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„DER BUB7 MUSS EINMAL SEINE PRÜGEL HABEN!"

Eine vergnügliche Gelchichte von Karl Ettlinger

(Der Lausbub Fritz hat seine Prügel immer noch nicht be-
kommen, obwohl die energische Mutter dem weniger energi-
schen Hausherrn und Erzieber bereits mehrfach ein Ultimatum
in dieser Hinsicht gestellt hat. 2m Gegenteil bat FritzenS
Stellung im Kreis der Familie wieder einmal Aussicht, sich
zu verbessern, da Lieschen, seine Schwester, ihn gefragt hat,
wie ihm Philipp, der beim Vater missbeliebte Schwiegersohn
in 5pe, gefalle.)

(Forts. 8) ,2ch kann's net wisse, ich habb noch net mit'm gcrunge! Unn ge-
boxt aach noch net!'

.Unn waS dhätsde dann derrzu sage, wann des dei Schwager wern
dhät?'

Fritz zuckte die Achseln. „Wann'r so meschugge is unn nemmt dich, —
mir kann'S worstbt sei'!'

.Awwcr'm Vatter iS es net egal, er will net. Ach, Fritzi, gestern hal'S
ja so en Krach gewwe drssent-
wege!' . . .

.Also deshalb habbt r all
nix gcfressc bei Tisch? — Ei no,
dann guck dich halt nach'm an-
dern um! De werft schonn aan
sinne! Unn iS es kaa grader,
dann is cs c schepper!"

.Ich will awwer kaan an-
dern net! Wann ich doch bloß
wisst, was der Datier Widdern
Philipp hat!'

Sic war ganz nahe an den
Fritz hrrangekommen, sie fasste
schwesterlich setncHand undguckte
ihm so liebreich - betrübt in die
LauSbubcnaugen, daß sogar der
Fritz etneAnwandlung von Rüh-
rung verspürte und sich dachte:

.'S war schonn gut, wann se'n
frag! Sonst flennt sc noch! Mä-
derchcr flenne doch iwwer irden
Dreck!"

ErmctnIealso:„Waswlllstdc

äägcntlich von merr? Was soll ich dann ?MriEtfluß uffVrDatter is net so
gross, wie'r von rcchtSwege sei' sollt!'

.Du sollst halt heut middag beim Esse die Redd uff'n Philipp bringe,

- so ganz wie zufälltch. Unn lowc musste 'n, waaßtde, de muht sage, de
dhatst dick so gut mit'm verstehn, unn dass de gebeert hättst, er Dhät näch-
stens Bürovorsteher wern, unn warum merr'n dann gar nie zum Esse ei-
lade?'

Der Fritz schmunzelte. Sein Lächeln war allerdings ganz anders ge-
artet wie das seiner blonden Schwester. Wenn die Liese lächelte, so batte
man Lust, ibr einen stürmischen Kuss auf die sungfrtschen Lippen zu geben,

- wenn der Fritz lächelte, hatte man Lust, ibm ganz was anderes zu ge-
ben. .Guck emal," dachte er, »die gebt uffs Ganze! Dumm is die gar net!
Ich soll merr dieSchnut verbrenne, unn sie mecht deprosit!" Aber er war
nicht abgeneigt, auf den Dorschlag etnzugeben, er war ja auch dem Lieschen
zu Dank verpflichtet, denn das Lieschen hatte bei mancher Familiengerichts-
sltzung seine Partei ergriffen, ja sogar mitunter die Schuld auf sich genom-
men, und so beschloss der Fritz : »Ich wer's dhun! Bloss ebrübl muss die ge-
schäftliche Seit von Vere Aagelegehrtt in Drnung gebracht wern!" und er
sprach:

.Werd gemacht, Liest I Awwer — umsonst is der Dod!'

Lieschen verstand. Sie kramte aus ibrer Schürzentasche ein Zebnpfen-
ntgstück hervor und drückte es ihrem Brüderchen in die bingebaltenr Hand.
Der betrachtete die Münze mit der kaltblütigen Rübe des gewiegten Han-
delsmannes, sah zu dem Lieschen empor und forderte strena sachlich : »Noch
stmf!"

Und diese Erpressung gelang. .Der Dag fängt gut aa!" konstatierte er.
Er besaß jetzt fünfunddreisslg Pfennig, ebrltch mit Frechheit erworben, und
mit einem solchen Nibelungenhort ist rin Schulbub reicher als Rothschild,
Krösus, Danderbilt und Stlnnes zusammen. Man zeige mir den Lausbu-
ben, der nicht mit fünfunddreisslg Pfennig im Hosensack die Welt erobert I

Während im Wohnzimmer diese bedeutungsvolle . Transaktion' ab-
geschlossen wurde, saß Meister Binvegerst stöhnend aus seinem Schnetder-
lisch. Eine schreckliche Halluzination folterte ihn: Immer und immer wieder

ward ihm die Hose, die er in der Kur hatte, zum skraffgespannten Hosen-
boden seines Stammhalters, er sah das Metermaß in trommclwirbclhasten
Abständen auf diesen Hosenboden niedcrsausen, er hörte im Geiste das mör-
derische Gebrüll Fritzchcns, und er schluchzte: .Ich bring's net iwwers Herz
... es geht net ... Marie, hättsde halt 'n Athlet geheierat', dem dhät des
vielleicht noch Spaß mache! ...'

Und doch hatte er sein Wort gegeben, heute den Fritz mit diesem Er-
ziehungsmittel bekanntzumachen, sein grosses Ehrenwort, — o Gott, in
welche tragischen Konflikte kann der Mensch geraten! Wie harmlos war doch
der Auftrag jenes dänischen Spukgeistes: „Hamlet, räch' meinen schnöden,
unerhörten Mord!", verglichen mit dem Auftrag der quiesschlebendigen Ma-
rie: »Gustav, vcrhaach deinen schnöden, unerhörten Lausbub!"

Gustav stichelte geistesabwesend an seinem tzosenentwurf herum, und
jeder Nadelstich ging ihm selbst mitten durch daS butterweiche Kinderherz.
Eine Erlösung war eS ihm, als cs im Laufe des Vormittags draußen klin-
gelte und HerrKonrad Munkels-
berg, der Naturgeschichtslehrer
seines Sohnes, in der Werkstatt
erschien, um seinen ausgcbeffer-
ten Anzug abzuholen.

Gustav schätzte die Schulmei-
ster kaum höher ein als die s)u»
rislen, und wenn er diese „Pa-
ragraphenhengste" benamste, so
verlieh erjencn den hübschen Eh-
rentitel „Steißtrommler". Er
war selbst ein höchst mittelmäßi-
ger Schüler gewesen, dessen Ge-
danken überall, nur nicht beim
Thema gewesen waren, und da-
her genügte es seinem väterlichen
Ehrgeiz vollauf, wenn sich Fritz-
chens Zeugnisse in den Nicderun
gen „noch eben genügend" oder
„könnte bei grösserem Fleiße be-
deutend mehr leisten" bewegten.
Und diese Nachsicht wollen wir
dem guten Binvegerst nicht zu
dick ankrciden, denn in der Tat
ist es zweifelhaft, ob Siegfried im Schönschreiben sehr gut bekommen hätte,
und ich persönlich bin überzeugt, dass Friedrich der Grosse mehrfach sitzcn-
geblieben wäre.

Der Munkelsberg aber ging dem guten Meister Bürslenkorn ganz be-
sonders auf die Nerven. Denn dieserpugenderzteher besaß eine Eigenschaft,
die wir Frankfurter nicht „riechen" können, die auf uns wirkt wie das rote
Tuch auf das bekannte unfrankfurtlsche Tier: er drückte sich furchtbar „vor-
nehm" aus. Bildung ist gewiß eine schöne Sache, aber man soll sie nicht
übertreiben! „Redd wie derr der Schnawwel gewachscisl", diese gute Lehre
sollte auf jeder nach Frankfurt am Main lautenden Eisenbahnfahrkarte
stehen, dann täten sich die fremden In der alten fteien Reichsstadt bedeu-
tend leichter. Nor kaa Sprüch kloppe, nor kaa Klugschwäherei, — deS könne
sc in Frankfort net vertrage, da kriehe se Bauchweh derrvoo ! Gegen dieses
Gebot aber verstieß der Munkelsberg beinahe mit jedem Satz, der seinem
naturwissenschastsich geschulten Munde entquoll, seine Sprechweise stelzte
wie ein größenwahnsinniger Gockel, er blähte sich in ausgefallenen, tönen-
den Redewendungen, wollte imponieren und erzielte damit doch nur den
einen Erfolg: dass eS in ganz Frankfurt keinen Lehrer gab, den die Buben
so oft und mit solch halloh-erwcckcndrm Geschick nachäfsten wie ihn.

.Gott zum Gruße, lieber Meusker l" sagte der Munkelsberg bei seinem
Eintritt in die Werkstatt. „Ich göhe wohl nicht föhl in der Annahme, daß
Sü bercutS die erbötenen Reparaturen an meunen BekleudungSgegenstän-
den vorgenommen haben?"

»O du gotlgesegenl' Rtndvtrch!" dachte Gustav und antwortete: .Sie
flöhen nicht föhl! Die Hos is sertich, die Jack is frrtich, unn iwwerhaapts
Ihne Ihr ganz Lumpezcig iS sertich I"

.Das gereucht mir zur Freude > Sü gestatten, dass ich den Rock eunmal pro.
bierenderwcise anlege, denn wü Sü sich inS Gedöchtnis zurückzurufen belüden
werden, wünschte ich eune gerüngfügige Verlängerung der Armelpartien.'

Er zog seinen Rock aus, wobei ein paar Hemdärmel zum Vorschein ka-
7*™' l£*,roffftPm Widerspruch zu seinem hochtrabenden Grsprächston
tlanden. Wehe ihm, wenn die Schuljugend diese Hemvärmel gesehen hätte l
Oer ..lunkelsbcrg wäre um einen Spitznamen reicher gewesen. (J°ns. folgt)

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Bub' muss einmal seine Prügel haben!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4127, S. 439
 
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