Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
alle Stuben.
Durch Räu-
me, die er seit
Jahren und
Jahrzehnten
nicht mehr be-
treten. Aber
nirgends ent-
deckt er etwas
verdächtiges.
Nirgends die
Ursache des
Geräusches.
Wenn er
lauscht, knarrt
und klappt es
nach ganz wie
vorher. Ge-
nau so weit,
genau so nahe.

Genau so unheimlich. Genau so pünktlich. — Er horcht eine Weile.

Dann entschließt er sich und geht in das obere Stockwerk,
das er seit vielen, vielen
Jahren nicht mehr aus-
gesucht. Er schließt Stu-
ben auf, die seit Lebzei-
ten nicht mehr geöffnet
worden sind. Dumpfe
Luft dringt ihm entgegen,
vermischt mit dem Ge-
ruch seltsamer alter Ge-
würze. Motten summen
ihm um den Kopf. Ge-
spenster stehen auf und
schleichen hinter ihm.

Wispern und flüstern um
ihn herum. Erinnerun-
gen und Schatten werden
wach. Und folgen ihm.

Sein Licht huscht an den
Fenstern. Die Leute auf
der Straße bleiben stehen.

Sie wissen die Zeit nicht
mehr, daß sie einmal Licht
da oben gesehen hätten.

„Da geht's um!" mur-
meln manche. Und bekreuzen sich.

Zeiten sind alle Geister frei 1"

Er aber bleibt stehen und lauscht. Und wieder vernimmt
er das unheimliche Knarren und Klappen. Wie vorher. Gleich
nahe und gleich fern. — Und ruhelos treibt es ihn weiter.

Er steigt die Treppe zum Dachgeschoß empor und schließt die
Speicherräume auf. Seine Kindheit steht vor ihm. Damals hat
er hier oben mit den Geschwistern gespielt. Gestorben sind sie
alle. Alle längst tot. Nur eine Schwester lebt noch. Nein I
Nein! Auch sie lebt nicht mehr für ihn. Erst recht tot ist
siel Seitdem sie den armen Schlucker heiratete, den sie nach
seinem Willen nicht heiraten sollte. Der ist im Krieg jetzt. Und
sie ist tot und vergessen.

weiter I weiter I Rastlos peitscht ihn die Suche nach dem
unheimlichen Geräusch vorwärts. Er leuchtet in alle Winkel und

„Ja, ja, zu solchen heiligen

Ecken. Mäuse scheuen auf. Spinnen turnen erschreckt an den
Leitern ihrer dicken ungestörten Netze empor. Er sieht allerhand
Urväterhausrat, der alte, alte Erinnerungen in ihm weckt. Selt-
sam wird ihm zumute. Der Spinnrocken der Großmutter. Der
breite hochlehnige Sessel des Großvaters. Der blaue Brautschrank
der Mutter. Des Vaters Geigenkasten. Line kleine wiege und
ein Kinderwagen. Die Schwester lag einst darin . . .

Atemlos, mit großen Angen zurücklanschend in die Vergangen-
heit steht er eine weile. Aber das Klappen und Knarren reißt
ihn wieder auf und zerrt ihn weiter.

Da — da — da — auf einmal hält er vor einem niederen
Dachwinkel. Ans dem klingt das Knarren und Klappen hervor.
Ganz deutlich. In ganz bestimmten Zwischenräumen.

Er steht. Das Licht zittert flackernd in seiner ksand. Und
die Schlüssel klirren in der anderen. Aber er wagt es nicht, sich
zu bücken und dem Geräusch an Drt und Stelle nachzuforschen.
Doch läßt's ihm keine Ruhe. Es drückt ihn auf die Knie nieder.
Das Licht schiebt er langsam vor sich her. Und beugt sich weiter
vor . . .

Jetzt sieht er's. Da sitzt eine alte Puppe im Winkel mit ge-
schloffenen Augen. Der Schwester Puppe ift's. (D, er weiß noch
wohl, wie diese jauchzte und jubelte und die Puppe herzte und

küßte und wie sie unter
dem Ehristbanm sprang
damit.

Und jetzt sieht er auch
das andere. Und starrt
mit erstaunten entsetzten
Augen in den Winkel. Da
steht einer. Und knarrt
nnd klappt. Mit den Kinn-
backen knarrt er, wenn
er den großen Mnnd
sperrangelweit anfreißt.
Mit den Zähnen klappert
er, wenn er ihn schnell
nnd grimmig schließt.
Und immer wieder das
gleiche Spiel I

©, er kennt den
kleinen Mann mit dem
grimmigen Gesicht nnd
dem großen Mund. Mit
dem unheimlichen Knar-
ren und Klappen, das
durch das ganze kjaus
dringt. — Der Nußknacker ift's I Der Nußknacker, den er selbst
damals unter dem gleichen Lhristbaum fand als Gabe für sich.
Der Nußknacker, der später hier heraufwanderte und vergessen
wurde. Der Nußknacker, der ein weit besseres Gedächtnis hat
als er. Der Nußknacker,

der hent' durch das ganze , - .

stille lfaus knarrt nnd
klappt, um sein Ge-
wissen aufzuwecken. Der
Nußknacker, der jetzt —
da er nach ihm greift,
um das gespenstige Ge-
räusch abzustellen — in
seinen Finger zwickt, daß
er entsetzt mit der ksand


287
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Weihnachten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Verschlagwortung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stockmann, Hermann
Entstehungsdatum (normiert)
1917 - 1917
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Weltkrieg <1914-1918>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 147.1917, Nr. 3778, S. 287
 
Annotationen