Fliegende Blätter (159.1923 (Nr. 4066-4091))

Tagebuch aus der Sommerfrische 1923,

1. 8. Wir wohnen in einen, großen Bauernhaus. Kerrliche, viel-
verheißende, ländliche Symphonie: Den ganzen Tag gackert, muht
und grunzt es.

2. 8. Die Menagerie besichtigt. 20 Kühe, 6 Schweine. 26 Kühner.
Trotzdem täglich nur 2 Liter Milch für uns; denn die jungen Kälber
und Ferkel brauchen viel. Das haben wir davon, daß unsere Kin-
der keine „Ferkel" sind.

5. 8. Wir gehen zu den Bauern der Umgebung zum Kanistern.
Überall diese verflixten Sommerfrischler. Wie giftig die uns anglotzcn.
wenn wir kommen. Ungefähr so, wie wir die anschaucn, die bei
unserer Bäuerin -
hoffentlich vergeb-
lich — Hamstern.

8. Der ksof-
hund Lur (a non
lucendo) hat un-
fern Lrcssalienkorb
in unserer Abwe-
senheit besichtigt
und eine Wurst be-
schlagnahmt. Ja.
ja. ein Kund ohne
Kinderstube! Da ist
uns die Katze lie-
ber. die so laut
schnurrt, daß man
ein Motorrad in
der Lerne zu hören
glaubt. Wir haben
sie „Lockerellchen"
getauft.

5. 8. Ausflug
auf das Gchsen-
horn.Gipfel besetzt,
daher umgekehrt.

Auf einer Alm ein
ÜZuart verwässer-
ter Milch 500 ooo
Mark.

6. 8. ksier wird
alles nach „Maß
Bier" gerechnet:

Bcttpreis. Kahn-
fahrt usw. vor-
bildliche Grund-
lage einer wert-
beständigen Bezahlung. 3d> werde mein vermögen in Maß Bier
umrechnen und — keines trinken.

7. 8. In einer Woche soviel gebraucht, als für 4 Wochen be-
rechnet war. Brief an die Bank.

8. 8. Wir leben auf Pump. Rechnung im Gasthaus sehr ein-
fach: Jeden Tag alles um die Kälfte mehr als tagsvorher.

(Arlttiircktrr.

vergleich' ich die herrliche krde
Mil der Menlchheil Mangel an glück.

Dann denk' ich: „welch' schöne Kulissen
?ür solch ein erbärmliche; Stück!“

o. e tu.

9. 8. Bank den ganzen vormittag vergeblich anzutelephonieren
versucht. Telegramm.

10. 8. Wir leben beinahe im Paradies. Wenigstens ist ein
Apfelbaum da. Die Kinder haben trotz Verbotes einen am Baum
hängenden Apfel berührt. Krach mit dem Bauern.

> i. 8. Keutc nur ein viertel Liter Milch. Dringendes Tele-
gramm an meinen Bruder, soll >20 Millionen sdsicken.

>2. 8. Bank teilt mit, sie habe Geld an ihre Liliale im nahen
'Städtchen Mühlberg überwiesen.

15. 8. Gasthausxrcisc beinahe wahnsinnig. Wirt und Bauern er-
fahren Dollarstand
stündlich. Darum
Telephon immer
belegt. Bankfiliale
Mühlberg hat noch
nichts erhalten.

(4. 8. Postan-
weisung angckom-
incit; Post zahlt
nichts aus.

15. 8. Bank-
filiale Mühlberg
hat Überweisung,
aber kein Geld.

16. 8. lvir ko-
chen selber. Ts ist
danach.

ly. 8. Mühl-
berg druckt Stadl-
gcld. 5 Stunden an
gestanden. > Mil-
lion bekommen.

20. 8. Lur hat
meine Kleine ins
Bein gebissen.Gott
sei Dank! Nun ge-
ben die Kühe plötz-
lict? mehr Milch.

22. 8. Täglich
in Mühlberg I Mil-
lion geholt. Die
Scheine nimmt
aber niemand an.

25. 8. Lin mor-
sches Ruder vol-
lends zerbrochen-
Der Lischcr verlangt ein neues um 8 Millionen. Krach.

26. 8. Unter Zurücklassung von Pfändern «Taschenuhr, Lcrn-
glas) abgedampft. Tiscnbahnfahrkarte gegen Lahrrad als Pfand.

27.8. Endlich daheim! Bei Ankunft in der Wohnung große
Szene. Jm Mrtchen hat die ganze Zeit das Lickst gebrannt. Ich
soll's gewesen sein! Meinetwegen, zahlen muß ich's ja doch!

w. x

lEtiuns für jRinrriliaurr.

verehrtet Leser, jetzt sollst du raten,
worin wohl Säuglinge, Sümple und Staaten
Sich manchesmal ru gleichen pflegen:

Man kann sie alle — „trocken legen".

o. £ tu.

Mimikry oder Hochsaison München 1923.

„Aber, Simmerl, wie schaugst denn Du aus?" — ..5DM’ Lieber, mir werd's z' bumm.
Alle drei Schritt fragt Di' a Fremder nach ’m Weg. I' Hab' mi’ als Preist maskiert, jetz' Hab’
i’ mei' Ruah."

Der Grund.

was macht denn nur das Leben
Der Menschen olt so trist?
weil keiner wirklich sein kann,
wa; er im gründe ist.

o. £ tu.

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