anschnaubt: „Leumund? — Sie? — wozu? — bis wann? — fünf
Mark! — später wieder kommen!' Im Leumund steht, daß gegen
dich nichts zu erinnern sei. Webe aber, wenn du wieder kommst,
um den Beamten zu erinnern. „Sic werdcn's wohl erwarten
können!" reißt er seinen Leumund auf. Natürlich kannst du cs er-
warten. Denn könntest du es nicht, so käme das in deinen Leumund.
Mittels deines Leumunds holst du dir dein Visum — „zehn
Mark, bitte!" Mittels deines Visums deine Schiffsfahrkar —
„Bedauere," lächelte der Agent und schob meine griffbereite
Hand zurück, „die Casablanca ist beseht."
„Sie sagten aber neulich — "
„Ist be —seht. Wenn Sic aber mit dem nächsten Dampfer
fahren wollen, Ihre Karte schreib' ich gerne um . . . sieben
fünfzig ertra, bitte . . . schscht! ausgehändigt wird sie erst, wenn
die vom Präsidenten festgesetzte Emigrantenquote angekabelt..."
Ich ging singend heim. Jawohl, singend. „E-mi gran-ten-quo-te
an-gc-ka-belt", singt sich wundervoll melodisch und erotisch.
Drei Wocbcn lang erkundigte ich mich täglich nach der an-
gekabeltcn Emigrantenquote. Als mir der Agent zum zwanzig-
sten Male sagte, der Präsident sei eben im Begriff, begriff ich,
daß dies meinem aussichtslosen Griffe nach der Schiffskarte
etwa gleichzusetzcn —
„Rrrr," schrillte meines Hauswirts Telephon, „Emigranten-
quote angekabclt."
Angcsegelt kam ich selber fünf Minuten später.
„Bedaure," sagte der Agent, „das Visum muß vom Kon-
sulat erneuert werden."
Icb aufs Konsulat. „Bedaure," sagte der Beamte, „aber
dieser Leumund — '
„Ist in tadelloser Ordnung, bitte."
„Tadellos? Ein drei Wocbcn alter Leumund! Was nicht
alles kann man in drei Wochen auf sein Kerbholz kriegen — be-
daure wiederholt, ein Leumund büßt in vierzehn Tagen seine
Wirkung ein, beeilen Sic sich mit dem neuen."
Ich beeilte mich, soweit der Lcumundspolizcibeamte diese Eile
für fünf neue Mark erlaubte. Ich beeilte mich auf Grund des
neuen Leumunds mit dem neuen Visum, soweit zehn Mark
Gebühren dem Beamten Eile macken können. Ick beeilte mich
in Richtung Schiffsbüro —
„Bedaure," sagte der Agent, „das Schiff ist eben abgefahren,
aber wenn Sie sich für sieben fünfzig auf das nächste Schiff
vormerken lassen wollen ..
Von Stund' an bub für mick ein Rennen zwischen Fahr-
karte, Visum und Leumund an. Ick hoffte, cs durch zunehmende
Geschwindigkeit am Ende doch zu zwingen. Aber immer wieder,
wenn der neue Dampfer — sieben fünfzig ertra, bitte — mit dem
Visum klappte, oder wenn der Dampfer mit dem Leumund —
fünf Mark, bitte — klappte, oder wenn der Leumund mit dem
Visum — zehn Mark, bitte — klappte, war der dritte Faktor —
fünf Mark, sieben fünfzig, zehn Mark, bitte — cinein gerade durch
das Betz gegangen.
In einem halben Fahre hatte ich noch drei Mark Barvermöaen.
„Genügt gerade", sagte der alte entgleiste Mathematikproseßor,
der meine Hetzerei verfolgt hatte, und begann zwischen Schiff-
fahrtSplänen, Visumfristcn und Leumundsabläufcn hin und her
zu rechnen, hin und her —
„Wenn man dir Anzahl der abgebcndcn Schiffe', murmelte
er eifrig rechnend, „dividiert durch die Lcumundsfrist, multi-
pliziert mit der Gebühr fürs Visum, potenziert mit den Uber-
fahrtökosten, radiziert mit dem Tonncngehalk des Dampfers und
schließlich logarithmiert mit der angekabcltcn Emigrantenquote...
Sakra! Sakra! Wenn t das g'wußt hätt'! Vierzig Stockwerk und
koa Wirtshaus!
Integral... Fakultät n hoch drei... Differential Omega .. .
Hurra, ich Hab den Stichtag!"
„Nämlich?"
„Die drei Märker vorher, bitte... danke... denken Sic,
gerade heut ain Tag der Abfahrt der polonia, zwei Tage vor
Ablauf Ihres Visums, und einen Tag, genau einen Tag vor
der fälligen Erneuerung Ihres Leumunds —"
Er unterbrach sich, schaute auf die Llt>r: „Elf Uhr fünfund
dreißig vormittag. Um fünf Uhr dreißig fährt die polonia ab.
Sic werden sehen, Sie crkraftcn's..."
Ich crkrastete es. Um fünfUhr fünfundvierzig klappte Schiffs-
billett mit Visum, Visum mit Leumund, Leumund mit Schiffs-
billctt — blieben noch dreivicrtcl Stunden bis zur Abfahrt.
In diesen drciviertel Stunden prügelte ich den Schiffsagenten
ohne sonderliche Eile windelweich, massakrierte in aller Ruhe
den Visumbcamtcn und erschlug knapp fünfcinviertel den Lcu-
mundsbcamtcn, fünfUhr achtundzwanzig passierte ick die Schiffs-
brücke der polonia und fuhr pünktlich fünf Ubr dreißig nach
Amerika, wohlversch'n mit einem Leumund, gegen den nickt das
geringste zu erinnern war.
