Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
„DER BUB' MUSS EINMAL SEINE PRÜGEL HABEN!'

Eine vergnügliche Gelüiichte von Karl Ettlinger

(Dir stürmischen Wogen einer häuslichen Unlcrhalkung setz-
ien sich im Traum deS Schneidermeisters Bürstenkorn in
phaniafttschen Erhöhungen fort.)

(Forts. 7) Und dann wackle Gustav auf, aber nur, um zu noch gräßlicheren
Träumen wieder einzuduseln. O Gott Morpbeus, wie konntest du nur einem
so braven Menschen so absckeulicke Träume schicken, sicher hattest du wieder
einmal die Adressen verwechselt, — ja, das kommt davon, wenn man die
Traumpakete immer erst abends ausgkbt.

Wie zerschlagen fühlte sich Gustav Bürstenkorn, als er aufstand. Zärt-
lich wandte er, während er in die Hose schlüpfte, sich an seine Gattin: .Hast
de gut geschlafe, Marieche?" und erhielt die brummige Antwort: .Frag
net so dumm!!'

Und da wußte er: der heutige Tag wird nicht besser werden als der ge-
strige, im Gegenteil, gestern waren es nur ein paar Raketen des Zornes,
heute aber geht das Feuerwerk erst richtig los! Ach je, wird das ein Ge-
bumber werden, und wenn man denkt, jetzt hat sie all ihr Pulver verschossen,
jawohl, prost Mahlzeit, dann
kommen erst die großen Feuer-
räder, und was Vas Schlimmste
ist: das Feuerwerk findet bei je-
der Witterung statt!

Wiederum glich derMorgen-
kaffee einer Henkersmahlzeit.

Wiederum sprachen weder Ma-
rie noch Lieschen ein Wort mit
ihm, dem männlichen Oberhaupt
der Familie, und er dachte be-
kümmert, inve's seine zitternden
Hände Brötchen umÄrötchen in
den Kaffee tunkten und unge-
wöhnlich viele Flecke auf dem
Tischtuch verursachten: .Soll
deS jch immer so weitergeh'n?

Werd se nie mehr ihr'n Schnaw-
wel uffmache? Wann se doch
bloß wack reddc wollt > Unn wär's
aach nor: Gustav, waS bift de for
r Kamel!"

Als Meister Bürstenkorn
»ach seiner Werkstatt hinüber-

gl"g, schlich ihm der Fritz entgegen. Fritzchen las in des BaterS Augen die
Frage .Was hast dann du so frieh in der Werkstatt ze schaffe?' und er kam
mit der ganzen Schlauheit seiner LauSbubenjabre dieser Frage zuvor:
«Datier, ich habb e biffi in dem Buch gelese, des wo uff deim Gestell leiht!
Don deAmazone! Ui, wardrrr deS eGezäppelkAwwer der Herkules is mit
»e fertich worn! Datier, jetz waaß ich's: merr muß die Wetwer bekämpfe!'

Und da blickte Gustav ibn mit seinen alten Kinderaugen gar sonderbar
an, schüttelte langsam sein glatzenbrdecktes Haupr und sprach: .Frttzche, ich
glaab, merr lasse s liewrr bleiwe!" . ..

.Du, Datier?'

.Za, was iS dann?'

.Ach, Datier, ich habb so Koppweh!'

»Ich aach, Frihche >'

.Awwer net so^ als wie ich! Da hinne, da stlckt's
.Des vergeht jchonn Widder, mei Bub!'

alS so!'

.Ach naa, — Datier, schreib merr doch'n Entschuldigungszettel: ich kann
d'ul „et in die Schul'!'

Ä Ader noch ehe der Dater dieser Bitte willfahren konnte, ertönte die
stimme der Mutter: .Da guck derr emal den Spazterstecke aa, ich wern
gleich Verrmit dei Koppweh austretwe, du Faulpelz, du ntpnutzigerl
De Haft wohl Widder Vei Uffgawe net gemocht? Marsch, in die Schul',
oddcr ich wer' e bisst uff beim Hinnern DoktercheS spiele!'

Da waren auf einmal Frihchens Kopfschmerzen verschwunden. Auch
ihm war plötzlich die Lust vergangen, die Amazonen zu bekämpfen. No ja,
wami se mit'm Gpazierstecke komme. . . .

?zrau Marte wandte sich an ihren Gatten.' ..Kriebt er se beut, odver
'sieh, tr se net??' Sie begleitete diese Worte mit einem Schwenken der
Hand, daS auf einen großen Vorrat mütterlicher Ohrfeigen schließen ließ.

Und willenlos hauchte Gustav : .Derloß dich druff, er kriebt sei' Aber
kr glaubte eS selbst nicht.

Fritz war dem mütterlichen Stecken nach dem Wohnzimmer entwichen.
Dort war gerade seine Schwester, das Lieschen, mit dem Abräumen des
baffeettschS beschäftigt. Sie lächelte dabei vor sich hin, denn just hatte drau-

ßen auf der Straße jemand die ersten Takte des Earmenmarsches gepfiffen,
und dieser Jemand war ihr Philipp, der allmorgendlich auf dem Weg inb
Büro dem Lieschen mit diesem pfiff kund und zu wissen tat, daß er noch
lebte, an sie dachte, und daß eS ihm nicht unangenehm wäre, wenn Vas
Lieschen durch Erscheinen am Fenster sich persönlich von dieser welterschüt-
ternden Tatsache überzeuge.

Natürlich kannte nicht nur Lieschen diesen pfiff und seine Bedeutung,
auch ihre Eltern hatten längst erkannt, weshalb gerade diese Stelle aus
der Opernliteratur Lieschens Lieblingskomposition war, und auch der Fritz
wußte Bescheid. Er hatte sich daher schon öfters den Genuß bereitet, vor dem
Hause den Earmenmarsch zu pfeifen und sodann seiner am Fenster erschei-
nenden Schwester die Zunge herauszuslrccken, soweit sie nur aus dem Hals
ging. Heute begnügte er sich damit, zu sagen: .Der werd sich noch die
Echnut verstauche, mit seiner dumme peiferei!'

Er hatte erwartet, daß die Liese ihm nun eine gereizte Antwort geben
würde, und daS wäre ihm eine erwünschte Gelegenheit gewesen, dieser

„Schneegans" durch eine Fülle
frecher Bemerkungen jene ab-
grundtiefe Derachtung zu bezeu-
gen, deren sich das weibliche Ge-
schlecht bei allen siebenjährigen
Jünglingen erfreut. Wie alle
seine Altersgenossen war auch
Fritz felsenfest davon überzeugt,
daß die jungen Mädercher unsag-
bar inferiore Geschöpfe sind, de-
nen der liebe Gott die Zöpfe nur
deshalb wachsen läßt, damit man
sie kraft seiner männlichen Über-
legenheit .draa roppe" kann.
Als Zielscheibe für treffsichere
Schneeballen erfüllt die weib-
liche Zugend immerhin einen ge-
wissen Daseinszweck, aber sonst
ist sic wirklich höchst überflüssig
und die Welt wäre entschieden
vollkommener, wenn die Män-
ner noch immer eine Rippe mehr
hätten. So umschreibt sich ein
siebenjähriges Bubenhirn die
Schlllerschen Worte .Ehret dieFrauen" und fühlt sich äußerst wohl dabei,
- biö dann daS andereSchillerwort-.Errötend folgt er ihren Spuren' in
Wirksamkeit tritt und die göttliche Nemesis waltet.

Merkwürdigerweise aber lächelte Lieschen nur zu Fritzens respektloser
Bemerkung über die gepfiffene Stierkämpferlegitimation ihres HcrzenS-
schatzeS. Und wenn die Liese lächelte, ihr sonnigeS Frankfortermäochelächeln,
war sie noch hübscher alS sonst und man konnte es Papa Bürstenkorn bei-
nahe verzeihen, daß er in seinen Träumen die gewaltigsten Ritter und
Recken blutige Kämpfe um seine blonde Tochter auSfechten und die Drachen
gleich rudelweise erlegen sah.

.Du, Frihibub', sagte daS Lieschen, und aus dieser zärtlichen Anrede
schloß der Fritz sogleich: .Aha, se will cbbes von derr! Fritz, sei net zu
billig I"

.Laß mich ungesthorn, LieSche, ich babb^aaZelt! Ich muß in die Schul'!
Heut hawwc merr die ehrschl Stund beim SchlumpeS, unn de waaßt doch:
Wann die Glock drrivertel schlägt,

Kimmt der SchlumpeS aagefegt,

Mit'm lange Besestil,

Haacht die Kinner gar ze viel.

Gar ze viel is ugesund,

Der SchlumpeS iS e Schweinehund!'

.Ich waaß, Fritzche! Nor'nAagrblick bloß! Sagemal, Frihi, de kennst
doch de Philipp?'

Natürlich kannte ihn der Fritz, aber er hielt es für geschäftstüchtiger, sich
zunächst unwissend zu stellen. .Philipp? WaS for e Philipp? Merr hawwe
zwaa Philipper in der Klaff'!'

.No, de Philipp vom Zustizrat Fuchs."

.So? Den Hansworscht maanst de?'

LieSchen schien diese neue Herausforderung abermals zu überhören. »Za,
Fritz, den maan Ich. Wie gefällt derr der äägentlich?'

.Hm," maulte der Fritz, .ich habb merr'» noch net so genau aageguckl."

.Awwer ich habb merr'n sehr genau aageguckt. Unn ich find, eS iS e
sehr netter Menschi' (Jons. f°tg.)

V3
Image description

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Bub' muss einmal seine Prügel haben!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4126, S. 423
 
Annotationen