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Der Selbstmörder.

Geigen sangen süß und einwiegend. Lichtbündel schwam-
AHD» men. aus kristallenen Lüstern geboren, silbern über dein
Saul. Unter blitzenden Mokkamaschinen flackerten blaue
Flämmchen und der Dust der Näschereien und Getränke niischte sich
mit den Wohlgerüchen, die aus kleinen Batisttüchern zwischen den
Blumen und Tassen zerflossen.

flüstern und Kichern stahl sich durch die zirpenden Töne der
Zigeunermusik. Scharen von jungen Damen, Scharen von jungen
Herren in eleganten Kleidern reihten sich um die Tische, hin und
wieder durch die spiegelnde Glatze eines Lebemanns unterbrochen.

Line Sensation ging. durch den Saal, von Frau Fama mit
geschäftigen Flügeln aus einer Bische in die andere getragen.

Immer mehr Blicke wandelten in den hintersten Winkel. Immer
mehr Gedanken und Reden liefen dem Manne zu. der dort einsam saß.

Lr war so vornehm gekleidet wie die übrigen. Seine Züge
sahen so angenehm gelangwcilt aus wie die ihrigen. Bur uni seine
Mundwinkel zuckte hin und wieder n,aßloser Hohn und. wenn sich
seine geschlossenen Augen öffneten, dann sahen sie verwundert und
empört wie in eine fremde Welt.

Und war doch ein Dutzend Jahre lang seine Welt gewesen. . . .

„Lr will sich heute umbringen!" sagte eine kapriziöse kleine
Dante in einer eng anliegenden, grün schillernden Bluse zu ihrent
Kavalier.

„Unsinn!" antwortete der. „Mer hier verkehrt, bringt sich nicht
um. Mer hier verkehrt, will leben. Und das Leben ist so schön!"

Lr betrachtete seine Nachbarin mit funkelnden Augen. Sie zog
aber ein eigensinniges Gesicht und beharrte dabei: „Nicht wahr,
Lilli, er will sich umbringen?!"

„Gewiß!" nickte ihr Gegenüber mit den zart geschminkten,
schwarzen Augen. „Gisv hat es mir selbst gesagt. Sie kennt ihn.
Lr hat ihr vorhin einen Tausender geschenkt. Lr verschenkt sein
ganzes Geld und später, wenn er fortgeht, bringt er sich um."

vier, sechs, acht schöne Schultern zuckten schaudernd zusammen.
Lin Dutzend Blicke flogen mit Grauen und Sehnsucht, mit Lnt-
sotzcn und Bewunderung nach dem stillen Minkel.

wieder hatte er die Augen geschlossen und lauschte dem Weinen
der Saiten, vor seinem lebhaften Geiste stieg ein anderes Bild aus.
Meinen und Frost in einer trüben Hinterhauskammer. Die Mutter
tot in dem elenden Bett. Der Vater, von Not und Alkohol trunken,
in wahnsinniger Reue über sie geworfen. Lin scheuer frierender
Knabe im Winkel, mit namenlosem Grauen hinstarrend auf das
Unmögliche — auf das kalte, fremde und wachsbleich gewordene

Gesicht der einzigen, die ihnt liebe Worte ins Ghr geflüstert, die
ihm Sorge und Güte gezeigt. . .

Jetzt wirbelten auf einmal die Geigen auf. Kecke Tonwellen
sprudelten übermütig durch den Saal.

Der stille Mann öffnete die Augen. . .

Ach so, das Leben von heute! Das Leben von heute, in
das ihn ein toller Wirbelsturm von Zufall und Glück hineingerissen,
der aus dem armen Buben einen reich verdienenden, noch reicher
vergeudenden Mann der Gesellschaft geniacht hatte. . .

„Ls ist ja doch nicht wahr?" sagte da eine einschmeichelnde
zarte Stimme neben ihm. wie er ihr folgte, sah er eines der rei-
zenden Dutzendgesichtchen neben sich, das mit ganz sanften Augen
zu ihnt aufblickte. „Nicht wahr, sie lügen alle — Sie wollen sich
nicht... ach I"

„Doch! Doch!" antwortete er und lächelte sie beinahe mitleidig
an. „Morgen bin ich nicht mehr."

Sie rückte mit einem nervösen Schrei eine halbe Stuhlbreite
von ihm, um ini nächsten Augenblick mit dem wohligen Schauder
eines ganz seltenen, ganz rafsinierten Genusses wieder näher zu
kommen, „wir werden alle ganz außer uns sein, wir werden gar
nicht wissen, was anfangen. . ."

Lr griff in die Brusttasche und drückte ihr diskret unter deni
Tisch ein längliches braunes Blättchen in die warmen Hände.

„Nein! Nein!" schluchzte sic. Beinahe wäre es ein Jauchzer
geworden. „Nein! Ich nehm's nicht."

Und hatte es schon mit allen fünf molligen Fingerchcn am
Sanitrock hin in die Tasche praktiziert.

Das kitzelte und kicherte und jubelte in der Tasche. . . cs litt
sie nicht länger.

„Ich muß wieder fort." flüsterte sie und drückte ihnt die Hand.
„(0, ich werde Sie nie vergessen."

Lächelnd sah er ihr nach. „Armes, kleines Ding!"

Line Minute nachher war sie mit noch zweien in der Telephon-
zelle, wo der Tausender genau und sachverständig untersucht wurde.
„Lr ist echt!" jauchzte sie. „Er ist echt!" nickten die beiden andern
mit neidverzerrien Gesichtern. Sogar das Wasserzeichen hatten sie
geprüft.

Lr bekam noch manchen solchen Besuch.

Auch gute Freunde fanden sich ein. die ihitt abreden wollten,
die ihm die Schönheit des Lebens vorstellten, die nach seinen Grün-
den forschten — die aber schließlich, als alles nichts half, die heilige
Versicherung gaben, daß sie es ant liebsten auch so machen würdet!
— daß das Dasein ihnen ekel und schal vorkäme — daß sic aber
eben noch gewisse kleine Verpflichtungen hätten. . .

Gar mancher detaillierte ihm diese Verpflichtungen sofort näher
und ging nicht ohne einen kurzen diskreten Händedruck unter dem
Tisch, der den Abschied erleichterte und -beschleunigte. . .

Noch manches Wasserzeichen wurde an verschwiegenen Stellen
geprüft. Aber sie alle waren echt.

„Ls gibt keinen zweiten mehr wie ihn." sagten die Kirschen-
lippen, ob sie nun auch so echt waren wie das Wasserzeichen oder
gefärbt wie der Glanz vieler von den Kavalieren, die nicht an
Selbstmord dachten und keine Tausender zu verschenken hatten.

Endlich wurde es allmählich leerer. Die Härchen flatterten da-
von — mit einem letzten Gruß — einem letzten Blick — einem letzten
Grauen. Jene, die bedacht morden, brannten schon von Plänen,
wie sie das quecksilberne Papier in der Tasche am schnellsten und
schönsten loswerden könnten. Bei etlichen zerfloß es noch am
gleichen Tag im Meere des Lebens zu Schaum.

Jetzt waren die letzten gegangen und die Kellner wollten ihrer-
seits von dem noblen Gaste Abschied nehmen, der ihrer nie vergessen

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Erfreulicher Rückstand"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Traub, Gustav
Entstehungsdatum
um 1920
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1930
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 152.1920, Nr. 3887, S. 46

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