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Der ausgerutschte Hofbarbier.

Weißt Du noch, wie unser alter Gallus seiner Frau vor der
Esaustüre zum Ergötzen der Dorfgenossen einen Schmatz gab?
Nicht wegen ihrer körperlichen Reize, sondern in Anerkennung
treuer Dienstleistung. Das war damals, als sein einziger Feind
zum Esofbarbier — nicht ernannt wurde, und begab sich so:

Alle Bauern unseres Dorfes verabscheuten haarige Gesichter
und waren seit Jahrzehnten jeden Samstag pünktlich bei Meister
Gallus zum Rasieren erschienen, so daß der Lederstuhl nicht kalt
wurde. Vst mußte sein Gespans, die krumme Rika, mithelfen,
und sogar auch die Schwägerin, des Schmied-Adam Weib, schwang
als dritte manchmal in der niedrigen Baderstube nicht ungeschickt
das blanke Messer. Ein herzerfreulicher Anblick, wie sich die emsige
Familie so buchstäblich die Kreuzer zusammenkratzte.

Ja, der anspruchslose Gallus Riemenschnitt hatte sein Aus-
kommen und dementsprechend einen frohen, sicheren Blick.

Allein das änderte sich, als im unteren Dorfe ein zweiter
seines Gewerbes auftauchte, ein Zugereister, ein Moderner, ein
hochfrisierter und pfiffiger Kopf — der Philipp Schaum.

Schon am zweiten Samstag hatte dieser einen großen Teil
der Kundschaft abgefangen; denn er rasierte nichtj nur ebenso
gut wie Gallus, sondern packte auch keinen an der Nase. Das
Neue lockt. Und überdies hing in Philipps Vrdinationszimmer
an einer langen Darmsaite ein großer Esolzlöffel. Wenn er diesen
einem Lauern in den werten Mund schob, so verjüngten sich die
runzligsten Backen im Zusehen, die Esaut glänzte gespannt und
glatt und der Rasierstahl war kaum zu spüren. Kein Wunder,
wenn fast die ganze männliche Einwohnerschaft den schönen Esolz-
löffel probieren wollte und ihn von Mund zu Mund schweben ließ,
so daß er bald — dank den Primröllchen — eine nußbraune Beiz-
farbe annahm.

Kein Wunder aber auch, daß Gallus sich gelb ärgerte, wie
er seine Kunden in, Esäuschen des anderen verschwinden sehen
mußte, oder wenn Philipp ihn überhöslich zu begrüßen pflegte:
„Servus, Eferr Bberkollega I"

Aber eines Tages ging dabei dem Alten doch die Galle über
und er antwortete: „Danke, Ejerr Efofbarbier!"

So — dem hatte er es tüchtig ausgewischt. Ungewöhnlich
tüchtig! Aber was tat der Löffelbarbier? „Je nun —" lächelte er,
„was nicht ist, das kann noch werden!" Und hüpfte, die Frack-
schöße raffend, die Gasse hinab.

Wütend lief Gallus ins Efaus und setzte Rika in Kenntnis.
Den Titel „Efofbarbier" nämlich träumten sich die beiden braven
Leutchen schon lange auf ihr Ladenschild und ihre Hoffnung
schien begründet.

Alljährlich, wenn die weißen Herbstsäden durch die Pappel-
allee lustgondelten, öffnete das gelbe Haus am Ende der langen
Straße seine Fensteraugen und erwachte zum Leben. Da bezog
der Schloßherr für einige Monate sein Jagdguartier und brachte
neben Gästen und Dienern auch seit Jahren ein eigenes Rasier-
messer mit, silberglänzend mit Llfenbeingriff. Damit durfte jeden
Morgen der bewährte Gallus dem guten Herzog Martinus dem
Zwölften das Gesicht glätten. Immer zur allerhöchsten Zufrieden-
heit. Evas stand also dem ersehnten Hoftitel im Wege?

Nichts als der neue Bader!

Zwei bewarben sich Heuer um das elfenbeinerne Instrument.
Beide waren auf die gleiche Stunde zur Audienz befohlen und
beide machten im Spiegelsaale vor den: „Zwölften" — wie das
Dorf Seine Hoheit schlicht zu nennen beliebte — so gleichmäßig

ihre tiefen Verbeugungen, daß er überzeugt war, sie hätten vorher
in Eintracht eine Übung abgehalten.

„Ah, meine lieben Bartputzer!" winkte ihnen Martinus zu,
„nur näher, damit wir den würdigeren auswählen können!" ...
Im nämlichen Augenblick erschütterte ihn ein Stoß von unten.
Denn Philipp war auf dem Parkett bei einem allzu tiefen Kompli-
ment ausgerutscht und bäuchlings bis zu der Hoheit Füßen ge-
schlittert.

„Potz Kuckuck I . . . Etwa chinesische Manieren?" . .. fragte
der Zwölfte überrascht.

Der verunglückte Jüngling raffte sich schleunigst auf seine
Hinterbeine und befühlte sachte die Hosen. Und sintemalen fremde
Verlegenheit stets belustigend wirkt, begann des hohen Herren
grüne Seidenweste zu Hüpfen, wo ihre Wölbung am rundesten war.

„Genug, mein Sohn!" unterbrach er die Entschuldigungen,
„schon gut! Zu devot gewesen!... Daher ausgerutscht I .. .
Ha, ha! . . . Evas, kann er sich nicht beruhigen? . . . Potz Kuckuck,
er wird doch nicht heulen? . . . Na, da nehni' er zum Trost unser
ENesser mit und zieh' er es bis morgen schön ab! verstanden!" . . .

„Nicht wahr, alter Gallus," wandte er sich zu dem zweiten,
der verduzt den langhaarigen Sylinderhut drehte — „nicht wahr,
auf diesen Schrecken wollen wir dem jungen Manne eine Gnade
gönnen? Das sieht er natürlich ein, Gallus, und überläßt bis auf
weiteres sein Amt dem Jüngeren! . . . Guten Morgen!" . . .

So lange war dem Graukopf der Heimweg vom Schlosse noch
nie geworden. Schon in der Türe schrie er seiner Rika entgegen:
„Jetzt hammcr's — der Löffelphilixp wird Hofbaderl"

Schweigend hörte die Frau seinen hervorgekeuchten Bericht.
EEEii auffallender Ruhe gab sie zuletzt ihr Gutachten ab.

„Der Schlack, der boshafte, is natürlich mit Fleiß ausgerutscht
und Hot unserm Zwölften bloß a Kumedie vorgemacht. Aufs
Löffelbalbieren versteht er sich. Jetzt Hot er 's Messer, der Schlack
— aber vielleicht rutscht er noch einmal aus — net mit Fleiß!" ..

„Evie meinst denn dös, Erika?"

„Abwarten ... I" befahl sie und verriegelte den lückenhaften
Zaun ihrer Zähne mit einem Stück Zwetschgenkuchen.

Mehrere Tage hockte Gallus stillduldend daheim. Stolz trug
Philipp jeden Morgen das allbekannte rote Etui durch das Dorf.
Ekntertags aber lag das Zeichen herzoglicher Gunst in seiner Ge-
schäftsstube am Fensterbrette und funkelte einladend, so daß manches
Bäuerlein den sündhaften Wunsch fühlte: „Es müßt' doch famos
sein, dös vornehme Dings do amol zu probier'» I"

Doch der Hüter des Schatzes wies strengstens alle Annähcrungs-
versuche zurück. Manchen unangenehmen Namen mußte er des-
wegen hören und hinunterschlucken. Er schluckte — und ließ den
allergnädigsten Stahl keine ländliche Wange berühren.

Da — Entsetzen I — am Kirchweihsamstag mittags — Philipp
hatte nur schnell in der Küche die Suppe getrunken — traf es ihn
wie ein Peitschenhieb . . . das Etui lag leer.

„Dunnerkeil nochamol I . . ."

vergebliches rasendes Suchen — das Beinerne blieb ver-
schwunden — und gerade morgen wollte ihm, wie der Büchsen-
spanner verraten hatte, die Hoheit den ersehnten Hoftitcl ver-
leihen.

Die Bauern, die er vorsichtig nach dem verschwundenen Messer
aussorschte, zuckten die Achseln. EE>as sollten sie davon wissen?
Was er sich einbilde? EEnd überhaupt...? 6)b es anständig
sei, den alten Bader ganz kaltzustellen? . . - Solche Rede

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