--©V2/ Der Vielgetreue.
Die Jalten möcht' ich von der Stirn' dir küssen.
Damit sie wieder werde, wie sie war,
Bevor der Pflug des Lebens sie zerrissen:
Glatt, hell und heiter, jugendlich und klar.
Und was Jahrzehnte dir an schweren Bürden
Auf deiner Schultern zartes Rund gelegt,
Gern' nahm' ich's fort, damit sie wieder würden
So frei und leicht, wie sie sich einst geregt.
Was wir gelitten haben, zu vergessen
Und froh zu sein, gern hätt' ich's dich gelehrt. —
Du bist nicht, was ich einst in dir besessen.
Und bist mir dennoch mehr als Alles wert.
JTT. Holthausen.
Kalif liebte es, zuzeiten mit seinen Gedanken allein
gjaS# zn sein. Als er so wieder eines Morgens auf feinem
prächtigen Berberhengst in die wüste ritt, wurde er
plötzlich von einer Reiterschar umringt.
„wißt Ihr nicht, Ihr Räuber" — rief er empört — „w e r
>ch bin, daß Ihr mich ruchlos und verwegen gefangen nehmt?I"
„wir wissen esl" entgegnete der Anführer des Schwarms,
ein schlanker junger Mann mit edlen Gesichtszügen. „Darum
oben nehme ich Dich gefangen. Auch Du hast meinen Bruder,
den Scheich Achmed, zu Unrecht gewaltsam in's Gefängnis ge-
worfen, wo er seit Monaten dahinstirbt. Denn wir Männer
sterben ohne die Freiheit. Er ist der Verschwörung unschuldig,
deren ihn Deine Schmeichler bezichtigen. Unsere Art ist
offner Kampf, nicht tückischer verratI"
Dem Kalifen gefiel die stolze freimütige weise des jungen
Leiters, „wenn das Deine Art ist" — sprach er indessen —
»warum überfällst Du mich hier in einsamer wüste?I"
Stolz warf der andere das khaupt in den Backen. „Gut!"
st^gte er. „Du bist frei. Ich werde Dich in Deinem
laste holen. Sieh hier den Dolch und merke Dir dieses
Teichen wohl: Die grüne Fliege aus Smaragd, die rettungs-
los der Spinne aus Rubin in's Netz geht — Du wirst den Dolch
Wiedersehen I"
Damit neigte er sein bsaupt und sprengte mit den Reitern
von dannen. Der Kalif blickte ihnen nach, bis sie am Rande der
wüste verschwunden waren. Gern hätte er noch mehr mit dem
Jüngling gesprochen, dessen ganzes Wesen ihm so außerordentlich
wohl gefiel. . .
Er brach seinen Spazierritt ab und begab sich in den Palast
zurück. Dort verschärfte er alsbald die Wachen und ließ alle Pforten
wohl verschließen. Dann begab er sich in die innersten Gemächer.
„Jetzt" — sprach er lächelnd für sich — „komm', grüne Fliege,
und hole mich!"
Am andern Morgen ging er in tiefen Gedanken in seinem
Garten spazieren und überlegte Scheich Achmeds Sache. Er be-
schloß, sie selbst noch einmal nachzuprllfen und sich nicht auf das
zu verlassen, was er von seinen Räten erfahren, während er
so für sich hinsann, bemerkte er in den Wandelgängen zwischen
den schattigen Palmen in einiger Entfernung von sich eine schöne
junge Frauengestalt, die schon einmal gesehen zu haben er sich
nicht entsinnen konnte, war es doch den Frauen des Palastes
und überhaupt jedem Menschen streng untersagt, diesen Teil des
Gartens zu betreten. Neugierig folgte er mit raschen Schritten
dem rätselhaften Wesen, dessen anmutige Bewegungen sein Auge
erfreuten. Sie aber schien ihn nicht zu bemerken und näherte sich
der hohen Mauer, die den Garten einschloß; dort hielt sie plötzlich
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Die Jalten möcht' ich von der Stirn' dir küssen.
Damit sie wieder werde, wie sie war,
Bevor der Pflug des Lebens sie zerrissen:
Glatt, hell und heiter, jugendlich und klar.
Und was Jahrzehnte dir an schweren Bürden
Auf deiner Schultern zartes Rund gelegt,
Gern' nahm' ich's fort, damit sie wieder würden
So frei und leicht, wie sie sich einst geregt.
Was wir gelitten haben, zu vergessen
Und froh zu sein, gern hätt' ich's dich gelehrt. —
Du bist nicht, was ich einst in dir besessen.
Und bist mir dennoch mehr als Alles wert.
JTT. Holthausen.
Kalif liebte es, zuzeiten mit seinen Gedanken allein
gjaS# zn sein. Als er so wieder eines Morgens auf feinem
prächtigen Berberhengst in die wüste ritt, wurde er
plötzlich von einer Reiterschar umringt.
„wißt Ihr nicht, Ihr Räuber" — rief er empört — „w e r
>ch bin, daß Ihr mich ruchlos und verwegen gefangen nehmt?I"
„wir wissen esl" entgegnete der Anführer des Schwarms,
ein schlanker junger Mann mit edlen Gesichtszügen. „Darum
oben nehme ich Dich gefangen. Auch Du hast meinen Bruder,
den Scheich Achmed, zu Unrecht gewaltsam in's Gefängnis ge-
worfen, wo er seit Monaten dahinstirbt. Denn wir Männer
sterben ohne die Freiheit. Er ist der Verschwörung unschuldig,
deren ihn Deine Schmeichler bezichtigen. Unsere Art ist
offner Kampf, nicht tückischer verratI"
Dem Kalifen gefiel die stolze freimütige weise des jungen
Leiters, „wenn das Deine Art ist" — sprach er indessen —
»warum überfällst Du mich hier in einsamer wüste?I"
Stolz warf der andere das khaupt in den Backen. „Gut!"
st^gte er. „Du bist frei. Ich werde Dich in Deinem
laste holen. Sieh hier den Dolch und merke Dir dieses
Teichen wohl: Die grüne Fliege aus Smaragd, die rettungs-
los der Spinne aus Rubin in's Netz geht — Du wirst den Dolch
Wiedersehen I"
Damit neigte er sein bsaupt und sprengte mit den Reitern
von dannen. Der Kalif blickte ihnen nach, bis sie am Rande der
wüste verschwunden waren. Gern hätte er noch mehr mit dem
Jüngling gesprochen, dessen ganzes Wesen ihm so außerordentlich
wohl gefiel. . .
Er brach seinen Spazierritt ab und begab sich in den Palast
zurück. Dort verschärfte er alsbald die Wachen und ließ alle Pforten
wohl verschließen. Dann begab er sich in die innersten Gemächer.
„Jetzt" — sprach er lächelnd für sich — „komm', grüne Fliege,
und hole mich!"
Am andern Morgen ging er in tiefen Gedanken in seinem
Garten spazieren und überlegte Scheich Achmeds Sache. Er be-
schloß, sie selbst noch einmal nachzuprllfen und sich nicht auf das
zu verlassen, was er von seinen Räten erfahren, während er
so für sich hinsann, bemerkte er in den Wandelgängen zwischen
den schattigen Palmen in einiger Entfernung von sich eine schöne
junge Frauengestalt, die schon einmal gesehen zu haben er sich
nicht entsinnen konnte, war es doch den Frauen des Palastes
und überhaupt jedem Menschen streng untersagt, diesen Teil des
Gartens zu betreten. Neugierig folgte er mit raschen Schritten
dem rätselhaften Wesen, dessen anmutige Bewegungen sein Auge
erfreuten. Sie aber schien ihn nicht zu bemerken und näherte sich
der hohen Mauer, die den Garten einschloß; dort hielt sie plötzlich
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die grüne Fliege"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1917
Entstehungsdatum (normiert)
1912 - 1922
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 146.1917, Nr. 3749, S. 261
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg