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ESPERADIO / Von Hans Reimann

Einer, der cs aufrichtig und gut mit mir meint, der Willo, hatte
mir wiederholt gesagt, ich müsse unbedingt einmal Radio hören.

Mein heiliges Ehrenwort: ich habe bisher nur zweimal
Radio gehört und habe dabei nichts gehört.

Richts — das ist zuviel gesagt. Ich habe beidemal die Sympho-
nie mit dem Paukcnschlag gehört und dazwisckcn den Lcnzvon Hil-
dach, aber ohne paukcnschlag, ja, genau genommen, sogar ohne
Symphonie. Bald waren wundcrlicbliche Straßcnbahngeräusckc
erschollen, bald hatten sich die Wellen mit dem Detektor erzürnt
und auf ihm gepfiffen und gesäuselt. Kein schlackcnreincr Genuß.

Aber man soll mir nickt nacksagcn, daß ick ein Rückfort-
sckrittlcr sei.

Warum nicht zum dritten Male Radio hören?

Ich suchte den Menschen auf, der es aufrichtig und gut mit
mir meint, und ließ mir von ihm die Muscheln über die biedere
Birne stülpen.

Zunächst vernahm ich nicht das mindeste.

Dann hörte ich die Rordsec rauschen. Das tun andere Mu-
scheln auch. Aber cs ist immer wieder schön.

Geduld, Geduld! Willo redete mir zu wie einem diphtherie-
kranken Küken.

Ich wartete artig.

Da sagte eine sonorcStimme, die nachDollbart rock:. Rehmen
Sic bitte Ihr Buch zur Hand. Wir fahren heute fort aufSeite 63.'

Oiweh. Ich hatte gar kein Buck, ick unglücklickcr Rarr. Ich
kam mir vor wie in der Schule. Bei drei Stricken gab's einen
Eintrag ins Klassenbuch,- bei drei Einträgen gab's eine Straf-
stundc,- bei drei Strasstunden gab's Karzer.

Angstschweiß trat mir lautröpflcrisck aus die Stirn. Ich war
wie gelähmt. Mir war alles eins. Morgen fiog ich von der
Schule. O Schande und Schmack!

Und der Lehrer sprach: .Ein Mann steht am Fenster. —
Uono Homo stanko anno leneskra. — Zwei Alänner stehen am
Fenster. — Ouo homini stanto anno fenestrimini. — Drei
Männer stehen am Fenster. — prio homini srankiunk anno le-
neLlrinnto. — Wieviele Männer stehen am Fenster? — Uivielo
homini stantio anno fenestra ? — Wo stehen die vielen Männer ?
— Ui stamio e vilio homini?. .

Also nickto dio Snmpbonio mit dem paukcnschlagimini! Ge-

rechter Vater im Himmclo, der du am Fenster stehst und auf
mich herniederblickst, — was hat das zu bedcutimini?

Angstgebannt und wie unter hypnotischem Zwang hing ich
am abstrakten Munde des Bollbärtigen und wagte kaum zu
atmen. Die Ohren schmolzen mir, im Gehirn kochte etwas, mir
war wie lauter Rührei.

«Wo steht ein Mann? -r- Ui stanto uono Homo? — Wo
stehen sechs Männer? — Ui stantiose sexio homini? — Wo
stehen zehn Männer? — Ui stantiose zehn! se homiose? . . .'

Oh, oh, oh! Gnade für ein sächsisches Waisenkind! Womit
Hab' ich das verdient? Sind es die Sünden gewisser Väter, die
an mir radiistisch hcimgcsucht werden? Was will der sonore
Vollbart von mir? Stehen die Männer immer noch am Fenster?
Und warum? Sie sollen rasch Weggehen, ich bitte darum.

« Ein Mann spaziert im Garten. — Uono Homo spazirio inno
zarto. — Zwei Männer spazieren im Garten. — Ouo hominose
spaziriose inno gartose. — Wo spazieren drei Männer? — 3Uo
homini spaziriose in garkimini. — Wo spazieren vier Männer?
Ui spaziriose guarkettulo? ..."

Al>o fic find nicht mehr am Fenster. Die Männer find im
Garten. Sie spazieren im Garten. Sind es dieselben, die eben
noch am Fenster gestanden haben, oder sind cs neue Männer?
Was für Männer sind es ? Haben sic nichts Gescheiteres zu tun,
als im Garten zu spazieren? Wie lange gedenken sie im Garten
zu spazieren?

Rachtticfe Ohnmacht zieht ihre Kreise um mich. Ich kann
nicht los. Ich bin verzaubert. Ick muß mit den Männern im
Garten spazieren. Ich habe einen Zentner Rühre! im Kopf.
Lieber Gott, steh mir bei!

«Sechzehn Männer spazieren im Garten. - Zechzelmio ho-
mini spaziriose inno xarto. - Wieviel Männer spazieren im
Garten? — Uivilio hominose spaziriose innogartimini? — Hun-
derttausend Männer spazieren im Garten. - Hunderttausen-
diose hominose spaziriose inno gartose. — Wie viele Männer
liehen am Fenster. — Uivilio hominose stantiolesku anno fe»
nestrada? Sibbeno Milliarde hominose stanfeskulose anno
fenestrapulcula .. .*

Zerschmettert sank ich zu Boden.

Man brachte mich in die Gummizellulose.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Esperadio"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Linnekogel, Otto
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4139, S. 635

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