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„DER BUB' MUSS EINMAL SEINE PRÜGEL HABEN!

Eine vergnügliche Gefchichte von Karl Ettlinger

(Endlich Hai Schneidermeister Bürsienkorn den längst erwarteten
Besuch des Kanzleischreibers Philipp erhalten. Aber anstatt ihm
mit der lange präparierten Heldenpose entgegenzutreten und ihm
jeden Gedanken an seine Tochter zu verbieten,-ist er als .nega-
tiver Held" auf der Tischplatte sitzengeblieben.)

(Forts. 11) Womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß es nicht in seinem Busen
einigermaßen lebhaft zuging. Ingrimmig wartete er darauf, daß der Philipp
ihn nun um die Hand Lieschens bitten werde,- schon glaubte er den von so
vielen Vätern sehnsüchtig erhofften Satz „Ich kann ohne Ihre Tochter nicht
leben" säuseln zu hören, und er legte sich bereits eine niederschmetternde
Antwort auf diese kühne Behauptung zurecht. „Mei liewer Herr Dinte-
verkritzler," gedachte er mit hoheitsvollem Hohn zu sagen, „des dhut merr
awwer merklich leid for Ihne Ihr Lewe! Daß mei Dochtcr e hibsch Mädche
is, des is merr schonn längst bekannt, unn wie wärsch dann nach bei solchene
Eltern anncrschter meeglich! Awwer, so sehr mich Ihne Ihr Antrag ehrt,
diese sicße Quetsch is net for Ihne gewachse, obwohl Se schonn inehrfach draa
gelutscht hawwe! Was braache
Sie iwwerhanpts e Fraa?
poussier» Se Ihne Ihr para-
graphe, kiffe Se Ihne Ihr Ge-
sehbichcr, lege Se Ihne mit Ihre
Aktcdeckel ins Bett! Awwer ich
will Ihne net alle Hoffnung
rauwe, dann Se sin noch e jun-
ger Mensch unn vielleicht kimmt
nach bei Ihne noch der Verstand
mit dcIahrn,unn deshalbgeww
ich Ihne die Erlaubnis: frage
Se kn fuffzig Iahrn noch emal
aal Falls Se bis dahie merk-
lich net ohne 's Liesche lewe
könne, no, dann winsch ich Ihne
halt vergnlegt Rattegift!"

So gedachte er zu sprechen,
und ermalteslchschondasGesicht
seiner lieben Marie aus, wenn
ihr der Schwiegersohn a. D.
diese Antwort haarklein wieder-
erzählen würde.

Aberder Philipp kam keines-
wegs als demütig Bittender, er hatte ja bereits die Einwilligung der
Mutter, und so viel wissen heutzutage auch schon die Ledigsten von der
Ehe: der Man» herrscht, aber die Frau regiert.

„Gu'n Morje, Herr Berschtekorn," wiederholte er daher seelenruhig-
„wie gehl's Ihne dann allweil? Des is awwer schad, daß merr Ihne so
selte guckt! Ihne Ihr Fraa hat merr gestern awend, wie merr mit'm Liesche
um die Dhorn gange sin, erzeehlt,Se hätte wegeKoppweh net mitgekönnt!
No, hoffentlich is Ihne Widder besser?"

Dem wackeren Bürstenkorn war zumute wie eincin bereits auf Siede-
hitze erwärinten Kochkessel, wenn der Gashahn auf größer gestellt wird.
Aber er bezwang sich („nor mit die Ruhe!") und begnügte sich, den Philipp
anzuhauchen: „Kimmern Se Ihne um Ihr» eigne Kopp! Awwer dhu»
Se Ihne kann Schliwwer von dem Brett zuzieh'! Was geht Ihne mei
Koppweh aa? Soweit ich unnerricht bin, sin Se kaa Medizinalrat, sonnern
bloß juristischer Lehrbub! Unn jeh sage Se merr gefälligst: was wolle Se
äägentlich hier, — hä?"

„Ich bin so frei!" erwiderte der Philipp freundlick,, als habe ihn Gujkav
zum platznchmen aufgefordert, und setzte sich. „Also was mich bei Ihne
fiehrt? Ei no, ich bräuchl halt '» schwarze Aazug! Ebbes elegantes, mo-
dernes! En Verlowungs-Köttcweeh!"

„So — ?!" knirschteGuftav.„Sewolle2hnevcrlowc? Ehgege wen dann?

„Gege 's Fräulein LieSche Berschtekorn, wann Se nir derrgege hawwe!
Awwer sage Se's net weiter, es is noch net ofstzjell!"

Und dazu lächelte der Philipp und guckte so vergnügt in die Lust, als
hätte er soeben seinem Gegenüber nicht den Fehdcbandschuh, sondern eine
hochfeine Zigarette angebolen.

Wenn Gustav in diesem Augenblick das Fritzchen dagehabt hätte, und
das Frthchen hätte sein in solchen Situationen übliches Gesicht geschnitten,
ich glaube, nun wären wirklich die Prügel Tatsache geworden, die jo oft
verschobene Premiere hätte endlich skattgesunden. Und es wäre ein „durch-
schlagender" Erfolg geworden. Denn in Gustav kroch ein Zorn empor, den

man mit keiner Schneiderelle nachmeffcn konnte, krebsrot wurde er, und
hätte ihm in dieser Minute ein Arzt den puls gefühlt, sicher hätte die
Diagnose gelautet: „Se hawwe Ficwer, Herr Berschtekorn ! Lege Se Ihne
ins Bett, trinke Se Kamillcthee, unn wanns schlimmer werd, dclefoniern
Se nach merr! Wie ftcht's dann mit Ihne Ihrm werte Stuhlgang?"

Aber der Fritz war nicht da, er saß in der Schule und blieb auf alle
Fragen gewissenhaft die Antwort schuldig. Denn der pädagogischen Neugier
gegenüber konnte er sehr schweigsam sein/ und da auch kein Arzt da war,
mußte der arme Meister Bürsienkorn selbst Zusehen, wie er mit seinem
Tobsuchtsanfall fertig wurde. Zitternd vor Erregung saß er auf seinem
Schneidertisch, ein menschlicher Wackelpudding, die Nähnadel in seiner
Hand bebte wie eine Kompaßnadel, »nd die Werkstatt sauste vor seinen
Augen wie ein zu schnell gekurbelter Film. In seinem Körper aber hatten
alle edleren und unedleren anatomischen Bestandteile plötzlich Krach mit-
einander gekriegt (wenigstens kam es ihm so vor), der Magen rannte mit
seinem dicken Schädel wider das Herz, das sich wie ein Kreisel drehte,

die Lungenflügel machten Flug-
versuche im ganzen Brustkasten
herum, Milz und Leber ohr-
feigten sich ln wahrhaft bar-
barischer Weise, indes in der
Bauchgegend offenkundig ein
Fußballinatch ausgetragen wur-
de. Durch das Hirn aber zuckte
es: „Des haww ich der Marie
zu verdanke! Des hat merr mei
Fraa eigebrockt! Uff so e Nid-
derträchtigkett kimmt e Schrei-
wersseel' net von selwcr!"

Damit unterschätzte er den
Philipp abermals. Derphilipp
hatte sich diese neuartige Wer-
bung höchstselbst ausgedacht, er
hatte sich vorgenominen, den
künftigen Schwiegervater für
den hartnäckigen Widerstand zu
bestrafen.Vonvornherein mußte
ein für allemal festgestellt wer-
den: „Schwiecherpapache, uff
dei Meinung kimmt's iwwer-
haapt net aal Wann ich, der Philipp, sag, eS werd geheierat, dann werd
gehcierat, unn wannsde dich uff dein Glahkopp stellst!" Und im Bewußt-
sein, daß an dieser Tatsache auch durch die wildesten Verfluchungen nichts
geändert werden könne, blieb der Philipp seelenruhig und blickte den
japsenden Gustav mit einer freundlichen Miene an, die zu besagen schien:
„Fange Se ruhig aa, zc segne!"

Eine Weile verstrich, bis sich Meister Bürstenkorn wieder selbst gefun-
den hatte. „Nor kaa Blöß gewwe!" sagte er hundertmal nacheinander vor
sich hin. „Nor net, daß sich der Paragraphchannes eibildt, er hält mich aus
der Ruh gebracht! Sei stolz, mei Herz, stolz wie e Bleichgesicht am Marter-
pfahl ! Und wann 'r Euch zu Drftt vereinige dhut, du unn die Marie unn 'S
Liesche, un» schmeißt mit Tomahawks unn Suppedcllcr nach tncrr, unn
wann 'r mit Gawwele nach merr scbießt, als wär ich c heiliger Sebastian, ich
gebb kann Klagelaut net voti inerr unn nach kaa „Verblatze sollt'r!" Ich dhu
mei Glckelswut erunnerschlucke, wie aaner, wo 'n Löffel preißelbeer» esse will
unn hat aus Verschn en Löffel Senfcrwischt, ich laß merr ni, merke! Ich net!"

Mlt Grandezza stieg er vom Schneldertisch herunter, wobei er aber in
der Aufregung stolperte und der Länge nach hinfiel. Schmunzelnd schaute
Philipp z». wie sich der Meister, der es so behaglich haben konnte und fick,
selbst das Leben unnützerweise so schwer machte, aufzustehen beniühte.

„Soll ich Ihne helfe?" frug er belustigt.

„Riehen Se mich net aa!" ächzte Gustav, der langsam wieder auf die
Beine kam. „Unnerstchn Se Ihne net, merr ze nah ze komme, odder ich
köniit >ne! gut Erziehung vergesse! Ich bin e Seel von eine Mensch, awwer
denke Se draa: gefeehrlich is, de Leu ze wecke!"

.. . meinte Philipp, „so Löwe wie Ihne getrau ich merr schonn, r

bisfi im Schlaf ze kitzele! Ich habb sogar 'S Llesche gebändigt, unn die hat noch
besserne Zähn als wie Sie! Awwer ich bin ja net herkomme, um mit Ihne
iwwer Dierdressurn ze redde, — also fange Se aa unn nemme Se merr Maß
for mein schwarze Aazug ! Wie gefacht: des Foitiste vom Foine! Es kimmt
merr net uff de Preis aa, — jeh, wo ich die groß Mitgift krieh!" (Fons, folgt)

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Bub' muss einmal seine Prügel haben!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4130, S. 487
 
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