Laut Polizei.
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Mark! — später wieder kommen!' Im Leumund steht, daß gegen
dich nichts zu erinnern sei. Webe aber, wenn du wieder kommst,
um den Beamten zu erinnern. „Sic werdcn's wohl erwarten
können!" reißt er seinen Leumund auf. Natürlich kannst du cs er-
warten. Denn könntest du es nicht, so käme das in deinen Leumund.
Mittels deines Leumunds holst du dir dein Visum — „zehn
Mark, bitte!" Mittels deines Visums deine Schiffsfahrkar —
„Bedauere," lächelte der Agent und schob meine griffbereite
Hand zurück, „die Casablanca ist beseht."
„Sie sagten aber neulich — "
„Ist be —seht. Wenn Sic aber mit dem nächsten Dampfer
fahren wollen, Ihre Karte schreib' ich gerne um . . . sieben
fünfzig ertra, bitte . . . schscht! ausgehändigt wird sie erst, wenn
die vom Präsidenten festgesetzte Emigrantenquote angekabelt..."
Ich ging singend heim. Jawohl, singend. „E-mi gran-ten-quo-te
an-gc-ka-belt", singt sich wundervoll melodisch und erotisch.
Drei Wocbcn lang erkundigte ich mich täglich nach der an-
gekabeltcn Emigrantenquote. Als mir der Agent zum zwanzig-
sten Male sagte, der Präsident sei eben im Begriff, begriff ich,
daß dies meinem aussichtslosen Griffe nach der Schiffskarte
etwa gleichzusetzcn —
„Rrrr," schrillte meines Hauswirts Telephon, „Emigranten-
quote angekabclt."
Angcsegelt kam ich selber fünf Minuten später.
„Bedaure," sagte der Agent, „das Visum muß vom Kon-
sulat erneuert werden."
Icb aufs Konsulat. „Bedaure," sagte der Beamte, „aber
dieser Leumund — '
„Ist in tadelloser Ordnung, bitte."
„Tadellos? Ein drei Wocbcn alter Leumund! Was nicht
alles kann man in drei Wochen auf sein Kerbholz kriegen — be-
daure wiederholt, ein Leumund büßt in vierzehn Tagen seine
Wirkung ein, beeilen Sic sich mit dem neuen."
Ich beeilte mich, soweit der Lcumundspolizcibeamte diese Eile
für fünf neue Mark erlaubte. Ich beeilte mich auf Grund des
neuen Leumunds mit dem neuen Visum, soweit zehn Mark
Gebühren dem Beamten Eile macken können. Ick beeilte mich
in Richtung Schiffsbüro —
„Bedaure," sagte der Agent, „das Schiff ist eben abgefahren,
aber wenn Sie sich für sieben fünfzig auf das nächste Schiff
vormerken lassen wollen ..
Von Stund' an bub für mick ein Rennen zwischen Fahr-
karte, Visum und Leumund an. Ick hoffte, cs durch zunehmende
Geschwindigkeit am Ende doch zu zwingen. Aber immer wieder,
wenn der neue Dampfer — sieben fünfzig ertra, bitte — mit dem
Visum klappte, oder wenn der Dampfer mit dem Leumund —
fünf Mark, bitte — klappte, oder wenn der Leumund mit dem
Visum — zehn Mark, bitte — klappte, war der dritte Faktor —
fünf Mark, sieben fünfzig, zehn Mark, bitte — cinein gerade durch
das Betz gegangen.
In einem halben Fahre hatte ich noch drei Mark Barvermöaen.
„Genügt gerade", sagte der alte entgleiste Mathematikproseßor,
der meine Hetzerei verfolgt hatte, und begann zwischen Schiff-
fahrtSplänen, Visumfristcn und Leumundsabläufcn hin und her
zu rechnen, hin und her —
„Wenn man dir Anzahl der abgebcndcn Schiffe', murmelte
er eifrig rechnend, „dividiert durch die Lcumundsfrist, multi-
pliziert mit der Gebühr fürs Visum, potenziert mit den Uber-
fahrtökosten, radiziert mit dem Tonncngehalk des Dampfers und
schließlich logarithmiert mit der angekabcltcn Emigrantenquote...
Sakra! Sakra! Wenn t das g'wußt hätt'! Vierzig Stockwerk und
koa Wirtshaus!
Integral... Fakultät n hoch drei... Differential Omega .. .
Hurra, ich Hab den Stichtag!"
„Nämlich?"
„Die drei Märker vorher, bitte... danke... denken Sic,
gerade heut ain Tag der Abfahrt der polonia, zwei Tage vor
Ablauf Ihres Visums, und einen Tag, genau einen Tag vor
der fälligen Erneuerung Ihres Leumunds —"
Er unterbrach sich, schaute auf die Llt>r: „Elf Uhr fünfund
dreißig vormittag. Um fünf Uhr dreißig fährt die polonia ab.
Sic werden sehen, Sie crkraftcn's..."
Ich crkrastete es. Um fünfUhr fünfundvierzig klappte Schiffs-
billett mit Visum, Visum mit Leumund, Leumund mit Schiffs-
billctt — blieben noch dreivicrtcl Stunden bis zur Abfahrt.
In diesen drciviertel Stunden prügelte ich den Schiffsagenten
ohne sonderliche Eile windelweich, massakrierte in aller Ruhe
den Visumbcamtcn und erschlug knapp fünfcinviertel den Lcu-
mundsbcamtcn, fünfUhr achtundzwanzig passierte ick die Schiffs-
brücke der polonia und fuhr pünktlich fünf Ubr dreißig nach
Amerika, wohlversch'n mit einem Leumund, gegen den nickt das
geringste zu erinnern war.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Kare in Amerika"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4135, S. 559
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg