Schla ii.
Seit kurzem haben wir eine Perle vom Lande und meine
Frau flibt sich alle Mühe, sic abzurichten. Besonders schwer be-
greift sic das Servieren und tagtäglich erhält sic einen Vortrag,
daß man nichts mit den bloßen Händen austrägt, sondern stets
einen Teller, bei Besuchskarten usw. die Silberplatte dazu benützt.
— Neulich hatten wir Besuch und die Rede kam auch auf unseren
vor Monatsfrist angekommenen Stammhalter. In ihrem Mutter-
stolz wollte meine Frau den stramnicn Jungen zeigen, schellte der
Kathi und gab ihr den Auftrag, das Bübchen zu bringen. — Nach
kurzer Zeit das laute Klopsen unsrer Stütze, und in den Salon
Goldblond.
Unser Altertumsverein veranstaltet auch größere Ausflüge mit
Familie. Die Mütter heiratsfähiger Töchter zeigen sich sehr be-
sorgt, daß der Verein aussterben oder die Allertümlertöchter als
lebendige Ruinen sitzen bleiben könnten.
Diesmal fuhren wir nach dem herrlichen Rothenburg. Ich
war schon genügend verheiratet, um mich dem wissenschaftlichen
Zweck des Ausflugs ganz widmen zu können. Mein Freund Nieder-
meyer dagegen war noch gänzlich unbeweibt und einer allenfallsigen
Grundsteinlegung zu ehelichem Glück nicht grundsätzlich abgeneigt.
wir gingen zusammen. Alsbald entzündeten sich Niedermeyers
Blicke an einem Lockenkopf von geradezu aufdringlich blonder
Farbe. „Sieh nur mal," sagte er ein ums andre Mal, „das
reine Gold I" Ich zitierte nüchtern: „Natur und Kunst, sie scheinen
sich zu flieh'» . . . .", sprach von lsaarfärbekunst, Wasserstoffsuper-
oxyd usw. „pfui 1" tadelte Niedermeyer; „das ganze Geschöxfchen
ist goldig, drum muß es auch solch herrliches lfaar haben!"
Als wir nun gar sahen, daß die Eltern Kommerzienrat Müllers
waren, brannte mein guter Freund lichterloh; Löschversuche waren
ganz aussichtslos.
Die Annäherung war leider erschwert dadurch, daß ein semmel-
blonder, bleicher Jüngling, Schwabinger Typ, schlappe Geste, schwül-
schwärmerische Augen, vermutlicher Dadaist oder Kubist, den Gold,
käfer vollständig im Dunstkreis seiner Redseligkeit gebannt zu haben
schien. Er hatte offenbar Interesse, anderweitige Annäherungen zu
verhindern. So verlies der Rothenburger Tag, ohne daß Nieder-
weyer einen Pfeil hätte abschießen können.
Am nächsten Morgen sollte man weiteifahren nach Dinkels-
bühl. wir genehmigten uns vorher noch einen Morgenspaziergang;
wir gaben im Gasthaus Auftrag, daß meine, vom Freunde mit-
benützte braune Reisetasche mit dem Gepäck der anderen voraus
gefahren und am Bahnsteig bereitgestellt würde. Inzwischen zogen
wir kreuz und quer durchs mittelalterliche Städtchen, bis einmal
die lfäuser aushörten. Nun drängte auch die Zeit; wir fragten
nach dem Bahnhof und wurden geradeaus gewiesen, wir langten
an einer Haltestelle „Rothenburg-Wildbad" an, unsere Handtasche
stand aber am Hauptbahnhof, von wo eben der Zug wegfuhr,
lvas blieb übrig, als sofort ans Gasthaus zu telephonieren, man
möge die Tasche mit dem Abendzug als Postexpreß nach meiner
Münchner Wohnung schicken. Da war auch schon unser Zügle.
wir stiegen in einen der vom Verein bereits besetzten wagen
und ärgerten uns, daß unser schöner Zwetschgenkuchen, der unfern
Spaziergang lohnen sollte, am Bahnsteig vertrauerte und versauerte.
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Seit kurzem haben wir eine Perle vom Lande und meine
Frau flibt sich alle Mühe, sic abzurichten. Besonders schwer be-
greift sic das Servieren und tagtäglich erhält sic einen Vortrag,
daß man nichts mit den bloßen Händen austrägt, sondern stets
einen Teller, bei Besuchskarten usw. die Silberplatte dazu benützt.
— Neulich hatten wir Besuch und die Rede kam auch auf unseren
vor Monatsfrist angekommenen Stammhalter. In ihrem Mutter-
stolz wollte meine Frau den stramnicn Jungen zeigen, schellte der
Kathi und gab ihr den Auftrag, das Bübchen zu bringen. — Nach
kurzer Zeit das laute Klopsen unsrer Stütze, und in den Salon
Goldblond.
Unser Altertumsverein veranstaltet auch größere Ausflüge mit
Familie. Die Mütter heiratsfähiger Töchter zeigen sich sehr be-
sorgt, daß der Verein aussterben oder die Allertümlertöchter als
lebendige Ruinen sitzen bleiben könnten.
Diesmal fuhren wir nach dem herrlichen Rothenburg. Ich
war schon genügend verheiratet, um mich dem wissenschaftlichen
Zweck des Ausflugs ganz widmen zu können. Mein Freund Nieder-
meyer dagegen war noch gänzlich unbeweibt und einer allenfallsigen
Grundsteinlegung zu ehelichem Glück nicht grundsätzlich abgeneigt.
wir gingen zusammen. Alsbald entzündeten sich Niedermeyers
Blicke an einem Lockenkopf von geradezu aufdringlich blonder
Farbe. „Sieh nur mal," sagte er ein ums andre Mal, „das
reine Gold I" Ich zitierte nüchtern: „Natur und Kunst, sie scheinen
sich zu flieh'» . . . .", sprach von lsaarfärbekunst, Wasserstoffsuper-
oxyd usw. „pfui 1" tadelte Niedermeyer; „das ganze Geschöxfchen
ist goldig, drum muß es auch solch herrliches lfaar haben!"
Als wir nun gar sahen, daß die Eltern Kommerzienrat Müllers
waren, brannte mein guter Freund lichterloh; Löschversuche waren
ganz aussichtslos.
Die Annäherung war leider erschwert dadurch, daß ein semmel-
blonder, bleicher Jüngling, Schwabinger Typ, schlappe Geste, schwül-
schwärmerische Augen, vermutlicher Dadaist oder Kubist, den Gold,
käfer vollständig im Dunstkreis seiner Redseligkeit gebannt zu haben
schien. Er hatte offenbar Interesse, anderweitige Annäherungen zu
verhindern. So verlies der Rothenburger Tag, ohne daß Nieder-
weyer einen Pfeil hätte abschießen können.
Am nächsten Morgen sollte man weiteifahren nach Dinkels-
bühl. wir genehmigten uns vorher noch einen Morgenspaziergang;
wir gaben im Gasthaus Auftrag, daß meine, vom Freunde mit-
benützte braune Reisetasche mit dem Gepäck der anderen voraus
gefahren und am Bahnsteig bereitgestellt würde. Inzwischen zogen
wir kreuz und quer durchs mittelalterliche Städtchen, bis einmal
die lfäuser aushörten. Nun drängte auch die Zeit; wir fragten
nach dem Bahnhof und wurden geradeaus gewiesen, wir langten
an einer Haltestelle „Rothenburg-Wildbad" an, unsere Handtasche
stand aber am Hauptbahnhof, von wo eben der Zug wegfuhr,
lvas blieb übrig, als sofort ans Gasthaus zu telephonieren, man
möge die Tasche mit dem Abendzug als Postexpreß nach meiner
Münchner Wohnung schicken. Da war auch schon unser Zügle.
wir stiegen in einen der vom Verein bereits besetzten wagen
und ärgerten uns, daß unser schöner Zwetschgenkuchen, der unfern
Spaziergang lohnen sollte, am Bahnsteig vertrauerte und versauerte.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Schlau"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1920
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1930
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 153.1920, Nr. 3930, S. 170
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg