Verhinde rt
Schwatzte freute sich sehr,mirzu begegnen.
„Famos, daß ich Sie treffe! Ich sol! näm-
lich meiner Braut zu Weihnachten Parfüm
schenken, ein angenehmes, diskretes, aber doch
einigermaßen ausgefallenes parfüm.In drei
Läden war ich schon,- die Leute spritzten mir
die verschiedensten Proben vor die Base, aber
ich konnte mich nicht entschließen. Sie müssen
mitkommen und mir was Schönes aus-
suchcn." — SolchenAufforderungen soll man
sich lieber entziehen. Ich sagte also: „Das
werden Sie selber doch viel besser können,
Herr Schwatzte/
„Ausgeschlossen — ich rieche nämlich jetzt
überhaupt nichts mehr." r.
Außerste Zumutung
Herr prankerl, der Grobschmied, hat sich
zur Ruhe gesetzt und seinem Sohn das Geschäft überlassen. Seitdem
stichelt seine Alte täglich und stündlich, was für ein faules Leben er sich
mache, und prankerl wird von Tag zu Tag in seinem Großvaterstuhl
verärgerter und wütender.
Es ist kurz vor Weihnachten. Frau Huber ist bei Frau prankerl zu
Besuch, und die beiden Frauen unterhalten sich flüsternd, was sie ihren
Männern zu Weihnachten schenken könnten. Endlich haben sie für Huber
was gefunden, aber Frau prankerl stöhnt noch: „Wenn mein Alter
wenigstens Freude an Handarbeiten hätte!"
prankerl hat's erlauscht. Er stürzt aus dem Hintergründe vor und
brüllt: „Du, wann d' mir auf meine alten Tag' no' a Häkelnadel in die
Grobschmiedfäuste druck'n willst — nacha — nacha — passiert was!" t.
Beruhigung
Frau Schiebihki läßt beim Tischler einen großen Schreibtisch nach
eigenen Angaben fertigen — eine kleine Weihnachtsfreude für ihren
Mann. In eingefleischtem Mißtrauen geht sie um das halbfertigc Stück
herum und meint: „Ich fürchte aber, Meister, daß Sie mich mit dem
Preis sehr überteuert haben!" —
Der Tischler verteidigt sich nach Strick und Faden: „Aber, gna"
Frau, wirklich nicht! Im Gegenteil! Ich verdiene nichts bei dieser
Arbeit — ich mache sogar erheblich Schaden."
„Na, dann bin ich ja beruhigt", sagt Frau Schiebihki. Ru.
Der Schmuck
Es geht in der Familie das unverbürgte
Gerücht, Onkel Fridolin habe vor langen
Jahren einmal einem Neffen oder einer
Nichte etwas zu Weihnachten geschenkt.Aber,
wie gesagt: das Gerücht ist ganz unverbürgt.
Es war also in hohem Grade des Stau-
nens wert, daß Onkel Fridolin diesmal bei
seiner Nichte Käthe, die unlängst geheiratet
bat, sich liebreich erkundigte: „Na, Kindchen,
was wünschest du dir denn ? Für deine ersten
Weihnachten als junge Frau möchte ich dir
doch was schenken."
Das war eine Gelegenheit, die beim
Schopfe zu packen war. „Ja,Onkel,du weißt
ja, wie das ist", sagte Käthe. „Ich habe ja
eben erst meine ganze Aussteuer bekommen,
da fehlt nichts. Aber irgend ein bißchen
Schmuck könnte ich schon gut gebrauchen."
„ Schön, Kindchen, also 'n bißchen Schmuck!" Onkel Fridolin lächelte
gütig und streichelte der Nichte ein wenig die linke Wange.
