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Pitus legt die Zeitung aus der Hand, trommelt ein wenig
mit den Fingern auf den Tisch und starrt die alte Wand-
uhr vorwurfsvoll an, wie wenn sie eine besonders ungelegene
Stunde geschlagen hätte. Dann nimmt seine Frau das Blatt
auf, liest plötzlich mit großem Eifer eine Stelle und liest sie noch
einmal; d'rauf läßt sie es in den Schoß sinken und seufzt. Leni,
die Tochter, ein echtes Münchner Kindl wie Milch und Blut, holt
sich mit einem fragenden Blick die Tagesneuigkeiten, überfliegt
sie ihrerseits, bleibt auch mit erschrockenen Augen an der gleichen
Stelle hängen, wirft die Zeitung schnell auf das Fensterbrett, steht
auf und setzt sich dann wieder. Die zwei jüngeren Geschwister
— Hansl und Gretl — haben in ihrem Spiel eingehalten und
das beobachtet. Schon sind sie hinter der Nachricht her, finden
sie endlich und lesen sie, Kopf an Kopf gedrückt. Dann springen
sie auf und auseinander, nach Heini und Hexl, den beiden Kunden,
die gerade auf dem Boden scherzen. Jedes packt einen davon und

schleppt ihn in den Winkel, wie wenn sie ihn vor einer noch
ungenannten Gefahr schützen wollten.

„Ja" — sagt da Herr Vitus und wendet den Blick von der
Uhr in's Zimmer hinein in's Leere — „der erste Hund kostet in
Zukunft dreißig Mark Steuer, der zweite fünfzig., das ist zu
viel . . der zweite muß weg!"

Die andern antworten nichts. Endlich aber sagt die Mutter
und läßt den Blick im Kreis wandern: „wenn das gar so einfach
wär'I — welcher ist dann der zweite?" — „Ich mein' halt" —
antwortet er etwas unsicher, aber doch in der Empfindung, daß
etwas gesagt und eine Entscheidung getroffen werden muß —
„der Heini halt, mein' ich! Er hat so erst neulich wieder den
Stiefel zusammengebissen und der ältere ist er auch!"

„Ach, der Heini!" seufzt die Mutter und betrachtet mit einen:
schweren Blick den Verurteilten, der ahnungslos in Gretls Arm
sitzt und nach ihrem blonden Zopf schnappt.

„Den Heini geb' ich nicht her!" ruft da die Gretl mit
flackernder Stimme. „Der Heini nicht!"

„Dann ist die Hexl die zweitel" meint Herr Vitus und schaut
mit großem Interesse einer Fliege zu, die mit den Vorderfüßen
auf dem Tischtuch ein verstreutes Salzkorn bearbeitet.

„M, die Hexl!" seufzt die Mutter wieder. 276

„Die Hexl aus keinen Fall!" schreit der Hansl und schlingt die
beiden Arme um die Bedrohte, „warum denn g'rad' die Hexl?! " —
„Und warum denn g'rad' der Heini?!" ruft die Gretl und heult
schon. — „Aber einer muß halt der zweite sein!" sagt Herr
Vitus. „Sind schon dreißig Mark für den ersten genug — dann gar
noch fünfzig für den zweiten — was nimmer geht, geht nimmer!"

Da erhebt sich die Leni schwer und geht aus dem Zimmer.

„warum lauft denn das Dirndl davon?!" meint er erstaunt
und unbehaglich, weil er offenbar von dem so energischen und
vernünftigen Mädl einige Hilfe in der unangenehmen Lage er-
wartet hat.

„Tun ihr halt so leid alle zwei!" antwortet die Mutter. „Mir
ja auch I" —

„Mir ja auch!" ruft der Hansl. „Aber besonders die Hexl!"

„Mir ja auch!" heult die Gretl. „Aber besonders der Heini!"

Da kommt die Leni wieder zurück.

„was meinst denn Du, Dirndl?!" sagt Herr Vitus mit ziem-
lich unsicherer Stimme. „welcher soll denn der zweite sein?!"

Da schaut sie ihn an aind lacht. „Ich bin der zweite!"
antwortet sie und schüttet aus ihrem roten Geburtstagsbeuterl
einiges — alles, was darin ist — auf den Tisch. „I ch bin der
zweite! Mb ich heuer die neue pelzmütz' Hab' oder nicht! Tut's
die alte auch noch!"

Die Mutter legt die Hände in einander und lächelt. Ja, die
Leni halt — die hat ein Herz, ein echtes goldenes Münch'ner Herz!

Herr Vitus macht ein inerkwürdig brummiges Gesicht und
schiebt umständlich das Geld auseinander und zählt es. „Das
reicht aber nicht!" sagt er dann und klopft mit dem letzten Mark-

stück, das er gezählt hat, auf den Tisch, als
ob er

Schon sind Hansl und Gretl davon
gesprungen und bringen ihre Sparschweindeln und schütten sie
hin. „Reicht's jetzt?!" fragen sie begierig und schauen ihm ängst-
lich auf den Mund. Er reiht die „Fufzgerln" und Zehnerln
genau neben einander und rechnet noch einmal. „Es geht!" sagt
er dann. „Mit knapper Not geht'sl" Und der Heini und die
Hexl, als ob sie's wüßten, daß nun keines von ihnen der „zweite"
zu sein braucht, jagen mit lauten: übermütigen: Gebell durch die
Stube und die Kinder hinterd'rein, die Leni auch dabei. — Herr
Vitus und seine Frau aber nicken sich zu und denken: „Soll uns
auch keines von Euch je das „zweite" sein im Leben!" y.
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Zweite"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Verschlagwortung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stockmann, Hermann
Entstehungsdatum
um 1916
Entstehungsdatum (normiert)
1911 - 1921
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Weltkrieg <1914-1918>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 145.1916, Nr. 3724, S. 273

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