Ans dem Lcbcii in Schönheit und Wörde.
II.
Der wahre Zweck des Daseins.
Hoffmann von Fallersleben.
Eine Geschichte von Ludwig Löte.
Seit gestern ist es Frühling geworden in Corvey. Eisschollen
treiben zerfetzt im schmutziggelbcn Weserwaffer hinter dem schloß, lau
läuft der wind von den Bergen in den alten Bethcgau und über
den grauen wiesen weht hier und da schon ein Streifen Primelgelb.
Der Bibliothekar des Herzogs von Ratibor-Corvey. vr. Heinrich
Hoffmann von Fallersleben, Breslauer Universitätsprofessor a. D.
hat die Altantüren des großen Büchersaals geöffnet, das neue freudige
Leben einzulaffen. Ist cs nicht ein tröstliches Gleichnis, wie der
wühlende warme wind um die hohen, verstaubten Codices. und
Ulappcnwerke braust, die er. in beinahe zweihundert Ivand- und zahl'
reichen Tischschränkcn geborgen, seit dem vorigen Jahre hütet? Die
immer neuen Elstern der Erde raunen um das eingesargte Gestern
und Ehemals forschender und sinnender Menschheit und ihm ist. als
wandle sich mancher Scbweinsleder- oder Leinenband in menschliches
Antlitz und schlüge, bald unwillig, bald heiter-zufrieden, verbrummt
oder schelmisch, schwere Augenlider auf, so daß selbst die grausam
gemalte Kaiserin Kunigunde an der Decke für einen Augenblick ihre
schauervolle Feuerprobe unterbricht.
wie wohl würde ihm in diesem grünen abgckchrten weser-
winkcl sein, läge nicht hinter der Kirche, ganz nahe dem Ufer, ein
frisches Grab! „Ida Hoffmann" steht auf der einfachen Platte, unter
der sie seit dem achtundzwanzigsten Mktober des vergangenen Jahres
neben dem Kleinen schläft, der die Mutter in die Dunkelheit mitgc-
riffen, die er kaum verlassen. „Gott und die Zeit werden trösten",
hatte er damals seinem mitfühlenden Herrn nach Schlesien geschrieben.
Der lvintcr war mit bergehohen, Schnee und scharfem Frost
cingcbrochen und hatte ihn, jede Lust genommen, wieder unter
Menschen zu gehen. Briese schichteten sich unbeantwortet hoch, nur
Liszt und der getreue Erk in Berlin erhielte» manchmal noch ei»
Lebenszeichen. ,nu wissenschaftlichem Tun'fehlte die Neigung; die
Volksliedforschung rückte nicht weiter, da ihm die fehlte, deren leise,
gute Bände uu. sauber gemalten Siugbüchlcin und sticgcnden Blätter
auf dem gelben Tofclklavicr wachgerufen hatte». Schließlich hatte
er. von den Schwägerinnen umsorgt, mit seiner Lebensgeschichte be-
gonnen und das Werk kräftig gefördert, sich immer länger in dem
Land verloren, in dem alle Erdcndinge am sichersten verwahrt sind,
wie er einst bei Scneca gelesen, in der Vergangenheit.
lvie hatte ihn das Leben geschüttelt! Franzosenjahre, kärgliche
Studentenzeit. Bibliotheksdicnst im halbxolnischen Schlesien. Dann
zwanzig Jahre Verbannung, kurzes, glückliches Aufatmen in Goethes
jaNs-tzun., S»tle IS»
II.
Der wahre Zweck des Daseins.
Hoffmann von Fallersleben.
Eine Geschichte von Ludwig Löte.
Seit gestern ist es Frühling geworden in Corvey. Eisschollen
treiben zerfetzt im schmutziggelbcn Weserwaffer hinter dem schloß, lau
läuft der wind von den Bergen in den alten Bethcgau und über
den grauen wiesen weht hier und da schon ein Streifen Primelgelb.
Der Bibliothekar des Herzogs von Ratibor-Corvey. vr. Heinrich
Hoffmann von Fallersleben, Breslauer Universitätsprofessor a. D.
hat die Altantüren des großen Büchersaals geöffnet, das neue freudige
Leben einzulaffen. Ist cs nicht ein tröstliches Gleichnis, wie der
wühlende warme wind um die hohen, verstaubten Codices. und
Ulappcnwerke braust, die er. in beinahe zweihundert Ivand- und zahl'
reichen Tischschränkcn geborgen, seit dem vorigen Jahre hütet? Die
immer neuen Elstern der Erde raunen um das eingesargte Gestern
und Ehemals forschender und sinnender Menschheit und ihm ist. als
wandle sich mancher Scbweinsleder- oder Leinenband in menschliches
Antlitz und schlüge, bald unwillig, bald heiter-zufrieden, verbrummt
oder schelmisch, schwere Augenlider auf, so daß selbst die grausam
gemalte Kaiserin Kunigunde an der Decke für einen Augenblick ihre
schauervolle Feuerprobe unterbricht.
wie wohl würde ihm in diesem grünen abgckchrten weser-
winkcl sein, läge nicht hinter der Kirche, ganz nahe dem Ufer, ein
frisches Grab! „Ida Hoffmann" steht auf der einfachen Platte, unter
der sie seit dem achtundzwanzigsten Mktober des vergangenen Jahres
neben dem Kleinen schläft, der die Mutter in die Dunkelheit mitgc-
riffen, die er kaum verlassen. „Gott und die Zeit werden trösten",
hatte er damals seinem mitfühlenden Herrn nach Schlesien geschrieben.
Der lvintcr war mit bergehohen, Schnee und scharfem Frost
cingcbrochen und hatte ihn, jede Lust genommen, wieder unter
Menschen zu gehen. Briese schichteten sich unbeantwortet hoch, nur
Liszt und der getreue Erk in Berlin erhielte» manchmal noch ei»
Lebenszeichen. ,nu wissenschaftlichem Tun'fehlte die Neigung; die
Volksliedforschung rückte nicht weiter, da ihm die fehlte, deren leise,
gute Bände uu. sauber gemalten Siugbüchlcin und sticgcnden Blätter
auf dem gelben Tofclklavicr wachgerufen hatte». Schließlich hatte
er. von den Schwägerinnen umsorgt, mit seiner Lebensgeschichte be-
gonnen und das Werk kräftig gefördert, sich immer länger in dem
Land verloren, in dem alle Erdcndinge am sichersten verwahrt sind,
wie er einst bei Scneca gelesen, in der Vergangenheit.
lvie hatte ihn das Leben geschüttelt! Franzosenjahre, kärgliche
Studentenzeit. Bibliotheksdicnst im halbxolnischen Schlesien. Dann
zwanzig Jahre Verbannung, kurzes, glückliches Aufatmen in Goethes
jaNs-tzun., S»tle IS»
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Aus dem Leben in Schönheit und Würde"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1923
Entstehungsdatum (normiert)
1918 - 1928
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 159.1923, Nr. 4085, S. 154
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg