ganzen Dauer des festes, was
für reizende Überraschungen, was
für drollige Situationen wird das
ergeben1"
Gudula, die ihre 'Abstam-
mung von dem berühmten Philo-
logen Geheimrat l)r. Tertullian
Meier keinen Augenblick verleug-
ncte, war einverstanden, nur be-
dang sie sich aus, daß das Lest
nicht länger als vierundzwanzig
Stunden dauern dürfe.
Am (7. Dezember, ganz wie
seinerzeit im klassischen Rom —
abends 9 Uhr nach dem Geschirr-
spülen — sollte für die übrigens
organisierte Sklavin Wally das
goldene Zeitalter anbrechcn.
Und Punkt 9 Uhr, gerade als
das Glockenspiel der hl. Geist-
kirche das ,,Ub' immer Treu und
Redlichkeit" anstimmte, öffnete
sich die Tür des Eßzimmers und
herein trat: Ein furchtbar pracht-
volles Sinnbild der vor veischwen-
derischer Fruchtbarkeit strotzenden
Ratur, in ksaltung und Blick
perrin, Herrscherin — Wally.
Ihre Fülle hätte die veilchenblaue
Seidcnblusc gesprengt, wäre diese
nicht, wie das ganze Kostüm der
Frau Professor, von Hochprima
(Dualität gewesen. Die sehr gut
entwickelte vüftenpartie oder viel-
mehr die dadurch verursachte
Verkürzung des Kleidcrrockes ge-
währte — verzeihen Sie gütigst
— eine ausgezeichnete Rundschau
auf die angenehme Umsänglich-
keit des Fundaments, auf dem
das Fräulein sich ausbaute. Aus
der drangvoll fürchterlichen Enge
der Lact schuhe, die die Solde zum
Trippelgang der vornehnien Lhi.
nesin zwang, quollen die mit vio-
lettseidenen Zwickelstrümpfen geschmückten
Pedale. Aber gekrönt war dieses Wunder von
Schönheit und Eleganz, als welches ich niit
Ihrer freundlichen Erlaubnis Wally bezeich-
nen möchte, mit einem prächtigen Gut, auf
dem zwei riesige Straußenfedern, eine rote
und eine weiße, wippten und nickten; sie
hatte ihn keck aufs rechte (Ohr gesetzt, das
verlieh ihrem Wesen etwas Forsches, ja —
ich möchte fast sagen, etwas Bacchantisches —
Mänadenhaftes. ,,I' geh' jetzt furt", sagte
sie kurz und bestimmt, ,,mei'Schorschi wird
a so scho' warten", und sich zu Frau Pro-
fessor wendend: „Sie können aufbleiben und mir beim Auskleiden" —
ich gebe mein Ehrenwort, daß sie „ausklciden" sagte — „beim Aus-
klciden helfen; i' komm' vielleicht um die Einse — oder später." Und
rauschte hinaus. „Erste reizende
Überraschung", dachte Frau Pro-
fessor, sic sagte aber nichts. Schließ-
lich räkelte sich das xrofefforalc
Paar noch so herum, ohne was
Gescheites zu sagen oder zu tun,
bis endlich Gudula ihren sichtlich
stark ermüdeten Thcophrast in
die Magdkammer schlafen schickte.
Gudula selbst war bald in ihrem
Sessel cingcnickt.
Plötzlich jedoch wurde sic durch
Gepolter auf der Treppe auf-
geweckt; sie sah nach der Uhr:
b/.> 2; diskret zog sie sich in die
Küche zurück und lauschte; sie
hörte die Flurtür gehen — ja,
aber was war denn das? war
Wally Vierfüßer geworden? Da
hörte sie eine alkoholgclränktc
Stimme Unverständliches knurren;
ach so, der Schorschi; ja, was will
denn der hier? Ihr Zweifel
währte nicht lange; im Rahmen
der Küchentür erschien Wally und
bestellte eine Flasche Bier und
zwei Gläser. „Mir Ham soviel
Durscht", meinte sic gemütlich.
Gudula brachte das verlangte
ins Eßzimmer und entfernte sich
mit einem zierlichen Zoscnknir.
Endlich, endlich verschwand
auch Schorschi durch die Flurtür
und Wally in das eheliche Schlaf-
zimmer, ohne Gudels Pilse zu
beanspruchen.
Todmüde begab sich diese hier-
auf in die Kammer, wo Theo
schon hörbar dem Schlafgott hul-
digte und lag alsbald ebenfalls
in tiefem Schlaf.
„Gudelchen, Gudclchen, wir
müssen aufstehcn, es ist schon
7 Uhr und wir haben soviel zu
tun heute", mahnte Theo am
Morgen. Und bald waren sie an der Ar-
beit. während er im Eßzimmer und in der
Küche Feuer anmachte, das Kaffeewasser
aufstclltc, die Tassen, die Löffclchcn und die
anderen Siebensachen zusammensuchte — er
vergaß nichts — öffnete sic die Fenster und
ordnete die Zimmer; alsdann wischte sic
den Staub von den Möbeln. Und wenn sie
dann das Staubtüchlein ausschleuderte und
sich zum Fenster hinausbeugend sah, wie mit
vor Eifer und Kälte geröteten Ivangen ihr
Theo eine stattliche Gasse in den Schnee auf
dem Bürgersteig schaufelte, zog ein früher
nicht gekanntes wohliges Gefühl in ihr pcrz. Als sic aber mit
dem Frühstück das eheliche Schlafzimmer betrat, wo Wally laut
schnarchend noch schlief und einen Blick auf ihre eigenen zusammcn-
Snsumorei.
Kühl weht der herbst und lieber
Sing der Poet zu Bett,
Wenn nicht (ein Gegenüber
stoch Licht im Stübchen hätt'.
„Ob wohl ihr flinkes Händchen
Die braunen Zöpfe sticht?
Erwartet (ie ein Ständchen? . .
Der Dorhang schließt zu dicht
Ob (ie bei trüber Kerze,
Als Cro[t nach Cagesmüb’,
stoch einmal drückt ans herze.
Mein Briefchen von heut' früh?. .“
So fragt er voll Begrübet
Und schmachtet ohne Kuh'
Zum mondbeglänzlen Giebel —
Oh. Schwärmer, wüßtest du ..!
Sie (ißt beim Börlenblatte
Und flü(tert: „Morgen früh,
Die Aktie, die matte
Ich limitiere (ie!“
170
für reizende Überraschungen, was
für drollige Situationen wird das
ergeben1"
Gudula, die ihre 'Abstam-
mung von dem berühmten Philo-
logen Geheimrat l)r. Tertullian
Meier keinen Augenblick verleug-
ncte, war einverstanden, nur be-
dang sie sich aus, daß das Lest
nicht länger als vierundzwanzig
Stunden dauern dürfe.
Am (7. Dezember, ganz wie
seinerzeit im klassischen Rom —
abends 9 Uhr nach dem Geschirr-
spülen — sollte für die übrigens
organisierte Sklavin Wally das
goldene Zeitalter anbrechcn.
Und Punkt 9 Uhr, gerade als
das Glockenspiel der hl. Geist-
kirche das ,,Ub' immer Treu und
Redlichkeit" anstimmte, öffnete
sich die Tür des Eßzimmers und
herein trat: Ein furchtbar pracht-
volles Sinnbild der vor veischwen-
derischer Fruchtbarkeit strotzenden
Ratur, in ksaltung und Blick
perrin, Herrscherin — Wally.
Ihre Fülle hätte die veilchenblaue
Seidcnblusc gesprengt, wäre diese
nicht, wie das ganze Kostüm der
Frau Professor, von Hochprima
(Dualität gewesen. Die sehr gut
entwickelte vüftenpartie oder viel-
mehr die dadurch verursachte
Verkürzung des Kleidcrrockes ge-
währte — verzeihen Sie gütigst
— eine ausgezeichnete Rundschau
auf die angenehme Umsänglich-
keit des Fundaments, auf dem
das Fräulein sich ausbaute. Aus
der drangvoll fürchterlichen Enge
der Lact schuhe, die die Solde zum
Trippelgang der vornehnien Lhi.
nesin zwang, quollen die mit vio-
lettseidenen Zwickelstrümpfen geschmückten
Pedale. Aber gekrönt war dieses Wunder von
Schönheit und Eleganz, als welches ich niit
Ihrer freundlichen Erlaubnis Wally bezeich-
nen möchte, mit einem prächtigen Gut, auf
dem zwei riesige Straußenfedern, eine rote
und eine weiße, wippten und nickten; sie
hatte ihn keck aufs rechte (Ohr gesetzt, das
verlieh ihrem Wesen etwas Forsches, ja —
ich möchte fast sagen, etwas Bacchantisches —
Mänadenhaftes. ,,I' geh' jetzt furt", sagte
sie kurz und bestimmt, ,,mei'Schorschi wird
a so scho' warten", und sich zu Frau Pro-
fessor wendend: „Sie können aufbleiben und mir beim Auskleiden" —
ich gebe mein Ehrenwort, daß sie „ausklciden" sagte — „beim Aus-
klciden helfen; i' komm' vielleicht um die Einse — oder später." Und
rauschte hinaus. „Erste reizende
Überraschung", dachte Frau Pro-
fessor, sic sagte aber nichts. Schließ-
lich räkelte sich das xrofefforalc
Paar noch so herum, ohne was
Gescheites zu sagen oder zu tun,
bis endlich Gudula ihren sichtlich
stark ermüdeten Thcophrast in
die Magdkammer schlafen schickte.
Gudula selbst war bald in ihrem
Sessel cingcnickt.
Plötzlich jedoch wurde sic durch
Gepolter auf der Treppe auf-
geweckt; sie sah nach der Uhr:
b/.> 2; diskret zog sie sich in die
Küche zurück und lauschte; sie
hörte die Flurtür gehen — ja,
aber was war denn das? war
Wally Vierfüßer geworden? Da
hörte sie eine alkoholgclränktc
Stimme Unverständliches knurren;
ach so, der Schorschi; ja, was will
denn der hier? Ihr Zweifel
währte nicht lange; im Rahmen
der Küchentür erschien Wally und
bestellte eine Flasche Bier und
zwei Gläser. „Mir Ham soviel
Durscht", meinte sic gemütlich.
Gudula brachte das verlangte
ins Eßzimmer und entfernte sich
mit einem zierlichen Zoscnknir.
Endlich, endlich verschwand
auch Schorschi durch die Flurtür
und Wally in das eheliche Schlaf-
zimmer, ohne Gudels Pilse zu
beanspruchen.
Todmüde begab sich diese hier-
auf in die Kammer, wo Theo
schon hörbar dem Schlafgott hul-
digte und lag alsbald ebenfalls
in tiefem Schlaf.
„Gudelchen, Gudclchen, wir
müssen aufstehcn, es ist schon
7 Uhr und wir haben soviel zu
tun heute", mahnte Theo am
Morgen. Und bald waren sie an der Ar-
beit. während er im Eßzimmer und in der
Küche Feuer anmachte, das Kaffeewasser
aufstclltc, die Tassen, die Löffclchcn und die
anderen Siebensachen zusammensuchte — er
vergaß nichts — öffnete sic die Fenster und
ordnete die Zimmer; alsdann wischte sic
den Staub von den Möbeln. Und wenn sie
dann das Staubtüchlein ausschleuderte und
sich zum Fenster hinausbeugend sah, wie mit
vor Eifer und Kälte geröteten Ivangen ihr
Theo eine stattliche Gasse in den Schnee auf
dem Bürgersteig schaufelte, zog ein früher
nicht gekanntes wohliges Gefühl in ihr pcrz. Als sic aber mit
dem Frühstück das eheliche Schlafzimmer betrat, wo Wally laut
schnarchend noch schlief und einen Blick auf ihre eigenen zusammcn-
Snsumorei.
Kühl weht der herbst und lieber
Sing der Poet zu Bett,
Wenn nicht (ein Gegenüber
stoch Licht im Stübchen hätt'.
„Ob wohl ihr flinkes Händchen
Die braunen Zöpfe sticht?
Erwartet (ie ein Ständchen? . .
Der Dorhang schließt zu dicht
Ob (ie bei trüber Kerze,
Als Cro[t nach Cagesmüb’,
stoch einmal drückt ans herze.
Mein Briefchen von heut' früh?. .“
So fragt er voll Begrübet
Und schmachtet ohne Kuh'
Zum mondbeglänzlen Giebel —
Oh. Schwärmer, wüßtest du ..!
Sie (ißt beim Börlenblatte
Und flü(tert: „Morgen früh,
Die Aktie, die matte
Ich limitiere (ie!“
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Träumerei"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1923
Entstehungsdatum (normiert)
1918 - 1928
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 159.1923, Nr. 4087, S. 170
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg