Fliegende Blätter (153.1920 (Nr. 3910-3935))

„Wollen ©' nicht mit meinem Wagerl fahren, Fräulein?" — „Glauben Sie, ich
Hab' meine Zeit gestohlen?" — „Aber wenn's 'mal Kindstauf' gibt, dann kommen S'
vielleicht doch zu mir?" — „Überwundener Standpunkt!"

TLtelsucht.

Zu den modernen Krankheiten gehört auch die Titelsucht. Sie blüht wie noch nie;
hangt zusammen mit der Erhöhung der Gehälter und der dadurch bewirkten kfebung des Selbst-
bewußtseins. Man will nicht nur was haben, man will auch was sein, wenigstens zu sein
scheinen. Alles Gute kommt von oben. Die modernen Reformen kommen von unten. Auch
die Titclreform fängt unten an. Einige Vorschläge sind vielleicht am Platze.

Zunächst könnten die „Räte" vermehrt werden. Auf ein paarmalhunderttausend geht's
wirklich nicht mehr zusammen. Aber keine im Sinne der verffossenen regierenden Räte,
richtiger: negierenden Unräte. Da würden sich zu viele „forttragende" Räte, usurpierende, expro-
priierende, kompromittierende Räte mit einschleichen. Der Titel „vegetierender Rat" würde
sich zum Beispiel im Adreßbuch und an der Amtszimmertür ja sehr hübsch ausnehmcn und

vornehm klingen, es könnte sich aber
doch der oder jener kritisch veranlagte
Steuerzahler etwas Schlimmes dabei
denken. Dagegen könnte man den
Titel „wirklicher Geheimer Rat" un-
bedenklich denjenigen Persönlichkeiten
verleihen, die neben ihrem Amt wirklich
noch geheime Nebenabsichten haben.
Auch wäre es naheliegend, den seiner
ursprünglichen Bedeutung und seines
Glanzes beraubten Titel „kfofrat" den
bferren zu geben, welche im kfofe die
für den Haushalt nicht weiter rerwert-
baren Stoffe in den hierzu bestimmten
Behältern in Empfang nehmen. Die
Angestellten, welche bei eingetretener
Dunkelheit die städtische Gasbeleuchtung
in Betrieb setzen, würden zweckmäßig in
eine eigene Sublaternbeamtenklasse ein-
gereiht mit dem Titel „Illuminationsin-
spektoren", während denjenigen, die für
Reinlichkeit in den Kanälen zu sorgen
haben, der Titel „Kanalinspektor" ge-
bührt. Der Titel „Aussichtsrat" wäre
für Bedienstete, die in den Anlagen, in
Museen usw. Aussicht üben, entspre-
chend — sowohl mit Rücksicht aus Höhe
des Gehalts wie Intensität der Arbeit,
wenn man den städtischen Häuschen-
verwalterinnen den Titel „Läkalrätin-
nen" zubilligt, wird man den Ange-
stellten, welche im Straßenbahnverkehr
usw. die Geldgeschäfte mit dem Publi-
kum abwickeln, den Titel „Finanzfahr-
rat" nicht versagen können, zumal un-
sere ganze Finanzwirtschaft so verfahren
ist. Ausgeher wären als „Kuriere",
Briefträger als „Postinsxektoren", Schutz-
leute als „Sicherheitsinspektoren" anzu-
reden. Der Gerichtsvollzieher müßte sich
wohl den Titel „Drangsalator" gefallen
lassen. Grdnungsmänner könnten als
„Regulatoren", Türschließer als „Ven-
tilatoren" sich gehoben fühlen, „Herr
Isolator" würde viel vornehmer klingen
als „Gefängniswärter", wenn jemand
gar nichts tut als dumm dreinschauen,
so hat er immerhin noch Anspruch auf
den Titel „Spektator".

Sehr zu befürworten wäre noch die
Verleihung persönlicher ehrender Prä-
dikate, welche den besonderen Eigen-
schaften des einzelnen anzupassen wären:
wie wohlklingend wäre „Seine Ebrietät,
Seine Vehemenz, Seine Impertinenz.
Seine Arroganz, Seine Indolenz" usw.
für Persönlichkeiten, denen diese Prä-
dikate um so mehr gefallen würden,
als ihnen die tiefere Bedeutung der-
selben ewig fremd bleiben dürfte.

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