tüchtiger Mensch und ein brauchbarer Staatsbürger werden, wenn
Sic nichts vom Gleichgeivicht verstehen? vom Gleichgewicht, das
doch das allereinfachste ist auf der Welt. Ls gibt nichts ein-
facheres. Jedes Kind weiß und begreift und kann das!"
... In den perbstferien vor.Beginn der Vorlesungen ging
der perr Professor einmal einsam Über Land und kam durch ein
Dorf, das in einem wahren Garten herrlicher Aepfclbänme lag.
Die Früchte lachten nach Taufenden und Abertansenden von den
schweren, auf allen Seiten gestützten Aesten; golden, purpurn,
braun lockten und leuchteten die köstlichen Apfel.
Innner wieder blieb Zirbelnuß stehen und betrachtete sich die
Fülle der Gottesgaben und immer sehnsüchtiger stieg in ihm der
Wunsch auf, an Brt und Stelle ein Tnantnm dieser prachtvollen
Apfel zu erwerben und seiner Familie zu Nutz und Frommen, zu
Freude und Genuß nach Pause zu schaffen.
Lr klopfte daher an einem Bauernhof an, der mitten in einem
besonders reichen Gbstgarten lag, und fragte die unter die Türe
tretende Bäuerin, ob sie etwa geneigt fei, in Unterhandlungen
über den Kauf einer Anzahl
solcher wunderschöner Apfel ein-
zntreten.
„Warum.denn net?I" sagte
die biedere Frau und betrachtete
den Stadtfrack mit prüfenden
Blicken. „Aber dös oani sag'
i' Dir glei': Zeit Ham ma koane
zum Abibrocka und poamfahr'n
— 'ratoa' mnaßt D' Dir s' scho'
selber, Deine Apfi! Da hast D'
an Sack! Da tuast D' f ’iiei’l
Und dort steht der Schubkarr'n I
Da fährst D' f' auf d' Bahn!
An Schubkarr'n kannst nacha an
Kramer-Ratzi aeb'n, der wo
der bringt mir ’» scho' wieder aufi I
— Deine Apfi. So, iatzt woaßt D'
es und brich Dir fei' net 's G'nack dabei!"
Einerseits hocherfreut, andererseits aber betreten über die
ihm zngemuteten körperlichen Leistungen nahm der perr Pro-
fessor die Lei-
ter, erkletterte
sie nicht ohne
einige Schmie-
rigkeit und be-
gann mit einer
gewissen Ge-
winnsucht, die
schönsten Zip-
fel hcrauszu-
fnchen nnd ab-
zupflücken. Die Sache war
freilich gar nicht so ein-
fach — nnd hin nnd wie-
der, wenn er den Arm
etwas zu schnell oder zu
kühn ausstreckte, riß es
ihn plötzlich verdächtig
und er kam in dringende
Gefahr, hertintor zu pur-
zeln nnd gegeti das ver-
bot der Bäuerin sein Ge-
Taglöhner is auf der Bahn -
Und kosten tuan s' zehn Mark
nick zu riskieren. Aber der Gedanke an die hohe itnd weise Lehre
vom Gleichgewicht hielt ihn im letzten Augenblick stets wieder oben;
er war und nicht wenig stolz daraitf, daß er seine theoretischen
Kenntnisse-nun auch in der Praxis verwerten und bewähren konnte.
Das Kreuz tat ihm weh und es war ihm sehr heiß geworden,
bis er deti Sack gefüllt hatte. Dann bezahlte er, lud auf nnd
nahm den Schubkarren mit der Last in beide pände. Saperment!
War das ein komisches Gefühl! Aber was tut man nicht alles
für feine Familie in einer so schiveretr Zeit! Pin um, herum —
wie sich gerade der Weg furchte, wackelte nnd torkelte er mit
seiner Bürde die Dorfstraße hinaus und merkte bald, daß der
schwerste Teil seiner Aufgabe erst jetzt begann. Man hätte es
nun und nimmer glauben mögen, was es doch für eine kitzlige
Sache um das Gleichgewicht ist. So einfach, bieder nnd harmlos
sah der Schubkarren ans — nnd ein so hinterlistiges, boshaftes
nnd gerissenes Luder war er doch. Jeder Stein, jede Wasser-
lache, der man ausmeichen mußte, jede Lrdrinne und jeder über
den Weg gestreute dürre Ast erregte ihm da Gelüste, umzukippen,
so daß der Professor fortgesetzt tute ein Rohr im Wind auf und
ab nnd von links nach rechts schaukelte, nur oft erst im letzten
Augenblick die Situation zu retten.
