatz trat. „Der große
Kalif beauftragt Dich durch meinen unwürdigen Mund, einen
U-eppich zu weben mit den Wundern von „Tausend und einer
Nacht", an die ihn Dein Name „Scheherazade" gemahnt hat!
Niemand soll Dich darin stören, wie lange Du dazu brauchst —
niemand soll Dir weisen, was Du vollbringen magst — der mächtige
Herr des Reiches wacht über Dir und wird aus seinem Schatze
alles bezahlen, dessen Du bedarfst!" Leuchtenden Auges, klopfenden
Herzens, demütigen Sinnes neigte sic das Haupt. „Den, Kalifen
Seljört meine Kunst und mein Leben!" sagte sie.
Und sie begann.
Stunde für Stunde, Tag um Tag, Monat nach Monat, Jahr
011 Jahr saß sic und wob. „Nicht eher will ich ruhen und
raste,,» — sagte sie zu sich — „als bis ich geschaffen habe, was
Auge dos Fürsten genügt! Hassan, mein Trauter, nicht früher
a>erde ich Dein Hochzeitsgemach betreten, bis vollendet ist, was er
u>ir befahl I" Unablässig zog sie die Seidenfäden und wob in ihr
Werk die heiße Sehnsucht ihrer keuschen Seele, das stille Jauchzen
'hrer jungen Liebe, das verschwiegene Glück ihres geheimen Herzens-
l'undes. Aber Jahr um Jahr ging dahin — immer neue Wunder
erstanden vor ihreln Geiste und gewannen Farbe und Gestalt
"liter ih,-x„ emsigen Fingern.
Lange, lange wartete Hassan. Endlich indes schwand feittc
,e&ulb und er begehrte sie zum Weibe. Wohl erblaßte sie vor
l»e», zornigen ungestümen Drängen. Aber ruhigen Tones cnt-
Jbgnete sie ihm: „Noch bin ich nicht zu Ende! Harre mein, wie
jy1 Zither gewartet, bis ich den Auftrag des Kalifen ausgeführt!
j^en" Du das aber nicht mehr vermagst, so sei frei — geh' Deines
e3es und wähle nach Deinem Herzen — ich will meinem Fürsten
fe*n und seinem Gebote; ich kann meine Arbeit nicht enden,
b lch nicht weiß, daß er mit mir zufrieden sein wird!"
öiug Hassan hin und nahm eine andere, die nicht durch
^ I lenge Pflicht gebunden war — deren Vater aber dafür reiche
uinelherden besaß und ihr alles mitgab, was eili Weib und ihren
u?d C" wachen konnte. Scheherazade senkte das Haupt
^ wob in ihre Arbeit die brennenden Leiden verlassener Liebe,
su lautlosen Schmerz edler Entsagung, den stillen hart erkämpften
^ledcn einer geläuterten Seele.
r , W'ö wieder waren Jahre um Jahre vergangen — in ihr
des^"^"'E^ Huar flocht die Zeit die ersten silberllen Mahnerinnen
Nkutj ^ers. „Komm' zu uns, Tochter I" sprachen da Vater und
pfl ^rst genug getan für andere und sollst nun uns
^°geu im hohen Alter und sollst auch Dich selbst ausruhen mit
, ^bn ermatteten Augen und Deinen steifer werdenden Fingern!" -
te„o^z,^ CS a)eit I" entgegnete sie leise und schnrerzlich gesenk-
süllt^ -i~e~ habe ich den Auftrag meines Fürsten nicht er-
ihn - drängen sich Hunderte von Gestalten an mich, die ich
?affen muß die glänzenden Vögel des Zauberreichs, die
für ln den Gärten der Huri, die Helden im Kampfe
kiibl-' ^ uu^ ^’e lieblichen Frauen, die ihnen die wunde Stirne
ou und süßen Stärketrauk den erschöpften Kriegern reichen!"
83
Es starben ihre Eltern, ihre verwandten, ihre Freunde. Sie
stand allein. Aber ihre zitternden Finger woben und woben und ihre
umschleierten Augen strahlten glücklich, wenn unter den kunstreichen
Händen das Werk weiter und weiter gedieh, das alle mit staunen-
dem Wundern umschlichen, mit ehrfürchtigen Schauern betrachteten.
„Willst Du nun nicht endlich ruhen?!" fragte sie ihr Gebieter,
der ein silberweißer Greis geworden, mit freundlicher Stimme.
— „Willst Du nun nicht endlich ruhen?!" wiederholte der junge
Kalif, der seinem Vorfahren gefolgt war und von dem Wunder-
werke gehört hatte und es besichtigte. „Wahrlich, Du hast, dem
Willen meines Vaters getreu, getan, was nur ein Meusch vermochte;
längst würde er Dich, wenn er noch lebte, Deines Amtes entbunden
haben! Du hast genug getan und mehr als genug!"
„Aber vor mir selbst, Herr, bin ich noch nicht am Ziele!"
entgegnete sie und errötete leise wie damals, als sein Vater die
kunstvolle, duftende Rose Schiras betrachtet hatte. Unter ihren
Händen wuchs das Bild des entschlafenen Kalifen selbst empor,
mächtig nnd gütig, weise und gerecht, stark und wohlwollend, wie er
gewirkt hatte und gestorben war. Und sie hatte ihn doch in ihrem
Leben nur den Ausschlag eines Auges lang gesehen. Endlich
hatte sie auch ihn, der über all den Gestalten von „Tausend nnd
einer Nacht" thronte, vollendet. Müde sanken ihre Hände; eilte
leise Träne rann über das von tausend Fallen durchzogene Gesicht
des steinalten Mütterchens, das sie darüber geworden war.
Da trugen sie den Teppich fort. Alles Volk bestaunte und
umjubelte ihn. Selbst der junge Kalif nnd seine schöne Gemahlin,
denen man ihn zum Thronsaal brachte, wo er eine mächtige Wand
bekleidete - selbst sie stießen Ruse der Bewunderung und der Freude
aus. „Führt sie zu uns!" sprach der Herr des Reiches. „Führt
sie zu uns" — wiederholte seine Gemahlin — „daß wir sie ehren
und belohnen, wie es das lvcrk ihres ganzen Lebens verdient hat!"
Sie aber saß auf dem niederen Schemel, wo sie ihr Leben
verbracht, treu ihrer Knust, treu ihrem Schwur. Als man sie
sauft emxorichtete, um sie vor den Fürsten zu geleiten, da bemerkten
sie erst, daß ihr Geist entflohen war — ihr Antlitz aber leuchtete
und lächelte, jung geworden, in seeliger Ruhe, froh der still und
treu erfüllten Pflicht.... Wilhelm Herbert.
die es schuf, tief in seine Seele sog. — „Me heißt Du?" sagte
er leise. Das Mädchen hob für einen Augenblick die langen seidenen
Wimpern und ein Zittern flog über ihren Nacken — er schaute
in ein paar Augen, wie er sie nie gesehen. „ScheherazadeI" ant-
wortete sie mit leichtem Erröten und senkte Haupt und Hände
wieder über ihre Arbeit.
Ein Ruck ging durch den stolz- aufgerichteten Körper des
Fürsten; seine Brust hob ein unhörbarer Seufzer.
. .. „Scheherazade!" sagte der Herr der Weberei eine halbe
Ltunde später, als er an ihren Arbeitsplatz trat. „Der große
Kalif beauftragt Dich durch meinen unwürdigen Mund, einen
U-eppich zu weben mit den Wundern von „Tausend und einer
Nacht", an die ihn Dein Name „Scheherazade" gemahnt hat!
Niemand soll Dich darin stören, wie lange Du dazu brauchst —
niemand soll Dir weisen, was Du vollbringen magst — der mächtige
Herr des Reiches wacht über Dir und wird aus seinem Schatze
alles bezahlen, dessen Du bedarfst!" Leuchtenden Auges, klopfenden
Herzens, demütigen Sinnes neigte sic das Haupt. „Den, Kalifen
Seljört meine Kunst und mein Leben!" sagte sie.
Und sie begann.
Stunde für Stunde, Tag um Tag, Monat nach Monat, Jahr
011 Jahr saß sic und wob. „Nicht eher will ich ruhen und
raste,,» — sagte sie zu sich — „als bis ich geschaffen habe, was
Auge dos Fürsten genügt! Hassan, mein Trauter, nicht früher
a>erde ich Dein Hochzeitsgemach betreten, bis vollendet ist, was er
u>ir befahl I" Unablässig zog sie die Seidenfäden und wob in ihr
Werk die heiße Sehnsucht ihrer keuschen Seele, das stille Jauchzen
'hrer jungen Liebe, das verschwiegene Glück ihres geheimen Herzens-
l'undes. Aber Jahr um Jahr ging dahin — immer neue Wunder
erstanden vor ihreln Geiste und gewannen Farbe und Gestalt
"liter ih,-x„ emsigen Fingern.
Lange, lange wartete Hassan. Endlich indes schwand feittc
,e&ulb und er begehrte sie zum Weibe. Wohl erblaßte sie vor
l»e», zornigen ungestümen Drängen. Aber ruhigen Tones cnt-
Jbgnete sie ihm: „Noch bin ich nicht zu Ende! Harre mein, wie
jy1 Zither gewartet, bis ich den Auftrag des Kalifen ausgeführt!
j^en" Du das aber nicht mehr vermagst, so sei frei — geh' Deines
e3es und wähle nach Deinem Herzen — ich will meinem Fürsten
fe*n und seinem Gebote; ich kann meine Arbeit nicht enden,
b lch nicht weiß, daß er mit mir zufrieden sein wird!"
