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Der kurzsichtige Großvater.

Fritzchen (aufmerksam in die Kaffeetasse des Großvaters hineinsehend): „Großvater, sie hat sich noch immer nicht aufgelöst." —
Wer?" — „Die Fliege, die Du da im Kaffee verrührst."

Godiva.

Jüngst war ich im Kino. Ich gehe öfter mal ins Kino. Im
Winter spart man derweil pausbrand und Licht und im Sommer
ist es hübsch kühl darinnen, denn es ist ein sehr modernes Kino
mit einer prima Durchlüftung. Schlechte Gerüche kommen da über-
haupt nicht auf. Kurz; es war wieder einmal sehr nett. Außer-
ordentlich nett sogar. Ls rollte nämlich der große historische Film
„Godiva". Prächtig zu sehen, wie dieses schöne Meid von anno
dazumal in paradiesischer Nacktheit, angetan einzig und allein mit
dem schimmernden Schmuck ihres langwallenden Paares — cs war
offensichtlich ihr echtes — auf ungesatteltem Roß durch altertüm-
liche Straßen und Gäßchen ritt. MeinAherz zitterte vor Wonne.
Adam, dem Vater der Menschen, kann in jenem höchsten Augen-
blick , als er Lva, seine weibgcwordene Rippe, zum erstenmal in
voller Schönheit erblickte, nicht dionysischer zumute gewesen sein.
Kurz, ich war berauscht. Dann aber wurde ich nachdenklich. Ich
dachte an die echte Lady Godiva, diese fromme schöne Dame aus
dem englischen Städtchen Toventry, dachte an ihren verrückten Ge-
mahl Leofrie, der ihr diesen grotesken Ritt aufzwang, dachte aber
vor allem an Lauffs bekannten Roman „Aexins coeli", in dem in
dichterischer Freiheit Godivas Ritt in die Stadt Antwerpen zur Zeit
der spanisch - niederländischen Religionskriege verlegt ist. And ich
erinnerte mich, wie diese Godiva durch solch denkwürdigen, vom
Abermut eines siegestollen Gewalthabers erzwungenen Ritt ihre
Vaterstadt Antwerpen vor Greuel und Vernichtung bewahrte, wie
die Bürger der Stadt Türen und Fenster verrammelten, damit kein
profaner Blick das unerhörte Opfer der keuschen Jungfrau schände.
— Schön. Auch auf der lebendigen weißen wand da vor mir
waren die mittelalterlichen Straßen und Gäßchen öde und leer und

kein Bürger — bis auf einen, der zur Strafe dafür blind wurde —
schaute in sündiger Neugier durch Lucken und, Ritzen. Aber saßen
nicht gleich mir viele punderte, ja wohl an anderthalbtauscnd
Menschen, Akännlein und weiblein hier im Kientopp und ergötzten
sich mit wohligem Gruseln an diesem heiligen Ritt? war dies nicht
eine Entweihung, eine sündhafte Schändung jener großen, vater-
ländischen Tat? Alan könnte es wirklich so nennen. Indessen —
Godivas reizende Rückseite bog eben um die nächste Straßenecke —
wir leben im 20. Jahrhundert, im Zeitalter des Films, und haben
es uns abgewöhnt, tragisch zu sein. Ls ist nicht mehr modern.
Auch haben wir heute wirkliche, echte Divas, nicht nur Go-Divas.
And die machen eben alles. Ich bin überzeugt, die Original-Godiva
hat schon damals vor so und soviel hundert Jahren dunkel geahnt,
daß sie dereinst gefilmt und Millionen von Menschen als Sonder-
Attraktion vorgeführt werden würde. Patte sie denn sonst Go-Diva
geheißen? Ich möchte sogar behaupten: Godiva war die erste Diva
überhaupt, wie Eva das erste Weib war, und wenn es schon damals
Filmoperateure gegeben hätte, so wäre ihr Ritt totsicher durch irgend
einen schadhaften Fensterladen hindurch von einem tüchtigen Ope-
rateur gefilmt worden, selbst auf die Gefahr hin, nicht nur blind
zu werden, sondern — wie in Lauffs schönem Roman — seinen Kopf
gemäß dem grimmen Befehl des gestrengen perrn Bürgermeisters
dem penkerbeil verfallen zu wissen. Immerhin mag es uns zart-
besaiteten Zeitgenossen von heute eine gewisse Beruhigung sein,
daß wir Schön-Godivas Ritt dank den glänzenden Fortschritten
unserer Kultur und Technik nach Belieben oft sehen können, ohne
daß ein Operateur deswegen seine Pupillen zu riskieren brauchte
oder gar geköpft worden wäre. Dempora mutsntur! Albe« Goch,.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der kurzsichtige Großvater"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Storch, Carl
Entstehungsdatum
um 1923
Entstehungsdatum (normiert)
1918 - 1928
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 159.1923, Nr. 4067, S. 10

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
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