Jetzt kam zu allem Überfluß auch noch eine Viehherde des
Wegs, die von der Nachmittagswcide Heimgetrieben wurde. Das
vorehrliche Rindvieh betrachtete den sonderbaren Transport nnd
feinen Führer mit tiefsinnigen Blicken und stellte sich ihm muhend,
breit und schwerfällig Stück für Stück ttt den Weg, so daß er
immer wieder answeicheu, unvermutete Kurven beschreiben nnd
sotistigc Kapriolen machen mußte, die seine Kraft nnd Fertigkeit
ans die äußerste Probe stellten.
„Jo!" sagte bei diesen teilweise sehr kritischen Manövern der
püterbub, der sie mit sachverständigen Blicken verfolgte. „Den
schaugt's o' — der ko' net amal 's Schubkarr'nfahr'n!"
„M GleichgcivichtI Gleichgewicht, verlaß mich nicht!" stöhnte
der perr Professor und hielt, als er Vchfen, Kühe und Kälber
glücklich hititer sich hatte, auf deni Feldweg an, um sich die Stirne
zu wischen und etwas zu verschnaufe». „Ich hätte nie gedacht,
daß mir das Gleichgewicht, das mir immer so geläufig war, noch
einmal im Lebet, so zu schaffen machet! könnte!"
„Saperment!" Lr betrachtete die Blasen an seinen Fingern,
schaute die Stiefel an, die vor vaterländischer feuchter Erde über-
haupt kaum mehr sichtbar waren, nnd begann dann seufzend den
Weitertransport.
Lin Radler, der ihm begegnete — der Wirt von Tracht!-
Sic nichts vom Gleichgeivicht verstehen? vom Gleichgewicht, das
doch das allereinfachste ist auf der Welt. Ls gibt nichts ein-
facheres. Jedes Kind weiß und begreift und kann das!"
... In den perbstferien vor.Beginn der Vorlesungen ging
der perr Professor einmal einsam Über Land und kam durch ein
Dorf, das in einem wahren Garten herrlicher Aepfclbänme lag.
Die Früchte lachten nach Taufenden und Abertansenden von den
schweren, auf allen Seiten gestützten Aesten; golden, purpurn,
braun lockten und leuchteten die köstlichen Apfel.
Innner wieder blieb Zirbelnuß stehen und betrachtete sich die
Fülle der Gottesgaben und immer sehnsüchtiger stieg in ihm der
Wunsch auf, an Brt und Stelle ein Tnantnm dieser prachtvollen
Apfel zu erwerben und seiner Familie zu Nutz und Frommen, zu
Freude und Genuß nach Pause zu schaffen.
Lr klopfte daher an einem Bauernhof an, der mitten in einem
besonders reichen Gbstgarten lag, und fragte die unter die Türe
tretende Bäuerin, ob sie etwa geneigt fei, in Unterhandlungen
über den Kauf einer Anzahl
solcher wunderschöner Apfel ein-
zntreten.
„Warum.denn net?I" sagte
die biedere Frau und betrachtete
den Stadtfrack mit prüfenden
Blicken. „Aber dös oani sag'
i' Dir glei': Zeit Ham ma koane
zum Abibrocka und poamfahr'n
— 'ratoa' mnaßt D' Dir s' scho'
selber, Deine Apfi! Da hast D'
an Sack! Da tuast D' f ’iiei’l
Und dort steht der Schubkarr'n I
Da fährst D' f' auf d' Bahn!
An Schubkarr'n kannst nacha an
Kramer-Ratzi aeb'n, der wo
der bringt mir ’» scho' wieder aufi I
— Deine Apfi. So, iatzt woaßt D'
es und brich Dir fei' net 's G'nack dabei!"
Einerseits hocherfreut, andererseits aber betreten über die
ihm zngemuteten körperlichen Leistungen nahm der perr Pro-
fessor die Lei-
ter, erkletterte
sie nicht ohne
einige Schmie-
rigkeit und be-
gann mit einer
gewissen Ge-
winnsucht, die
schönsten Zip-
fel hcrauszu-
fnchen nnd ab-
zupflücken. Die Sache war
freilich gar nicht so ein-
fach — nnd hin nnd wie-
der, wenn er den Arm
etwas zu schnell oder zu
kühn ausstreckte, riß es
ihn plötzlich verdächtig
und er kam in dringende
Gefahr, hertintor zu pur-
zeln nnd gegeti das ver-
bot der Bäuerin sein Ge-
Taglöhner is auf der Bahn -
Und kosten tuan s' zehn Mark
nick zu riskieren. Aber der Gedanke an die hohe itnd weise Lehre
vom Gleichgewicht hielt ihn im letzten Augenblick stets wieder oben;
er war und nicht wenig stolz daraitf, daß er seine theoretischen
Kenntnisse-nun auch in der Praxis verwerten und bewähren konnte.
Das Kreuz tat ihm weh und es war ihm sehr heiß geworden,
bis er deti Sack gefüllt hatte. Dann bezahlte er, lud auf nnd
nahm den Schubkarren mit der Last in beide pände. Saperment!
War das ein komisches Gefühl! Aber was tut man nicht alles
für feine Familie in einer so schiveretr Zeit! Pin um, herum —
wie sich gerade der Weg furchte, wackelte nnd torkelte er mit
seiner Bürde die Dorfstraße hinaus und merkte bald, daß der
schwerste Teil seiner Aufgabe erst jetzt begann. Man hätte es
nun und nimmer glauben mögen, was es doch für eine kitzlige
Sache um das Gleichgewicht ist. So einfach, bieder nnd harmlos
sah der Schubkarren ans — nnd ein so hinterlistiges, boshaftes
nnd gerissenes Luder war er doch. Jeder Stein, jede Wasser-
lache, der man ausmeichen mußte, jede Lrdrinne und jeder über
den Weg gestreute dürre Ast erregte ihm da Gelüste, umzukippen,
so daß der Professor fortgesetzt tute ein Rohr im Wind auf und
ab nnd von links nach rechts schaukelte, nur oft erst im letzten
Augenblick die Situation zu retten.
Jetzt kam zu allem Überfluß auch noch eine Viehherde des
Wegs, die von der Nachmittagswcide Heimgetrieben wurde. Das
vorehrliche Rindvieh betrachtete den sonderbaren Transport nnd
feinen Führer mit tiefsinnigen Blicken und stellte sich ihm muhend,
breit und schwerfällig Stück für Stück ttt den Weg, so daß er
immer wieder answeicheu, unvermutete Kurven beschreiben nnd
sotistigc Kapriolen machen mußte, die seine Kraft nnd Fertigkeit
ans die äußerste Probe stellten.
„Jo!" sagte bei diesen teilweise sehr kritischen Manövern der
püterbub, der sie mit sachverständigen Blicken verfolgte. „Den
schaugt's o' — der ko' net amal 's Schubkarr'nfahr'n!"
„M GleichgcivichtI Gleichgewicht, verlaß mich nicht!" stöhnte
der perr Professor und hielt, als er Vchfen, Kühe und Kälber
glücklich hititer sich hatte, auf deni Feldweg an, um sich die Stirne
zu wischen und etwas zu verschnaufe». „Ich hätte nie gedacht,
daß mir das Gleichgewicht, das mir immer so geläufig war, noch
einmal im Lebet, so zu schaffen machet! könnte!"
„Saperment!" Lr betrachtete die Blasen an seinen Fingern,
schaute die Stiefel an, die vor vaterländischer feuchter Erde über-
haupt kaum mehr sichtbar waren, nnd begann dann seufzend den
Weitertransport.
Lin Radler, der ihm begegnete — der Wirt von Tracht!-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das Gleichgewicht"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1917
Entstehungsdatum (normiert)
1912 - 1922
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 147.1917, Nr. 3776, S. 274
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg