Schiff ober Floß?
Äls ich hundert Lebensfahrteu mit den Schreibe-
fingern nachgefahrcn war, sah ich es: Auf zwei
Arten können wir den Lcbensstroni hinuuterfahren:
Zu Schiff, zu Floß. Wähle!
Die sich vor'm Beginne ihrer Fahrt für's
Schiff entschieden, fingen an zu messen und zu
rechnen, zu hämmern und zn sägen, zu schmieden
und zu löten, bauten Apparate, bauten Dampf-
maschinen in das Jnn're ihres Lebensschiffes,
häuften jahrelang die Kohlen in den Kammern,
schleppten weit're Jahre Proviant um Proviant,
ließen sich den Bildungskompaß wieder jahrelang
von Professoren stellen, studierten schwitzend Karten
und fuhren ab im Abenddämmer und fuhren durch
die Nacht. Gesehen haben sie auf ihrer Spätfahrt
nicht viel mehr als Warnuugslichter au den Ufern.
Am Morgen aber, noch vor Sonnenaufgang, kletterte
der beinerne Pilot am Schiff hinauf, schwang sich
aus die Kommandobrücke und nahm dir strenge
oder sanft das Steuer aus der Hand: „Abtreten!
Fahrt zu Ende!"
Du klammerst dich an die Planken: „Und
mein Schiff, mein gutes Schiff, an dem ich drei
Viertel meines Lebens baute, werkelte und schwitzte?"
schreist du.
„Nehme ich," sagt der Beinerne, „es kann
dir doch nichts nützen in der Leichenkammer,
marsch, hinunter!"
Die sich aber vor der Fahrt für's Floß ent-
schieden, fällten ein paar Bäume im grünen Walde
ihrer frühen Jugend, legten sie lang, legten sic
quer und pfiffen unter'm Binden. Noch ein paar
feste Klammern eingehauen: „Es wird schon gehen,
los!"
Bei lichtem Tage fuhren sie an hellen Ufern
hin und sangen und verfangen ihre Fahrt, lind
als es Abend wurde, lenkten sic in aller Stille
vor der großen Totenstadt ihr unbekümmert' Floß
an's Ufer und verkauften es mit Lang- und Quer-
holz sonder Rest zu einem guten Preis. Mit dem
Gcldc hatten sie noch einen frohen Abend in dem
nahen Gasthaus und waren freigebig und guter
Dinge bis weit in die Nacht hinein. Und als
am ander'n Morgen vor Sonnenaufgang der
beinerne Pilot die Ufer absnchte: „Hier soll ein
Schiff mit einem Schiffer fällig sein?" rief es
wohlgemut vom Zimmerfenster: „Der fällige
Schiffer, der bin ich."
„Hub dein Schiff, ich will cs übernehmen."
„Mein Floß?" Gebaut, verfahren, verfreudet
und verkauft, gib dir keine Mühe. Auch nicht
meinetwegen. Ich gedenke einen langen Schlaf
zu tun, denn meines Lebens Fahrt war lang
und froh."
Auf zwei Arten können wir des Lebens Strom
hinuntcrfahren: Wähle!
Lritz Müller.
Äs^sin Sturm slog aus und zündete den Weltbrand.
jSpt Ehern einher schritt sürchteriichen Slicks,
4?^ Den Schild mit seinem Schwerte schlagend, Lars
End alle Völker bebten. Die Soldaten
Emscharten ihre Führer. Reil erklang
Ihr Lurus und die blanken Massen blitzten.
Die Lüsen aber, die vertraulich still
In Lenschenmitte schwesterlich geweilt,
Das Raus verschönt, den weiten Kreis ersreut,
Entslohen I<S
m zum ° > A
Drängten I' Ja
Doch Sott WJ
Die bleiche
Für sie, eröe
Ein Reim 0 / sei.
So weilten
,id ^
Iremd,
Im Sötterhause. AVer ihre Sehnsucht
Flog zärtlich suchend zu den Sterblichen,
In deren warmen törichtsrohen Rerzen
Das Reim der schönen freien Künste war.
Sie blickten traurig nach der fernen Erde
End sprachen unter sich in leisen Morten.
„0 längst" — so sammerte Lelpomene —
„vergaß der Dichter meiner ganz und längst
vergaß mich ob des schrecklicheren Schauspiels,
Das dort sich austut, auch das bleiche Volk I" —
„Lein Lädchen, das sich leicht im Tanze
schwang" —
Seuszt' Terpsichore —“ lehnt mit müdem Fuß
Hm Kebentor des Rauses und sieht weinend
Den Liebsten scheiden, den die Feldschiacht rustl" -
„Emsonst" — sprach Klio — „mahn' ich den
Selehrten.
Fluch er ergriff die Streitaxt statt der Feder!" ..
