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Sonn tag nachmittags« milien au sflugidyll

Das Lesezeichen.

von H. ® c neulich er.

Ausgerechnet mir muß das passieren! Herrschaften, Herrschaften,
was fang' ich bloß an! Meine Frau sucht überall ihren Zopf und
hat schon die Mina in verdacht. Die Mina hat allerdings rote
Haare, und der Zopf war braun. Aber meine Frau meint, sie
könne ihn vielleicht versehentlich als Tischbesen oder als Staub-
xinsel benutzt haben. Wenn sie wüßte, o, wenn sie wüßte! Aber
ich werde mich hüten, irgendwas zu sagen.

Das heißt: Ihnen kann ich's ja erzählen. Also gestern hatte
ich mir aus der Staatsbibliothek den sechsten Band des berühmten
Werkes „Die Sozialisierung im Ameisenstaat" von Professor Gründlich
geholt. Punkt elf Uhr abends brach ich, wie gewohnt, meine Lektüre
ab und sah nnch nach eineni Lesezeichen um. Und da — na ja, da
fallen meine Blicke gerade in die Keksdose auf dem Büfett. Dort
steckt meine Frau gewöhnlich den Zopf hinein, wenn sie schlafen
geht; sie ist nämlich sehr ordnungsliebend. Ich aber — ich weiß
auch nicht, was ich eigentlich gedacht Hab'. Lin böser Geist muß
über mich gekommen sein. Ich packe den Zopf, klemme ihn als
Lesezeichen zwischen die Seiten und klappe das Buch zu. Dann
bin ich seelcnvergnügt zu Bett gegangen und am nächsten Morgen
aufs Amt, als wenn ich das reinste Gewissen von der Welt hätte.

Als ich aber vorhin nach Hause kam, da fielen mir alle meine
Sünden ein. Unsere Wohnung sah aus wie eine gescheiterte Welt-
anschauung. Mein Schreibtisch war hochgekantet, das Büfett lag
mit der Base auf dem Fußboden, die Betten waren auf das

Klavier gepackt, mein Smoking in den Hundekorb, der - na, das
genügt wohl? Ich glaubte, eine Steuerbeitreibungskommission sei
bei mir gewesen oder meine Frau wolle heimlich ausziehen. ^ie
hat aber nur nach ihrem Zopf gesucht. Da haben mir meine
Knie geschlottert und ich vermochte kein Wort hervorzubringen.
Meine Frau hat aber daraus gar nicht geantwortet, sondern bloß
mit den, linken Fuß gewedelt. Ihre übrigen Körperteile steckten
gerade unter dem Divan.

Ich stürze also schleunigst nach meinem Bücherschrank, um das
vermißte Kleinod aus dem sozialisierten Ameisenstaat zu entfernen
und geräuschlos in die entgötterle Frisur meiner Frau einzuschmuggeln.
Dann hätte ich sie mächtig auslachen können, wie? Aber denken
Sic sich meinen Schrecken - - das Buch war nicht mehr da! Die
Nina, das Kamel, hatte cs am frühen Morgen in die Staats-
bibliothek zurückgebracht.

Ich sause zur Bibliothek hin. Die war natürlich schon ge-
schlossen. Aber ich kenne den Pförtner. Für ein reichliches Trink-
geld und gute Worte war der Mann tatsächlich zu bewegen, im
sozialisierten Ameisenstaat nach der falschen Behauptung meiner
besseren Hälfte zu forschen. Doch wenn der Mensch Pech hat, hat
er eben Pech. Der sechste Band war am selben Nachmittag weiter-
verliehen worden. . . Tief niedergeschlagen trollte ich heim und ver-
kroch mich zerknirscht stundenlang in die Badestube; denn ein zer-
rüttetes Lheleben wirkt lähmend auf Körper und Geist, von dem

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Sonntagnachmittagfamilienausflugidyll"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Doebner, Theodor
Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 154.1921, Nr. 3953, S. 138
 
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