öiug Hassan hin und nahm eine andere, die nicht durch
^ I lenge Pflicht gebunden war — deren Vater aber dafür reiche
uinelherden besaß und ihr alles mitgab, was eili Weib und ihren
u?d C" wachen konnte. Scheherazade senkte das Haupt
^ wob in ihre Arbeit die brennenden Leiden verlassener Liebe,
su lautlosen Schmerz edler Entsagung, den stillen hart erkämpften
^ledcn einer geläuterten Seele.
r , W'ö wieder waren Jahre um Jahre vergangen — in ihr
des^"^"'E^ Huar flocht die Zeit die ersten silberllen Mahnerinnen
Nkutj ^ers. „Komm' zu uns, Tochter I" sprachen da Vater und
pfl ^rst genug getan für andere und sollst nun uns
^°geu im hohen Alter und sollst auch Dich selbst ausruhen mit
, ^bn ermatteten Augen und Deinen steifer werdenden Fingern!" -
te„o^z,^ CS a)eit I" entgegnete sie leise und schnrerzlich gesenk-
süllt^ -i~e~ habe ich den Auftrag meines Fürsten nicht er-
ihn - drängen sich Hunderte von Gestalten an mich, die ich
?affen muß die glänzenden Vögel des Zauberreichs, die
für ln den Gärten der Huri, die Helden im Kampfe
kiibl-' ^ uu^ ^’e lieblichen Frauen, die ihnen die wunde Stirne
ou und süßen Stärketrauk den erschöpften Kriegern reichen!"
83
Es starben ihre Eltern, ihre verwandten, ihre Freunde. Sie
stand allein. Aber ihre zitternden Finger woben und woben und ihre
umschleierten Augen strahlten glücklich, wenn unter den kunstreichen
Händen das Werk weiter und weiter gedieh, das alle mit staunen-
dem Wundern umschlichen, mit ehrfürchtigen Schauern betrachteten.
„Willst Du nun nicht endlich ruhen?!" fragte sie ihr Gebieter,
der ein silberweißer Greis geworden, mit freundlicher Stimme.
— „Willst Du nun nicht endlich ruhen?!" wiederholte der junge
Kalif, der seinem Vorfahren gefolgt war und von dem Wunder-
werke gehört hatte und es besichtigte. „Wahrlich, Du hast, dem
Willen meines Vaters getreu, getan, was nur ein Meusch vermochte;
längst würde er Dich, wenn er noch lebte, Deines Amtes entbunden
haben! Du hast genug getan und mehr als genug!"
„Aber vor mir selbst, Herr, bin ich noch nicht am Ziele!"
entgegnete sie und errötete leise wie damals, als sein Vater die
kunstvolle, duftende Rose Schiras betrachtet hatte. Unter ihren
Händen wuchs das Bild des entschlafenen Kalifen selbst empor,
mächtig nnd gütig, weise und gerecht, stark und wohlwollend, wie er
gewirkt hatte und gestorben war. Und sie hatte ihn doch in ihrem
Leben nur den Ausschlag eines Auges lang gesehen. Endlich
hatte sie auch ihn, der über all den Gestalten von „Tausend nnd
einer Nacht" thronte, vollendet. Müde sanken ihre Hände; eilte
leise Träne rann über das von tausend Fallen durchzogene Gesicht
des steinalten Mütterchens, das sie darüber geworden war.
Da trugen sie den Teppich fort. Alles Volk bestaunte und
umjubelte ihn. Selbst der junge Kalif nnd seine schöne Gemahlin,
denen man ihn zum Thronsaal brachte, wo er eine mächtige Wand
bekleidete - selbst sie stießen Ruse der Bewunderung und der Freude
aus. „Führt sie zu uns!" sprach der Herr des Reiches. „Führt
sie zu uns" — wiederholte seine Gemahlin — „daß wir sie ehren
und belohnen, wie es das lvcrk ihres ganzen Lebens verdient hat!"
Sie aber saß auf dem niederen Schemel, wo sie ihr Leben
verbracht, treu ihrer Knust, treu ihrem Schwur. Als man sie
sauft emxorichtete, um sie vor den Fürsten zu geleiten, da bemerkten
sie erst, daß ihr Geist entflohen war — ihr Antlitz aber leuchtete
und lächelte, jung geworden, in seeliger Ruhe, froh der still und
treu erfüllten Pflicht.... Wilhelm Herbert.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Teppichweberin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1916
Entstehungsdatum (normiert)
1911 - 1921
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 145.1916, Nr. 3708, S. 83
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg