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„DER BUB' MUSS EINMAL SEINE PRÜGEL HABEN!

Eine vergnügliche Gefchichte von KarlEttlinger

(Schneidermeister Gustav Bürstenkorn und seine Frau Marie
haben zwei Kinder: das heiratsfähige Lieschen — den Stolz der
Mutter - und den Lausbuben Fritz - den Stolz des Vaters.)
(Forts. 2) Ganz anders hielt es Gustav mit dem Fritzchen. Der Fritz war
ja so brav! Und so lieb! Und so gescheit! Ganz unfaßbar, wie seine Mutter
immer behaupten konnte, der Fritz sek „e miserawler Lausbub!" Wieso
denn? Etwa weil er jeden zweiten Tag mit zerrissenen Hajen heimkam ?
Das konnte er sich leisten, — wofür war sein Vater Flickjchneider? Oder
weil ihm kein Apfelbaum zu hoch war? Wenn der liebe Gott gewollt hätte,
daß die Buben keine Apfel strenzen, hätte er diese Früchte nach Rizinus

§mecken lassen ! Oder weil der Fritz bei allen Streichen der Bockenheimer
tibenschast alsRädelsführer fungierte? — War das einWunder bei einem
Jungen, der Gottfried von Bouillon zum Papa hatte?

„Hastde jeh endlich Zeit for mich?" fragte Frau Marie und legte dabei
eine Betonung in ihre Stimme, die keine andere Antwort als ein ebeherruch-
untertäniges „3«" duldete.

Gustav Bürstenkorn ließ sein
schneiderologisches Meisterwerk
sacht beiseite gleiten und antwor-
tete : „Was hastde dann uffdei'm
gutgepolsterte tzerzche, Marie?"

„Was ich habb? Kaa Ge-
duld mehr haww ich! Unn ich sag
derrsch zum letzte Mal, Gustav:
der Bub' muß sei' Schmiß
hawwe!"

Gustav seufzte. Er, der so
furchtlos vor Nero hingetrcten
war, er, der erst neulich kn seinen
Träumen einem Nilpferd mit
beiden Händen das bissige Maul
zugehalten hatte, bis es erstickt
umgefallc» war, er seufzte. Frei-
lich, was will auch Nero, waS
will selbst ein Nilpferd besagen,
wen» man mit ihm nicht ver-
heiratet ist?

„Ich sollden Bub'verkloppe?

2ch,sei'leiblichcrVater? Marie, . n

des ka » nstde net verlange! Ich waaß iwwerhaapts gar net,
immer an dem Bub' auszusetze hast? Er is doch >o brav — .

„So?" ereiferte sich Frau Marie und dehnte das o so hohnvoll-lang,
das kein Gummiband den Wettbewerb ausgehalten hatte. „W
Bub' kaa Deiwel is, dann muß es e Genuß jei, in der Holl zu hocke^.

Et, wer hat merr dann den Laubfrosch in mei Rosinebuchs ^

ohnmächtig bin ich worn vor Schrecke? Unn da sol, ich m vie ,

Kuß zorBelohnung gewwe? — Gustav, derBub muß je, Prkche^h

Gustav lauschte interessiert. Also einen Laubftojch hatte der FrihA" d e
Rosinenbüchse gesperrt? Wie lieb von dem Kind ! Sicher hatte er das nur
getan, damit der arme Laubfrosch nicht erstickte! Undwohinhatteerihn
denn sonst tun sollen? Etwa in eine Zigarrenschach el? Damit da- Der-
chen von dem Geruch eine Nikotinvergiftung bekam? Dazu hatte der ^r tz
ein viel zu weiches Herz! Mein Gott, der Junge hatte 'svoch'0 gut ge-
meint, und hatte es nur der Mutter zu sagen vergessen, daß in der Ro,inen
büchse ein Laubfrosch saß! Und für diesen edlen Zug sollte der gute Junge auch
noch geschlagen werden?.... Nein, nahm sich Gustav vor, von mir nicht!
„Also, Marieche," raffte er sich auf, „jeh Heer merr emal zu -
„Gar nix will ich Herrn!" trumpfte ihn seine wackere Frau ab „Ich

waaß iciionn alles, was de sage willst: daß der fznh e Enge , „ ...

- - ■ <—JrU«nnti nfr annernes dhun als wie Laubsrojch

«nev, um» vt |v»yv

Die Engel im Himmel iwwerbaapts nix annernes hu ^ „och mehr
,n Roslnebüchse sperr», ich waatzs»°nn ale^ ! Uwwer!» wa v^.ß

nämlich ich waaß: wann der Patron x„nne lerne! Ich binsambst wuo »m w>. >»»» »»> »>

dann bassiert was! Dann sollstdedeirtzraa. ema öutC/ Gustav!" floppet iwwer dci Glatz komm! Daß ich net dorch ganz Hesse-Nassau mit

wie e Kaninche, awwer reiz mich net. Ich I g m Schneidertlsch. Es derr Gäulches spiel! Dir wer» ich lerne, iwwer's Liesche redde! Wann derr
Meister Bürstenkorn stieg behutsam von> ,c,ne >was net baßt, braächstde's bloß ze sage, - nachher kannstde Schottisch danze
sollte sehr imponierend auösehen, etwa so wie em x g seinem lerne! Reiz mich net, odder da wern die Weiwer zu Hygiene! Dir hawwe

1 " " ' seinen ThronsaH hinav, g , Schmerz sei se scheints lang net mehr die NaS zu Blutworschtfillsel getrommelt? Mei

aber zu Aleitzer^ou^^ nas Roll- Liesche willstde schlecht mache, mei LieSche, wo im Hinnern mehr Verstand

hat als wie du im ganze Kopp?? Mei Liesche?? Ja, guck mich bloß aa
mit deine verbrutzelte Spiegeleier-Aage!! Geh hie unn wer' Zugnummer im
Wallenda sei'm Affedheater I Du bist ja so dumm, daß die Hinkel kaa Stick
Brot von derr nemme! Gustav, Gustav, de bist e Kamel!" (Joris, folg«)

in seinen vier Wände» ist man doch ein erlauchter Gebieter, gegen den keine
Majestätsbeleidigungen geduldet werden dürfen! Er soll dein Herr sein
steht in der Bibel, die Gott sei dank auch für die Verheirateten gilt! Und ist
es nicht des Weibes Berufung, in diesem stachligen Leben die hohe Sanftmut
zu verkörpern? Hier aber wollte ihn sein Eheweib zwingen, ein wehrloses
Kind zu verhauen? — Gustav, jetzt gilt es, dein dir durch dieBibel attestier-
tes Mannestum zu behaupten! Gustav, nur jetzt nicht schwach sein! Das
ganze männliche Geschlecht blickt niit erwartungsvollen Augen auf dich!

Und Gustav war nicht schwach. Nachdem er mehrfach an seinem Geis-
bart gezupft hatte, als quölle aus diesen Borsten der Amazonenstrom männ-
licher Energie, ging er zum Gegenangriff über: „Dem Fritz sei Erziehung
is mei Sach! Männer geheern zu Männer! Kimmer' du dich liewer um
dei Liesche! Des is gescheiter! Des Liesche entwickelt sich iwwerhaapts zu
so 'me pflänzche!"

Wehe, wenn sich in dem Mund der Gattin der Feuerzunder still gehäuft —

oder so ähnlich sagt Schiller.
Wehe dem Unseligen, der statt
auf den Beleuchtungsknopf der
elektrischen Versöhnung auf den
Alarmknopf drückt! Und dieses
Mißgeschick war Gustav passiert.
Alles hätte er sagen dürfen, an
Mariechens Liebe und Kochkunst
hätte er zweifeln dürfen, und sie
wäreviclleichtmitder ost wieder-
holten Versicherung „Gustav, de
bist e Kamel!" darüber hinweg-
gegangen, - nur das Lieschen
hätte er aus der Arena des ehe-
lichen Kampfes lassen müssen!
Denn nun hatte er der Mutter
empfindlichste Stelle getroffen.
Man sagt dem Pelikan nach, daß
er sich für seine Jungen die Brust
aufreißt, und das mag ein
grauenvoller Anblick sein, aber
das Bild ist fürwahr ein Idyll
gegen eine Mutter, die für ihr

Lieblingskind den S ch n a b e l

aufteißt! - In lhrerganzen Größe,oder richtiger gesagt,i» ihrer ganzen Breite
richtete sich Frau Marie auf. O du armer Gustav Bürstenkorn, der du ver-
gessen hattest, daß an jedem ehelichen Käfig die unsichtbare Warnungstafel
angebracht ist „Es ist verboten, die Löwin zu reizen!"

„Also des Liesche!" sagte sie und dann machte sie eine Pause, wie ein
Atleth, der auf dem Jahrmarkt den Lukas gehauen hat und sich nun tri-
umphkerend nach dem Beifall der Menge umsieht. „Also des Liesche!"

Wenn eine Frau einen Sah mit „also" beginnt, so tut sie dies nicht
nur aus angeborenerAbneigung gegen die drakonischen Gesetze der deutschen
Grammatik, sondern sie bezweckt damit auch, was die Juristen „das abge-
kürzte Verfahren" nennen. Sie setzt Alles, was diesem schlußfolgernden
„Also" vorausgehen müßte, als bekannt, als bereits gesagt, geschrieen, ge-
keift und gekiffcn voraus. Da sich aber unter meinen Lesern vermutlich auch
etliche männliche Lebewesen befinde», denen die weibliche Fähigkeit des im-
Automobiltempo-Denkcns nicht gegeben ist, die vielmehr noch auf den
Stelzen der Logik dahinstolpern, so sehe ich mich gezwungen, alle die Vor-
würfe, die die stimmbandgewaltige Frau Marie verschluckt hatte, wenigstens
andeutungsweise widcrzugeben:

„Jeh guck emal aa! Ei, du gefällst merr! Dich kammer so lasse! Dir
is wohl im Gehirn e Masch' uffgange? Dich hawwe wohl die Gäns ge-
pickt? Jeh schlägt's awwer drelzeh'! Ei, dich soll ja die Krott verpetze! 2s
aam schonn so ebbes vorkomme? Dich sollt merr ja uff'm Juxplatz auSstelle
mit 'me Brett vor',» Kopp: „Ich bin der greeßt tzansworscht von Europa!"
O du mißgllckt Ewebild Gottes, du iwwerlewensgroßer Olwel, — Gustav,
waS bistde for e Kamel! Baß uff, daß ich derr net emal mit'm Deppich-

6,-- r--- l*Amm I iÄ. _„//*

in

scheu Eindringlinge ... ..

Adlerblick erblassen zu lassen, aber zu Meister Bürsteittorns ^lyinr,,
es verraten, es sah etwa so aus, als ob ein kurzsichtiger Storch das Roll-
schuhlaufen probiere.

Oho!, ging es durch sein Gehirn, seine Frau drohte ihm? Das war ja
etwas ganz Neues! Ha, bei den Gebeinen Alexanders des Großen, das durste
er nicht eknreißen lassen! Wenn man auch nur ein ehrsamerFlickschneider ist,

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Bub' muss einmal seine Prügel haben!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4121, S. 343
 
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