Und wirklich: es war ihm Ernst gewesen. Am Nachmittag schon er-
schien ein Dienstmann und lieferte bei Käthe ein Schächtelchen ab —
mit Christbaumschmuck. P,
Der Verrückte
Ein Schatten lag diesmal über den Weihnachtsfreuden der Familie
pantzer. „Ach, unser guter Vetter Moritz!" klagte Frau panher, „wenn
ich denke, wie glücklich er vorige Weihnachten in unserer Mitte gewesen
ist! Und wie reich er uns beschenkt hat. Du hast die Krawattennadel
gekriegt, Hugo, mit dem großen Brillanten, und Kurt die goldene Uhr,
und Felix das Motorrad, und Lieschen, weil sie doch Klavierstunde be-
kommen sollte, den Flügel, und ich gar die wundervolle Perlenkette,
— das muß ja alles zusammen ein Vermögen gekostet haben. Und nun
diese schreckliche Veränderung! Nun sitzt der gute Vetter Moritz in
dieser entsetzlichen Irrenanstalt und weiß nichts von Weihnachtsfreude
und-" Beruhigend unterbrach Herr panher die Gattin: „Aber es
ist ja nicht so schlimm! Der Arzt sagt doch, in ein paar Monaten wird
Moritz wieder'raus können." - „Das wäre ja ein Glück. Und dann
habenwir ihn nächsteWelhnachten wieder beiuns."FraupanhersAugen
begannen zu glänzen. „Ob er uns dann wieder so viel schenken wird?"
— Hugo pantzer zuckte die Achseln. „Ja, das kommt darauf an, wie weit
sie ihn kurieren. Wenn er noch 'n bißchen verrückt bleibt-?" P.
Winterliches Dort
Ein zarter Himmel, ausgefpannt
oh Hang und Dach und Wälderfülle.
Ein Schlitten knarrt, ein Amhoß dröhnt,
dann wieder tiefe Stille.
Nur eine leife Glocke haudit
die Seele in das Schneegeichmeide.
Fern toht die Welt, ich fteh ’ verhöhnt,
weiß nichts von ihrem Leide.
Ludwig Bäte
Der Stammtisch sammelt sür 9(averl
Eine Chrtstabendgeschichte von Sepp Lotbl
s ist zum Verzweifeln: der liebe
Gott geht durch den Wald — und der
Wilderer schießt demungeachtet mit kal-
tem Sinn die Rehgeiß nieder. Taglöhner
machen mit ihren Mädchen Skitouren
und geistige Arbeiter schreiben Adressen.
Es wanken die Zaunpfähle der Ordnung,
und das Hungertuch winkt reich und arm
mit seiner wachsbleichen Hand So sind
die heutigen Zeiten.
Aber ehedem war jedem geregelten
Münchner seine Kalbshaxe gewissenhaft reserviert und der Kgl. Schutz-
mann sorgte, daß die Kellnerin sie nicht an einen Unwürdigen aus
fremdem Lande vergab. Don jener Zeit laßt uns träumen, den schlichten
Leberkäs auf dem Tisch!
Da hatte jeder Bürger seinen — teils mehr gesundheitsfördernden,
teils mehr vaterlandserhaltenden, teils Kunst und Ähnliches ersetzen-
den — Verein, jeder Proletarier seine Partei, jeder Maler, Dichter,
Musiker und was sonst an Preußen und weiteren Ausländern vor-
handen war, sein Schwabing - und sie alle hatten außerdem ihren
Stammtisch, an dem sie ihre Geschäfte machten, ihre Weltanschau-
ung formten, ihren Geist im Spiel erholten, über die andern schimpften,
sich bisweilen auch am Streit ergötzten - kurz: des Lebens Glück in
vollen Zügen tranken. Und nur zu hohen Festzeiten war dieses Glück
meist gestört. Ich bin ja nicht der erste — vielleicht nicht einmal der
zweite — der feststellt, welche trübselige Wirkung die christlichen Feier-
tage, ganz besonders aber die Weihnachtszeit, auf Leute ohne Familie
oder doch ohne Familiensinn haben. Immer sind diese Tage die Wüste
in der Oase des Stammtischlebens gewesen. Ja, ich las einmal eine
Novelle, die mit geradezu strindbergischer Kraßheit einen armen Jung-
gesellen so sehr an der Weihnachtsabcndstammtischeinsamkeit leiden ließ,
daß er sich meuchlings in den Schoß einer bekannten Familie stürzte und
dorten rettungslos verlobte. Aber auch die Wackeren, die an solchen
Abenden dem Stammtische die Treue hielten, zeigten gewöhnlich alle
Spuren seelischer Beschädigung und nur e i n m a l habe ich es erlebt, daß
auch ein solches Institut sich zu christzeitmäßiger Weihestimmung erhob.
(Fortsetzung Sette 688)
686
Schwatzte freute sich sehr,mirzu begegnen.
„Famos, daß ich Sie treffe! Ich sol! näm-
lich meiner Braut zu Weihnachten Parfüm
schenken, ein angenehmes, diskretes, aber doch
einigermaßen ausgefallenes parfüm.In drei
Läden war ich schon,- die Leute spritzten mir
die verschiedensten Proben vor die Base, aber
ich konnte mich nicht entschließen. Sie müssen
mitkommen und mir was Schönes aus-
suchcn." — SolchenAufforderungen soll man
sich lieber entziehen. Ich sagte also: „Das
werden Sie selber doch viel besser können,
Herr Schwatzte/
„Ausgeschlossen — ich rieche nämlich jetzt
überhaupt nichts mehr." r.
Außerste Zumutung
Herr prankerl, der Grobschmied, hat sich
zur Ruhe gesetzt und seinem Sohn das Geschäft überlassen. Seitdem
stichelt seine Alte täglich und stündlich, was für ein faules Leben er sich
mache, und prankerl wird von Tag zu Tag in seinem Großvaterstuhl
verärgerter und wütender.
Es ist kurz vor Weihnachten. Frau Huber ist bei Frau prankerl zu
Besuch, und die beiden Frauen unterhalten sich flüsternd, was sie ihren
Männern zu Weihnachten schenken könnten. Endlich haben sie für Huber
was gefunden, aber Frau prankerl stöhnt noch: „Wenn mein Alter
wenigstens Freude an Handarbeiten hätte!"
prankerl hat's erlauscht. Er stürzt aus dem Hintergründe vor und
brüllt: „Du, wann d' mir auf meine alten Tag' no' a Häkelnadel in die
Grobschmiedfäuste druck'n willst — nacha — nacha — passiert was!" t.
Beruhigung
Frau Schiebihki läßt beim Tischler einen großen Schreibtisch nach
eigenen Angaben fertigen — eine kleine Weihnachtsfreude für ihren
Mann. In eingefleischtem Mißtrauen geht sie um das halbfertigc Stück
herum und meint: „Ich fürchte aber, Meister, daß Sie mich mit dem
Preis sehr überteuert haben!" —
Der Tischler verteidigt sich nach Strick und Faden: „Aber, gna"
Frau, wirklich nicht! Im Gegenteil! Ich verdiene nichts bei dieser
Arbeit — ich mache sogar erheblich Schaden."
„Na, dann bin ich ja beruhigt", sagt Frau Schiebihki. Ru.
Der Schmuck
Es geht in der Familie das unverbürgte
Gerücht, Onkel Fridolin habe vor langen
Jahren einmal einem Neffen oder einer
Nichte etwas zu Weihnachten geschenkt.Aber,
wie gesagt: das Gerücht ist ganz unverbürgt.
Es war also in hohem Grade des Stau-
nens wert, daß Onkel Fridolin diesmal bei
seiner Nichte Käthe, die unlängst geheiratet
bat, sich liebreich erkundigte: „Na, Kindchen,
was wünschest du dir denn ? Für deine ersten
Weihnachten als junge Frau möchte ich dir
doch was schenken."
Das war eine Gelegenheit, die beim
Schopfe zu packen war. „Ja,Onkel,du weißt
ja, wie das ist", sagte Käthe. „Ich habe ja
eben erst meine ganze Aussteuer bekommen,
da fehlt nichts. Aber irgend ein bißchen
Schmuck könnte ich schon gut gebrauchen."
„ Schön, Kindchen, also 'n bißchen Schmuck!" Onkel Fridolin lächelte
gütig und streichelte der Nichte ein wenig die linke Wange.
Und wirklich: es war ihm Ernst gewesen. Am Nachmittag schon er-
schien ein Dienstmann und lieferte bei Käthe ein Schächtelchen ab —
mit Christbaumschmuck. P,
Der Verrückte
Ein Schatten lag diesmal über den Weihnachtsfreuden der Familie
pantzer. „Ach, unser guter Vetter Moritz!" klagte Frau panher, „wenn
ich denke, wie glücklich er vorige Weihnachten in unserer Mitte gewesen
ist! Und wie reich er uns beschenkt hat. Du hast die Krawattennadel
gekriegt, Hugo, mit dem großen Brillanten, und Kurt die goldene Uhr,
und Felix das Motorrad, und Lieschen, weil sie doch Klavierstunde be-
kommen sollte, den Flügel, und ich gar die wundervolle Perlenkette,
— das muß ja alles zusammen ein Vermögen gekostet haben. Und nun
diese schreckliche Veränderung! Nun sitzt der gute Vetter Moritz in
dieser entsetzlichen Irrenanstalt und weiß nichts von Weihnachtsfreude
und-" Beruhigend unterbrach Herr panher die Gattin: „Aber es
ist ja nicht so schlimm! Der Arzt sagt doch, in ein paar Monaten wird
Moritz wieder'raus können." - „Das wäre ja ein Glück. Und dann
habenwir ihn nächsteWelhnachten wieder beiuns."FraupanhersAugen
begannen zu glänzen. „Ob er uns dann wieder so viel schenken wird?"
— Hugo pantzer zuckte die Achseln. „Ja, das kommt darauf an, wie weit
sie ihn kurieren. Wenn er noch 'n bißchen verrückt bleibt-?" P.
Winterliches Dort
Ein zarter Himmel, ausgefpannt
oh Hang und Dach und Wälderfülle.
Ein Schlitten knarrt, ein Amhoß dröhnt,
dann wieder tiefe Stille.
Nur eine leife Glocke haudit
die Seele in das Schneegeichmeide.
Fern toht die Welt, ich fteh ’ verhöhnt,
weiß nichts von ihrem Leide.
Ludwig Bäte
Der Stammtisch sammelt sür 9(averl
Eine Chrtstabendgeschichte von Sepp Lotbl
s ist zum Verzweifeln: der liebe
Gott geht durch den Wald — und der
Wilderer schießt demungeachtet mit kal-
tem Sinn die Rehgeiß nieder. Taglöhner
machen mit ihren Mädchen Skitouren
und geistige Arbeiter schreiben Adressen.
Es wanken die Zaunpfähle der Ordnung,
und das Hungertuch winkt reich und arm
mit seiner wachsbleichen Hand So sind
die heutigen Zeiten.
Aber ehedem war jedem geregelten
Münchner seine Kalbshaxe gewissenhaft reserviert und der Kgl. Schutz-
mann sorgte, daß die Kellnerin sie nicht an einen Unwürdigen aus
fremdem Lande vergab. Don jener Zeit laßt uns träumen, den schlichten
Leberkäs auf dem Tisch!
Da hatte jeder Bürger seinen — teils mehr gesundheitsfördernden,
teils mehr vaterlandserhaltenden, teils Kunst und Ähnliches ersetzen-
den — Verein, jeder Proletarier seine Partei, jeder Maler, Dichter,
Musiker und was sonst an Preußen und weiteren Ausländern vor-
handen war, sein Schwabing - und sie alle hatten außerdem ihren
Stammtisch, an dem sie ihre Geschäfte machten, ihre Weltanschau-
ung formten, ihren Geist im Spiel erholten, über die andern schimpften,
sich bisweilen auch am Streit ergötzten - kurz: des Lebens Glück in
vollen Zügen tranken. Und nur zu hohen Festzeiten war dieses Glück
meist gestört. Ich bin ja nicht der erste — vielleicht nicht einmal der
zweite — der feststellt, welche trübselige Wirkung die christlichen Feier-
tage, ganz besonders aber die Weihnachtszeit, auf Leute ohne Familie
oder doch ohne Familiensinn haben. Immer sind diese Tage die Wüste
in der Oase des Stammtischlebens gewesen. Ja, ich las einmal eine
Novelle, die mit geradezu strindbergischer Kraßheit einen armen Jung-
gesellen so sehr an der Weihnachtsabcndstammtischeinsamkeit leiden ließ,
daß er sich meuchlings in den Schoß einer bekannten Familie stürzte und
dorten rettungslos verlobte. Aber auch die Wackeren, die an solchen
Abenden dem Stammtische die Treue hielten, zeigten gewöhnlich alle
Spuren seelischer Beschädigung und nur e i n m a l habe ich es erlebt, daß
auch ein solches Institut sich zu christzeitmäßiger Weihestimmung erhob.
(Fortsetzung Sette 688)
686
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Stammtisch sammelt für Xaverl"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 161.1924, Nr. 4143, S. 686
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg