Markos Handschrift
Von M. Holthausen
Ein Kraftmensch war Marko, Kommandant der kleinen Truppen-
abkeilung eines schwäbisch-ungarischen Dorfes im besetzten Gebiet.
Er war streng, aber gerecht, war gefällig, wo er es sein durfte / er
hatte cs verstanden, sich besonders mit der gebildeten Klatze der
Bevölkerung auf guten Fuß zu setzen und freundschaftlich zu ver-
kehren. Im übrigen war er jung, eine stattliche Erscheinung, besaß
gute gesellschaftliche Formen rmd nach dem Zeugnis aller, die ihn
näher kannten, auch ein gutes Herz.
Seine Vorgänger hatten mehrere Schreiber beschäftigt, um bei
Mißhelligkcitcn zwischen Bevölkerung uitd Besatzung beiden Par-
teien gerecht zu werden,- es war aber von dieser Tätigkeit nicht
viel Rühmliches zu berichten, namentlich ging alles recht langsam
vorwärts — wenn überhaupt.
„O, ich brauche keine Schreiber", sagte Marko. »Ich mache
alles selbst,- da genügt meine eigene Handschrift."
Eines Tages wollte ein altes schwäbisches Bäuerlein, um sich
den Weg abzukürzen, quer über die Eisenbahnschienen ^ehen. Das
war verboten, der Bauer wußte cs aber nicht. Ein Soldat kam
dazu und wollte ihir zurückhaltcn. Der Bauer begriff nicht gleich,
was man von ihm begehrte. Jeder kannte nur wenige Worte von
der Sprache des andern, trotzdem oder vielmebr eben deswegen
entspann sich ein Wortwechsel, dem der Soldat dadurch ein jähes
Ende bereitete, daß er mit der Spitze seines Bajonetts seinen
Gegner in den Rücken stach. Mit einem Aufschrei lief der Bauer
davon,- Tränen auf den Wangen und Blut auf dem Kittel, er-
schien er in der Kommandantur und klagte sein Leid. Marko be-
ruhigte ihn und versprach, Gerechtigkeit zu üben. Nach einigen
Erkundigungen wurde der Soldat herbeigeschafft,- der Bauer ver-
sicherte, daß er ihn genau als den Mann wicdererkenne, der ihn
gestochen habe, und durfte nach Hause gehen. — Eine schwere Ver-
letzung war es also nicht.
„Weißt du, weshalb du hergerufen bist?" redete Marko den
Soldaten an.
Verstocktes Schweigen,.auch auf mehrmaliges Fragen.
Von der längsten Sorte war Markos Geduld eben nicht.
„Willst du nicht reden, dann laß cs bleiben, aber —." Und er
versetzte dem Übeltäter erst rechts, dann links mit der geballten
Faust je einen wuchtigen Hieb unter die Kinnladen, bekanntlich
ein sehr wirkungsvolles Boxerstückchen, und sodann auch mit ge-
rechter Verteilung auf beide Gesichtshälftcn Ohrfeigen, ungezählt
und ungcmessen. Der Soldat wich immer weiter zurück,- es half
ihm aber nichts, im Gegenteil. Denn als er der Wand des Zimmers
sich näherte, stolperte er über einen Diwan und fiel rücklings der
Länge nach darauf hin. Zur Vollendung seines Mißgeschicks hing
dort ein ungeladenes Gewehr. Das riß Marko sofort herunter,
faßte es bei den Läufen und schlug auf den Liegenden los, der
natürlich jämmerlich schrie. Als er endlich genug Gerechtigkeit ge-
übt zu haben glaubte, packte Marko den Soldaten beim Genick,
riß ihn in die Höhe, schleppte ihn zur Tür und stieß ihn hinaus
mit den Worten: „So, jetzt geh hin und stich wieder!" Der Wache
vor dem Zimmer rief er zu: „Dieser Mann wird sofort auf drei
Tage eingcsperrt ohne Essen und Trinken." —
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Von M. Holthausen
Ein Kraftmensch war Marko, Kommandant der kleinen Truppen-
abkeilung eines schwäbisch-ungarischen Dorfes im besetzten Gebiet.
Er war streng, aber gerecht, war gefällig, wo er es sein durfte / er
hatte cs verstanden, sich besonders mit der gebildeten Klatze der
Bevölkerung auf guten Fuß zu setzen und freundschaftlich zu ver-
kehren. Im übrigen war er jung, eine stattliche Erscheinung, besaß
gute gesellschaftliche Formen rmd nach dem Zeugnis aller, die ihn
näher kannten, auch ein gutes Herz.
Seine Vorgänger hatten mehrere Schreiber beschäftigt, um bei
Mißhelligkcitcn zwischen Bevölkerung uitd Besatzung beiden Par-
teien gerecht zu werden,- es war aber von dieser Tätigkeit nicht
viel Rühmliches zu berichten, namentlich ging alles recht langsam
vorwärts — wenn überhaupt.
„O, ich brauche keine Schreiber", sagte Marko. »Ich mache
alles selbst,- da genügt meine eigene Handschrift."
Eines Tages wollte ein altes schwäbisches Bäuerlein, um sich
den Weg abzukürzen, quer über die Eisenbahnschienen ^ehen. Das
war verboten, der Bauer wußte cs aber nicht. Ein Soldat kam
dazu und wollte ihir zurückhaltcn. Der Bauer begriff nicht gleich,
was man von ihm begehrte. Jeder kannte nur wenige Worte von
der Sprache des andern, trotzdem oder vielmebr eben deswegen
entspann sich ein Wortwechsel, dem der Soldat dadurch ein jähes
Ende bereitete, daß er mit der Spitze seines Bajonetts seinen
Gegner in den Rücken stach. Mit einem Aufschrei lief der Bauer
davon,- Tränen auf den Wangen und Blut auf dem Kittel, er-
schien er in der Kommandantur und klagte sein Leid. Marko be-
ruhigte ihn und versprach, Gerechtigkeit zu üben. Nach einigen
Erkundigungen wurde der Soldat herbeigeschafft,- der Bauer ver-
sicherte, daß er ihn genau als den Mann wicdererkenne, der ihn
gestochen habe, und durfte nach Hause gehen. — Eine schwere Ver-
letzung war es also nicht.
„Weißt du, weshalb du hergerufen bist?" redete Marko den
Soldaten an.
Verstocktes Schweigen,.auch auf mehrmaliges Fragen.
Von der längsten Sorte war Markos Geduld eben nicht.
„Willst du nicht reden, dann laß cs bleiben, aber —." Und er
versetzte dem Übeltäter erst rechts, dann links mit der geballten
Faust je einen wuchtigen Hieb unter die Kinnladen, bekanntlich
ein sehr wirkungsvolles Boxerstückchen, und sodann auch mit ge-
rechter Verteilung auf beide Gesichtshälftcn Ohrfeigen, ungezählt
und ungcmessen. Der Soldat wich immer weiter zurück,- es half
ihm aber nichts, im Gegenteil. Denn als er der Wand des Zimmers
sich näherte, stolperte er über einen Diwan und fiel rücklings der
Länge nach darauf hin. Zur Vollendung seines Mißgeschicks hing
dort ein ungeladenes Gewehr. Das riß Marko sofort herunter,
faßte es bei den Läufen und schlug auf den Liegenden los, der
natürlich jämmerlich schrie. Als er endlich genug Gerechtigkeit ge-
übt zu haben glaubte, packte Marko den Soldaten beim Genick,
riß ihn in die Höhe, schleppte ihn zur Tür und stieß ihn hinaus
mit den Worten: „So, jetzt geh hin und stich wieder!" Der Wache
vor dem Zimmer rief er zu: „Dieser Mann wird sofort auf drei
Tage eingcsperrt ohne Essen und Trinken." —
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