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rDER BUB7 MUSS EINMAL SEINE PRÜGEL HABEN!'

Eine vergnügliche Gefdiidite von Karl Ettlinger

(Schneidermeister Bürsten körn hat, um Fritz, seinen Liebling,
gegen die Angriffe der Mutter zu verteidigen, seinerseits Lieschen,
denLtebling der Frau Marie Bürstenkorn, angegriffen. Die für
den Meister ebenso zerschmetternde wie für den Leser erheiternde
Gardinenpredigt machte den Schluß von Forts. 2.)

(Forts. 3) Wie gesagt, dies ist nur eine kleine Anthologie auS den .Ge-
sammelten Lobgesängen der Frau Marie Bürstenkorn auf ihren Gatten',
und wir wollen ihr dankbar sein, daß sie selbst diese besckeldene AuSwahl
ln der RotationSmaschine ihreS BusenS zurückbehlelt und nur die paar
Worte hinausdruckte: .Also deS LieSche!'

Wäre Gustav ein Diplomat gewesen, so hätte er nun daS Gesprächs-
chema gewechselt, er hätte von der Schönheit deS Wetters zu plaudern be-
gonnen oder mit sanften Worten darauf hingewiesen, daß er sich setzt wieder
der Nebenbeschäftigung deS HosenflickcnS hinzugebcn gedenke, sintemalen
man diese und ähnliche Arbeiten seit der Abschaffung der Heinzelmännchen
wieder höchstpersönlich verrichten
müsse. Denn von allen Aus-
reden, die dem Manne zur Ver-
fügung stehen, ist Arbeit die
beste und seltsamerweise meisl-
geglaubte. Oder auch er hätte
alles gegen. daS Lieschen Ge-
sagte als tapferer Eheherr reu-
mütig zurücknehmen können und
solchermaßen beruhigendes Ol
auf die Wellenlinien seiner Gat-
tin gieße» können.

Aber Gustav war kein Dip-
lomat, sondern ein sonderbarer
Schwärmer, der noch im fünf-
undzwanzigsten Ehejahr von
dem unvorsichtigsten aller Ehr-
geize besessen war: recht zu be-
halten. Kurz und bündig sprach
er: .Unn so ts es aach!"

Frau Marie warpaff. Wäre
sie über den Opernplah gegan-
gen und der metallnc Pegasus,
der den Giebel deS Frankfurter
Opernhauses ziert, hätte sich plötzlich mit lautem Kikeriki in die Lüste er-
hoben, wäre dreimal um daS Kaiser Wilhelmdenkmal geflogen, um sich
dann auf das Dach einer Elektrischen niederzulaffen und nach Sachsen-
hausen zu fahren, — sie hätte nicht verblüffter sein können!

Nur einen Augenblick freilick wäbrte dieser Zustand der Sprachlosigkeit,
nicht einmal so lange, wie ein Hornist braucht, zum Sturmangriff zu blasen.
Kaum so lange, wie ein attackierender Büffel braucht, den hörnerbewehrten
Kopf zum furchtbaren Stoß zu senken. ES war, alS hätte derDonner zum Blitz
gesagt: .DHu du erst emal blitze, awwer schnell, damit ich loSlege kann!'

Aber vorerst kam Frau Mariechen nock nicht zum Donnern, zunächst
erleichterte noch Gustav sein Gewissen: »WaS merr am LieSche net baßt?
Waaßt de des merklich net? Muß ich derr des erst unner dei Stumbnäst
reiwe? - Ei, die Geschicht mit dem Philipp baßt merr net! Ganz un gar
net baffe dhut merr deS! Odder denktstde, ich bin blind? Maanstde, met
Brill unn mci Gehirn sin aagclaufc? Lang genuch guck ich deS setz schon»
zu, die Bussiererei unn deS Gedhu! Jetz werd emal e Machtwort gesproche!
Mei Dochter iS e aastännig Mädche!'

.Stimmt!' warf Marte ein. .Dei Dochter iS e aastännig Mädche,
unn du bist e Kamel!'

.Unn wann ich e ganz Karawan' bin, deshalb heert die Geschicht doch
uff! Ich sag derrsch: setz'm LieSche de Kopp zerecht odder ich garandter for
nijr! Wammer der Kerl noch e aanzig Mal inS Haus kimmt, so wahr ich
Gustav Berschtekorn haaß —

— .unn e Kamel bin — '

— .unn ka a Kamel bin, sonnern e Frankforter Familsevatter, der wo
sei Ktnner net tnS Uglick sterze läßt, ick dapp den Pbilipp beim Scklasittche
unn schmeiß'» der Trepp erunner, daß r denkt, er iS e Luftz'chiffer unn der
Fallscherm iS net uffgange I Mack! mich net gewaltdbättg: in jedem Mensch
steckt e Bestie!'

.E Bestie odder e Kamel!' echote seine bessere Hälfte.

Gustav hatte ln der Erregung daS hölzerne Metermaß vomSchnetder-
tisch genommen und fuchtelte damit wild in der Luft herum. Die schreck-
lichsten Terzen und Quarten hieb er der harmlosen Atmosphäre, biS Marie
mit der ihr eigenen selbstsicheren Ruhe ihm die hundert Zentimeter Holz

auS der Hand nahm und sie mit den Worten an ihren Platz zurücklegtc:
.DeS iS kaa Kinnerspielzeug I Du könntft derr weh dhun derrmit! Unn
-willstde merr setz vielleicht sage, was de gege de Philipp h a st? Odder muß
merr derr die Worte aanzeln mit'm Flaschezug aus'm Schnawwel winne?
Der Philipp iS e ornlicher junger Mensch, er säuft net, er spielt net, er
tteibt sich net nachts crum, er schnüffelt net hinner jeder Scherz her, er hat
sei gut Stellung als Kanzleischreiwcr driwwe beim Justizrat Fuchs -'

Meister Bürstenkorn stieß ein gellendes Hohngemecker aus.

.Kanzleischreiwerl! Mel Dochter unn e Kanzleischreiwcr!!'

.No, soll vielleicht der Kaiser von China komme unn sich de Hals ver-
renke, ob vielleicht der Nadelzopper Berschtekorn so huldvoll wär', em sei
Dochter ze gewwe??'

Gustav gab ihr gar keine Antwort. Aufgeregt hüpfte er im Zimmer
umher, nun wirklich ein vollendeter Geisbock, und meckerte ein übers andere
Mal: .E Kanzleischreiwcr!! E Dintefaß-Atleth !! E Klex-Mecher!! M c i

DochterunneKanzlelschreiwer!!
ERadiergumml'Schentelmän 11
^ E Löschblatt-Gehilfe I I Fraa, de

bist meschucke!"

Er haßte Alles, was auch
nur im entferntesten mit der
Juristerei zusammenhing. Juri-
sten, das waren in seinen bie-
deren Augen ruchlose Bösewich-
ker, die davon lebten, die Leute
gegeneinander aufzuhetzen, Ver-
brecher der Strafe zu entziehen
und harmlose Menschen ins Kitt-
chen zu bringen. Juristen, das
waren Individuen, die, wie Dä-
mon den Dolch, allweil einen
frischgeschliffenen Paragraphen
im Gewände hatten, mit dem sie
gegen gute Bezahlung den Feind
ihres Klienten abmurksten. Ei,
er hatte auch einmal einen Pro-
zeß gehabt — wegen eines An-
zugS, der angeblich nicht sitzen
sollte — und er hatte ihn ver-
loren I Verloren, wider alles Erwarten, wider sein bestes RechtSgcfühl
glatt verloren I

Oh, daß er damals den Gegner hätte vor ein Gottesgericht fordern
dürfen! Etwa zum Zweikampf mit langen Schwertern und posaunen-
trara I Der liebe Gott hätte ihn sicher den Gegner vermöbeln lassen, aber
gründlich, biS er nicht mehr papp sagen konnte, und die ganze Ritterschaft
von Frankfurt hätte gesungen »Heil, edler Bürstenkorn!' Dann hätte es
sich herausgestellt, wer im Recht war! Aber natürlich, die Juristen, die
sind ja gescheiter wie der liebe Gott! Die sind so klug, die hätten den
lieben Gott nach der Sintflut wegen Sachbeschädigung verurteilt! Die
ließen natürlich auch ihn seinen Anzugprozcß verlieren. Und diktierten
ihm noch obendrein eine Ordnungsstrafe, weil er nach der Urteilsverkündi-
gung den Richtern zugerufen hatte: .Unn Euch hat EuerVatter studier»
lasse? Adschee, Gerechtigkeit!'

Nein, ln seine Familie durfte ihm Keiner hinein, der nach Juristerei
roch. Am allerwenigsten ein Schreiber. Bürokratismus, — puh, das roch
noch scheußlicher als Juristerei! Er hatte sich immer einen Schwiegersohn
ersehnt, der bereitwillig, ja begeistert an den Ausflügen seiner Fantasie
teilnehmen würde, ja, ihn in seinen Träumen noch überbieten würde. Er
hatte eS sich in seiner bescheidenen Seele schon so schön ausgemait: Sonn-
tags, wenn cs hinauSging nach dem Forsthaus oder nach Bornheim,
würden die beiden Frauen vorauSwandelnd ihre Haushaltsorgen durch-
hecheln, indes er und sein Schwiegersohn hlnterdreinschlenvernd die wil»
Vesten Abenteuer zu Wasser und zu Lande auSfochten! Ha, zu zweit würde
die Sache noch ganz anders klappen! Noch war er ein Karl May ohne
Winnetou, ein Carlos ohne posa, ein David ohne Jonathan! Und be-
lesen sollte sein Schwiegersohn sein, viel belesener als er selbst, die merk-
würdigsten Bücher mußte er kennen, — ja, vor solch einem Schwiegersohn
hätte er Respekt gehabt, den hätte er auf Händen getragen I Und nun
sollte es ein Kanzleischreiber sein, einer, der statt zu fragen .wo haust hier
der nächste Drachen?' höchstens nach verlegten Aktenbündeln forschte, und
dessen Horizont nicht über Müller contra Meier wegen rückständiger fleben
Mark fünfzig oder Lehmann contra Schmidt wegen eines nachgerufenen
Dreckspatz hinausreichte? (Joris. f-i§)

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Bub' muss einmal seine Prügel haben!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4122, S. 359
 
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