„Kurz, keiner" — klagten alle — „denkt
mehr unser!
Ennlltz sind wir den irdischen Freunden jetzt,
Mo wir am meisten Ihnen dienen möchten,
End ausgelöscht ist unser Dame dort!" ..
Da legte an den Lund den Finger schnell
Euterpe und, ein Lächeln im Sesicht,
Ein Rossen in der Seel', gebot sie Schweigen.
„Sewahrt Ihr's?!" slüsterte sie lauschend leis' -
End auch die andern beugten sich hinab.
Allmählich durch den Waffenlsrm des Krieges
Erreichte Ton und Siid den Lusenjitz.
Rier Feldmarschchor, dort einer Wache Summen,
Die einsam eine Reimatweise pfiff —
Der Witwen und der Waisen Iraurigfrohes
Totengedenken im verträumten Lied.
Der Künstler, der verwundete erheitert —
Die Sängerin, die vor blinden Kriegern sang
Der Sühne wechselvoller Silderreigen,
Der draußen und daheim das Rer; erquickt —
Des Schlachtenmalers emsig bunter Stist
End jede kleine slüchlige Kriegerskizze.
Das Tagebuch, das treu noch im Tornister
Sesallner Relden ihre letzten Stunden
Sewahrt, ihr Leben und ihr stilles Sterben
Für's Vatervolk und traute Elternhaus ..
LIt tausend Tönen und mit tausend Seichen
Drang Erdensehnsucht zu den Lüsen aus.
Im Lauschen lächelnd, lachend, sroh und mutig
vernahm die weggescheuchte Schär den Kuf.
Sie eilten heißen Wunsches voll vor Leus:
„Rerr! Dicht vergessen sind wir aus der
Erde!
In Leid und Stürmen denken sie noch unser!
Ja, mehr als je zieht uns ihr Rer; zu sich.
0, zürne nicht, wenn wir den Eöttersitz
Trotz Dektars und Ambrosia verlassen
End Dot und Zammer lieber drunten teilen:
Denn Kunst und Lenschheit hat ein
Sott vereint!"..
„End wird sie nimmer trennen!" lächelte
Gewährend Leus. „So zieht denn froh voraus!
Seslügelt ihrer schweren Stunden Last,
Sis sich die Wetterwolken sriedlich lichten
End In dem Lenschen sich der Lensch erkennt!"..
Wilhelm Herbert.
Äls ich hundert Lebensfahrteu mit den Schreibe-
fingern nachgefahrcn war, sah ich es: Auf zwei
Arten können wir den Lcbensstroni hinuuterfahren:
Zu Schiff, zu Floß. Wähle!
Die sich vor'm Beginne ihrer Fahrt für's
Schiff entschieden, fingen an zu messen und zu
rechnen, zu hämmern und zn sägen, zu schmieden
und zu löten, bauten Apparate, bauten Dampf-
maschinen in das Jnn're ihres Lebensschiffes,
häuften jahrelang die Kohlen in den Kammern,
schleppten weit're Jahre Proviant um Proviant,
ließen sich den Bildungskompaß wieder jahrelang
von Professoren stellen, studierten schwitzend Karten
und fuhren ab im Abenddämmer und fuhren durch
die Nacht. Gesehen haben sie auf ihrer Spätfahrt
nicht viel mehr als Warnuugslichter au den Ufern.
Am Morgen aber, noch vor Sonnenaufgang, kletterte
der beinerne Pilot am Schiff hinauf, schwang sich
aus die Kommandobrücke und nahm dir strenge
oder sanft das Steuer aus der Hand: „Abtreten!
Fahrt zu Ende!"
Du klammerst dich an die Planken: „Und
mein Schiff, mein gutes Schiff, an dem ich drei
Viertel meines Lebens baute, werkelte und schwitzte?"
schreist du.
„Nehme ich," sagt der Beinerne, „es kann
dir doch nichts nützen in der Leichenkammer,
marsch, hinunter!"
Die sich aber vor der Fahrt für's Floß ent-
schieden, fällten ein paar Bäume im grünen Walde
ihrer frühen Jugend, legten sie lang, legten sic
quer und pfiffen unter'm Binden. Noch ein paar
feste Klammern eingehauen: „Es wird schon gehen,
los!"
Bei lichtem Tage fuhren sie an hellen Ufern
hin und sangen und verfangen ihre Fahrt, lind
als es Abend wurde, lenkten sic in aller Stille
vor der großen Totenstadt ihr unbekümmert' Floß
an's Ufer und verkauften es mit Lang- und Quer-
holz sonder Rest zu einem guten Preis. Mit dem
Gcldc hatten sie noch einen frohen Abend in dem
nahen Gasthaus und waren freigebig und guter
Dinge bis weit in die Nacht hinein. Und als
am ander'n Morgen vor Sonnenaufgang der
beinerne Pilot die Ufer absnchte: „Hier soll ein
Schiff mit einem Schiffer fällig sein?" rief es
wohlgemut vom Zimmerfenster: „Der fällige
Schiffer, der bin ich."
„Hub dein Schiff, ich will cs übernehmen."
„Mein Floß?" Gebaut, verfahren, verfreudet
und verkauft, gib dir keine Mühe. Auch nicht
meinetwegen. Ich gedenke einen langen Schlaf
zu tun, denn meines Lebens Fahrt war lang
und froh."
Auf zwei Arten können wir des Lebens Strom
hinuntcrfahren: Wähle!
Lritz Müller.
Äs^sin Sturm slog aus und zündete den Weltbrand.
jSpt Ehern einher schritt sürchteriichen Slicks,
4?^ Den Schild mit seinem Schwerte schlagend, Lars
End alle Völker bebten. Die Soldaten
Emscharten ihre Führer. Reil erklang
Ihr Lurus und die blanken Massen blitzten.
Die Lüsen aber, die vertraulich still
In Lenschenmitte schwesterlich geweilt,
Das Raus verschönt, den weiten Kreis ersreut,
Entslohen I<S
m zum ° > A
Drängten I' Ja
Doch Sott WJ
Die bleiche
Für sie, eröe
Ein Reim 0 / sei.
So weilten
,id ^
Iremd,
Im Sötterhause. AVer ihre Sehnsucht
Flog zärtlich suchend zu den Sterblichen,
In deren warmen törichtsrohen Rerzen
Das Reim der schönen freien Künste war.
Sie blickten traurig nach der fernen Erde
End sprachen unter sich in leisen Morten.
„0 längst" — so sammerte Lelpomene —
„vergaß der Dichter meiner ganz und längst
vergaß mich ob des schrecklicheren Schauspiels,
Das dort sich austut, auch das bleiche Volk I" —
„Lein Lädchen, das sich leicht im Tanze
schwang" —
Seuszt' Terpsichore —“ lehnt mit müdem Fuß
Hm Kebentor des Rauses und sieht weinend
Den Liebsten scheiden, den die Feldschiacht rustl" -
„Emsonst" — sprach Klio — „mahn' ich den
Selehrten.
Fluch er ergriff die Streitaxt statt der Feder!" ..
„Kurz, keiner" — klagten alle — „denkt
mehr unser!
Ennlltz sind wir den irdischen Freunden jetzt,
Mo wir am meisten Ihnen dienen möchten,
End ausgelöscht ist unser Dame dort!" ..
Da legte an den Lund den Finger schnell
Euterpe und, ein Lächeln im Sesicht,
Ein Rossen in der Seel', gebot sie Schweigen.
„Sewahrt Ihr's?!" slüsterte sie lauschend leis' -
End auch die andern beugten sich hinab.
Allmählich durch den Waffenlsrm des Krieges
Erreichte Ton und Siid den Lusenjitz.
Rier Feldmarschchor, dort einer Wache Summen,
Die einsam eine Reimatweise pfiff —
Der Witwen und der Waisen Iraurigfrohes
Totengedenken im verträumten Lied.
Der Künstler, der verwundete erheitert —
Die Sängerin, die vor blinden Kriegern sang
Der Sühne wechselvoller Silderreigen,
Der draußen und daheim das Rer; erquickt —
Des Schlachtenmalers emsig bunter Stist
End jede kleine slüchlige Kriegerskizze.
Das Tagebuch, das treu noch im Tornister
Sesallner Relden ihre letzten Stunden
Sewahrt, ihr Leben und ihr stilles Sterben
Für's Vatervolk und traute Elternhaus ..
LIt tausend Tönen und mit tausend Seichen
Drang Erdensehnsucht zu den Lüsen aus.
Im Lauschen lächelnd, lachend, sroh und mutig
vernahm die weggescheuchte Schär den Kuf.
Sie eilten heißen Wunsches voll vor Leus:
„Rerr! Dicht vergessen sind wir aus der
Erde!
In Leid und Stürmen denken sie noch unser!
Ja, mehr als je zieht uns ihr Rer; zu sich.
0, zürne nicht, wenn wir den Eöttersitz
Trotz Dektars und Ambrosia verlassen
End Dot und Zammer lieber drunten teilen:
Denn Kunst und Lenschheit hat ein
Sott vereint!"..
„End wird sie nimmer trennen!" lächelte
Gewährend Leus. „So zieht denn froh voraus!
Seslügelt ihrer schweren Stunden Last,
Sis sich die Wetterwolken sriedlich lichten
End In dem Lenschen sich der Lensch erkennt!"..
Wilhelm Herbert.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Musenflucht"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1917
Entstehungsdatum (normiert)
1912 - 1922
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 146.1917, Nr. 3751, S. 282-283
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg