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,DER BUB' MUSS EINMAL SEINE PRÜGEL HABEN!"

Eine vergnügliche Gefdiicfrte von Karl Ettlinger

(Forts. 4)
net!" tobte er.

(Schneidermeister Bürstenkorn wünscht sich einen andern
Schwiegersohn als den von seiner grau Märke begünstig-
ten Kanzleischreiber Philipp. Der Zwist der Ehegatten, der
am Sohne Fritz entbrannte, wächst dadurch weiter.)

Unn wann 'r Euch uff de Kgpp stellt, mein Sege krieht se

„Se werd's verschmerze!" gab Marie trocken zurück. .Heirat' se Dich
odder de Philipp?"

Ttun war die Reiche des Sprachlosseins an Gustav. Wie war das?
Auf seinen Segen wurde höfiichst dankend verzichtet? Wo es doch heisst,
des VaterS Segen baue den Kindern Häuser? Und wenn auch diese
Häuser zuweilen mit gewaltigen Hypotheken belastet sind oder gar beim
ersten Sturmwind einfallen, Haus ist Haus und Segen ist Segen! War
er eine Null im eigenen Heim? Hatte sich die ganze Familie wider ihn
verschworen? Das waren ja ödipushaste Zustände! Entwickelte sich seine
quetschenkuchenkundige Marie
zur Klytämnestra? Oho, w!»
sind hier in Bockenheim und
nicht in Mykenä!

Die Erinnerung an das
klassische Altertum gab Gustav
seine Haltung zurück. Würde-
voll richtete er sich auf und sei-
nem Munde wären die erhaben-
sten Worte im Stile des antiken
Tragödienchores entflossen,wäre
nicht in diesem Augenblick .hur-
tig mit Donnergepolter" ein
Stein durch die klirrenden Fen-
sterscheiben und dicht an Gustavs
Nase vorbeigeflogen.

.Wart' nor, DeiwelSbub!"
schrie Frau Marie und stürzte
wie eine Tigerin anS Fenster.

Ihre Ahnung hatte sie nicht
getäuscht t drunten, auf der
Strasse, stand der Fritz und
betrachtete schmunzelnd seinen
Spatzenschlesser, jenes aus einem

gegabelten Ästchen und einem Gummiband sinnreich erfundene Instrument-
mit dem die, wie eS in Bücherverzeichnissen heisst, .Heranwachsende Jugend"
Auge und Hand ln so erfolgreicher Weise übt. Nicht immer zur Freude der
älteren Generation.

.Da owwe hat e Spatz gesesse!" sagte der Fritz. .Awwer ich glaab,
ich habb'n verfehlt!"

.Unn da Hunne werd'S gleich e paar Ohrfeige "tzewwe!" drohte die
aufgeregte Mutter. .Unn ich glaab, die wern net verfehlt!"

Da sich der Fritz von dieser Ankündigung keinen Genuss versprach, ver-
schwand er mit der Schnelligkeit des marathoniscken Läufers um die nächste
Strassenecke. Es ist nicht immer ratsam, flitz der Mutterliebe auszusetzen.

Frau Marie aber wandte sich wuffltznaubend an ibren fassungslosen
Gatten und schmetterte ihn an: .Hastde's gesehn? Hastde's gebeert? Des
war dei Engel! Del Goldschatz! Awwer der Bub muss sei schmiss
hawwe!! Schmiss', dass die Lappe fliebe! Verstanne?"

Und laut krackte die Türe hinter ihr ins Sckloß.

Kopfschüttelnd stieg Gustav auf seinen Sckneidertisck zurück, jawohl,
er hatte alles gehört und gesehen, aber er begriff die Empörung seiner
Marie nicht recht. Hatte daS Fritzchen, der gute, harmlose sjunge, nicht
klar und deutlich erklärt, dass er nur einen Sperling verfehlt batte, dass er
nichts Bases beabsichtigt hatte? Wie man nur ein kindliches Missgeichick
so qufblähen mochte!

Vielleicht hätte der allzugutmütige Gustav seinen leibeserben dock ein
bisschen gestrenger beurteilt, wäre ihm das Gespräch bekannt gewesen, das
Fritzchen am selbigen Morgen hinter der Haustüre mit seinem besten Freund,
dem. Schustermax geführt hatte und das alsd gelautet hatte:

.Heut schmeiss ich mei'm Vatter sei Fenster ei'!'

.Jawohl, gepiffe! Des transtde dich net!"

.Ich mich net traue? phh! Mei Vatter, der dbut merr nix!

.DeS glaabstde selwer net! Der haackt derr die Jack voll!

.Du werft schonn gtickel"

.Was wer' ich gucke?"

,Ei, wie ich 'm die Fenster eischmeiss)'

.Och du " I

„Wolle merr wette?'

.Um was dann?"

.Um finf Glunscher!"

.Des iS zu wenig! Um neun!"

.Also um sechs! Awwer de derfst nix verrate!"

„Kaa Gilb! Uff Ehrnwort!"

„Unn wann'S gut geht, schmeiffe merr aach dei'm Vatter sei" ei"!"

Wie gesagt, vielleicht hätte Gustav bei Kenntnis dieses Mannes-
gesprächs seinen Fritz weniger liebevoll verteidigt. Vielleicht, - denn auch
dann nach hätte er in seiner Schwäche für den einzigen Sohn mach mil-
dernden Umständen gesucht. Aber er wußte ja nichts von dem finsteren
plan, und deshalb lächelte er in mildem Selbstgespräch, während die
fleißige Hand wiederum Nadelstich neben Nadelstich setzte: „Sicher dhut'S
em selwer leid, dass 'r sei Ziel verfehlt hat! Gott, wie leicht kann des

basflern I Wann awwer damals
der David de Goliath verfehlt
Hält, ui jeh, des hätt was gewwe!
Schee hätte se gelacht, die Phi-
lister! „'s Davidche kann nix!"
hätte se gekrische. „Davidche,
laß' dich begrawe!"

Und schon stand er in seinem
Träumen mitten auf dem bib-
lischen Schlachtfeld und blies
mit einer Posaune in alle vier
Windrichtungen: ,,2ch dhu dem
Bub nijt! Ich net!"

Gustav hatte eine schlimme
Nacht hinter sich. Schon das
Abendessen war höchst unbehag-
lich verlaufen, just so, als ob es
sich Frau Marie vorgenommen
gehabt hätte, diese Heringe mlt
Ouellkartoffeln zur Henkers-
mahlzeit seiner männlichen Au-
torität zu machen. Schon der
, Ton, in dem sie ihn zu Tisch rief,

war kaum in Einklang zu bringen mit dem Gelübde deS Gehorsams, daS
den humoristischen Höhepunkt jeder Trauung bildet.

Wie liebevoll konnte Frau Marie ihren Ehgemahl von der Arbeit zur
Fütterung locken, wenn das Barometer ihrer Laune auf .zärtlich'' stand!
.El, Gustavche, mei lieb Gustavche, ei komm doch, 'S Esse ist fertich! Unn
so was Gudes gebbts!' konnte sie dann flöten, und in ihrer Stimme
zwisscherten Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vögelschar.
.Ei so leg doch die Nadel eweck unn mach Feierawend for heut! Merklich,
de iwwerarweltst dich noch, mei Butzelche!'

So konnte Frau Marie die schlichte Tatsache, dass daS Essen auf dem
Tisch stand, mit Rosenguirlanden umkränzen, - diesmal aber hatte sie nur
barsch ihren Kopf durch die Türspalte gesteckt und gerufen : „Es is Zeit for
die Kamele, zor Tränk ze gehn!'

Da war dem guten Gustav mit einem Mal der ganze, so ehrlich erar-
beitete Appetit vergangen. Und er dachte sich : „Jeh begreif' ich die Hunger-
kinstler, die hawwe wahrscheinlich immer Krach mit ihrer Fraa!"

Und als er sich dann zu Tisch setzte, da kam er sich vor, alS säße er oben
auf dem Gutenbergdenkmal zwischen den drei ehernen Begründern der
Buchdruckerkunst, denn weder die gereizte Löwin Marie, noch das Löwen-
junge Lieschen gaben ein Wort von sich. Sie überhörten sein .Mahlzeit!",
sie überhörten jeden Versuch, ein Gespräch anzuknüpfen, und det bekümmerte
Gustav dachte sich: inuft es Dem £ot ze Wut gewese sei, wie r bei Der

Mucht aus ^oDom unn Gomorra sei Araa gefragt hat: „BlstDe mieD,
^chnuckelche, odder kannstde noch?", unn blehlich gemerkt hat, se is e
Valzsaul I

Cer Fritz war mit einiger Verspätung zum Nachtessen erschienen, wie
immer, wenn sein Kerbholz um eine Kerbe reicher geworden war. Sein
- nstinkt lehrte ihn das alte Diplomatenrezept: Zeit gewonnen, alles ge-
wonnen.

.^orstchtig, sich ausser Reichweite der mütterlichen Arme haltend, hatte
er tick auf seinen Stuhl geschlängelt, und dann, nachdem er mit Verwutide-
rung die Grabesstille zur Kenntnis genommen hatte, schmatzend frohlockt:
.Ui, Hering mit Ouellkartoffelcher!' (Sor,f. fo,0t)

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Bub' muss einmal seine Prügel haben!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4123, S. 375
 
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