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Das Buch der Gegenwart.

Es bleibt nichts anderes übrig und wenn ich mir die Zeit
dazu sozusagen, von der Uhr wegsparen muß: alle, alle haben es
gelesen und ich trau mich in meines Nichts durchbohrendem Gefühle
schon gar nicht mehr über die Straße und stammle verlegene Aus-
flüchte, wenn gleich nach der Erkundigung über mein wertes Be-
sinden die Frage hinterher galoppiert: . . . Und was sagen S i e
zuni „Aufgang des Morgenlandes"?

Da ist zum Beispiel nrein freund Fritz. Ein geradezu idealer
Fußballtorwart, preisgekrönter Radrennfahrer und Amateurboxer
von Ruf. was ich an ihm bis jetzt am höchsten schätzte: er hatte
zur Literatur ein so durchaus minimales Verhältnis, um nicht zu
sagen gar keines, daß man geradezu vernünftig mit ihm reden,
konnte. Er konnte kaum ein Schnaderhüpst von einer Ballade
unterscheiden, fragte, ob Futurismus ein Kindernährmittel sei und
hatte seit der Schulbank nie mehr was Gedrucktes gelesen als die
Sportzeitung. Neulich kommt er zu mir und sucht meinen Bücher-
schrank durch. — Da steht sonst im obersten Regal mein wertvollster
Band: eine Flasche Schwarzwälder Kirschwaffer.

„Bier, Fritze," sagte ich, „genehmige Dir einen l Ich habe sie jetzt
hinterm Gfen verstaut. Du suchst umsonst bei der schönen Literatur."

Fritze nahm zerstreut einen Schluck und kramte dann emsig im
Bücherschrank weiter: „Nein," sagte er, „ich suche heute wirklich nicht
die pulle. Aber Du mußt es doch haben I Es ist — ich meine
also" - und mm wurde er doch ein bißchen verlegen „ich suche

nämlich das Buch!" . „!vas für ’it Buch denn, Fritze?" — „Ja,

frage doch nicht so begabtI Das Buch eben, den „Aufgang des
Morgenlandes". Ich bin jetzt der einzige inl Fußballklub, der's noch
nicht kennt und da — na: Mas sagst Du eigentlich dazu, zuni „Auf-
gang des Morgenlandes" ?"

Nun war es an mir, einen Kirsch zu nehmen . . .

lind dann ging anr Abend Röschen an meinem Arm, die
Sechzehnjährige von Rechnungsrats, und wir hatten Tanzpäuschen.
(Ich werde da hin und wieder als Tänzerersatz zum Lämmerhüpfen
hinkommandiert).

Röschen fächelte heftig und wir konstatierten, daß es heiß fei -
und daß es vor einer Stunde sicher nicht so heiß gewesen sei und
daß es in einer Stunde gewiß noch heißer werde. Ja. Und

daß jede Jahreszeit wieder so
was Gewisses für sich habe,
das Frühjahr zum Beispiel wäre
wesentlich kühler als der Som
mer. - Ja. - - - -

Und wie merkwürdig es
sei, daß man den Mintermantel
den ganzen Sommer über im
Kasten hängen habe, während
das Sommerkleid . . . Und ob
ich auch Hühneraugen hätte und
Französisch nach dem Plötz ge-
lernt . . .

Ja - - — und dann war
unsere sprudelnde Konversation
zu Ende und aus — Amen
und versiegt. Kein Tropfen
mehr! — Und wie wir auch
pumpten und pumpten: Ball
und Metter und Jahreszeit -
es kam nichts mehr zu Tag. —

Ein unliebsamer Engel ging

W i l h c l m B u s ch.

zwischen uns durchs Zimmer. Röschen rang mit dem Geist und sie
ließ ihn nicht, es sei denn, er segnete sie? — Und er segnete sie. Sie
lispelte freudig bewegt über ihren Fund nnt schmachtenden Schoko-
ladetortcnaugen: „. . . Und was sagen Sie zum „Aufgang des
Morgenlandes"?"

Und dann fuhr ich in der Bahn. Mir gegenüber zwei gesalbte
Jünglinge von höchstem Mohlgeruch mit goldnen Armbändern,
seidnen Socken, aber nicht ganz sauberen Fingernägeln: Erst redeten
sie sehr sachlich von einen: Kind, das zu schaukeln sei, und nach
Und nach kam ich dahinter, daß es ein Maggon Würfelzucker wäre. —
Dann aber befanden sie sich mitten in der Literatur und tauschten
Reiselektüre aus: „pikantes aus hohen Boudoiren" und „Erlebnisse
und Abenteuer aus den Amorsälen", hierauf erzählten sie sich etliche
Mikoscherien, dann säuberten sie sich mit einem gespitzten Zündholz
die Stockzähne und dann besahen sie die Zeitschrift „Feigen", Blätter
für galante Kunst. Nach alldem gähnten sie ein paarmal laut und
vernehmlich, dann steckte der eine „pikantes aus hohen Boudoiren" in
die Reisetasche und fragte über die Schulter: „Ham Se übrigens den
„Aufgang des Morgenlandes" schon gelesen, Schulze? Det is nu'das
Buch der Säsongh." „Schweinerei?" fragte der andere wißbe-
gierig. — „Ach nee! Politik und so, vasteh'n Se! Müssen Se
lesen! Buch der Säsongk." —

And dann war ich bei Urgroßmüttern. Die sieht schon ganz
schlecht und liest seit Jahren nur mehr den Kickricki-Kalender und
da nur mehr die Bildunterschriften. - Ich will der alten Dame
in dem weltfernen Nestchen eine Freude machen und frag' sie, was
ich ihr aus der Stadt mitbringen soll.

„Mei'," sagt sie, ,,i' bin ja a stoa'alt's Leut. I'hob nix mehr
z' wünschen. I' wüßt' net was. Aber wennst D' vielleicht dös
selbige Büachl auftreibast, von dem ma' so vui hört: Den „Auf-
gang des Morgenlandes" oder wia's hoaßt."

Mein kleiner Neffe Marl bekam von mir zum Geburtstag ein
schönes Bilderbuch. Es hieß „Die Geschichte von Hans Däumling"
und viele lustige Bilder waren darin.

Einen Tag nachher drückte sich der Marl verlegen um mich
herum. — „Na," sage ich, „Maxl, habt ihr vielleicht die großen
Buchstaben noch nicht alle gelernt? Da Hab' ich das Buch vielleicht

doch zu früh gekauft."

„Nein, Gnkel," sagte er,
„wir sind schon ganz durch nnt
... ... E» dem A-B-L, aber wenn Du

halt das Buch Umtauschen tät'st.
Ich möcht' so gern ein anderes
dafür — weil's der Peperl vom
zweiten Stock auch hat." - -
„So, was denn?" — „Ja —
es heißt: „Der Aufgang des
Morgenlandes"."

Na und da biß ich denn
endlich in den säuern Apfel,
denn mir schien, ich mar wirk-
lich der einzige und letzte, der
das Buch noch nicht kannte.
Erst wollte ich mir's ausleihen,
aber jeder, der davon redete,
hatte es selbst von einem
andern ausgeliehen und mir
schien, als sei es eines der viel-
Vignette. gelesenen Bücher, die überhaupt


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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Vignette"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Busch, Wilhelm
Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Tanz <Motiv>
Paar <Motiv>
Junge <Motiv>
Weinen <Motiv>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 154.1921, Nr. 3954, S. 151
 
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